Regisseur Andreas Dresen - Regisseur Andreas Dresen - © Andrea Höfler

Regisseur Dresen: „Guantánamo ist ein Schandfleck für die Demokratie“

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Der Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ zeigt den Terrorkrieg nach 9/11 aus der Perspektive der Mutter und des Anwalts eines Guantánamo-Häftlings. Regisseur Andreas Dresen im Gespräch.

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Der Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ zeigt den Terrorkrieg nach 9/11 aus der Perspektive der Mutter und des Anwalts eines Guantánamo-Häftlings. Regisseur Andreas Dresen im Gespräch.

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Der Skandalgeschichte rund um die Verfrachtung des Bremer Schiffbaulehrlings Murat Kurnaz nach Guantánamo widmet sich die FURCHE schon viele Jahre. Nun tut es auch ein Film. Im Interview beschreibt der Regisseur Andreas Dresen dieses Politikversagen – und wer doch noch ein Happy End zuwege brachte.

DIE FURCHE: Herr Dresen, als ich im Dezember 2004 den Rechtsanwalt Bernhard Docke in seiner Kanzlei besuchte, lag auf dem Schreibtisch „Das große Lesebuch“ von Alfred Polgar. In dem Buch findet sich der Satz: „Der Idealist geht glatt durch Wände und stößt sich wund an der Luft.“ War das die Herausforderung, vor der Docke beim Fall Murat Kurnaz stand?

Andreas Dresen: Das ist ein treffendes Bild. Normalerweise hat ein Strafverteidiger bestimmte rechtliche Möglichkeiten an der Hand: Zugang zum Mandanten, Akteneinsicht

und ein geordnetes juristisches Verfahren. All das gab es im Fall Murat Kurnaz nicht. Da wurde jemand aus der Gesellschaft rausgenommen und in ein juristisches Niemandsland verpflanzt. Das ist bis heute so – in Guantánamo sitzen immer noch 39 Leute ohne Gerichtsverfahren. Der Fall ist zwar ein historischer, aber das Unrecht existiert bis heute. Guantánamo ist ein Schandfleck auf der Weste der Demokratie.

DIE FURCHE: Auch die deutsche Regierung kommt im Film nicht gut weg.

Dresen: Es gibt ein Memo aus dem Herbst 2002, ich konnte das Originaldokument einsehen, in dem der CIA der Bundesregierung vorschlägt, Murat freizulassen – weil sie von seiner Unschuld überzeugt sind. Doch die deutsche Politik wollte dem nicht nachgehen. Sie fürchtete die öffentliche Meinung, da Murat vom Boulevard als „Bremer Taliban“ gebrandmarkt war. Man sagte, Murat ist zwar in Bremen geboren und aufgewachsen, aber türkischer Staatsbürger. So blieb er im Dreiländereck USA, Deutschland, Türkei gefangen, und niemand fühlte sich für ihn verantwortlich.

DIE FURCHE: Im Film wird Rechtsanwalt Docke vom Staatsanwalt unterstützt. Gab es diese Schützenhilfe tatsächlich?

Dresen: Der ermittelnde Bremer Staatsanwalt war relativ schnell von Murats Unschuld überzeugt. Murat war zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Pakistani haben ihn für ein Kopfgeld von 3000 Dollar an die Amerikaner verkauft. Die brauchten mal eben Terroristen, und er passte gut ins Bild. Ein schicksalhaftes Pech. Wir wollten mit der Figur des Staatsanwalts zeigen, dass es auch bei den Ermittlern hochanständige Menschen gab, die versuchten, nach bestem Wissen und Gewissen ihren Job zu machen. In der Politik und der Bürokratie verstecken sich die Leute oft hinter Aktenbergen und verschanzen sich hinter Vorschriften. Es hat Angela Merkel gebraucht, die mit frischem Blick sagte: Das ist Unrecht. Im Jänner 2006 war sie auf Antrittsbesuch bei George W. Bush und brachte den Fall zur Sprache. Und Bush sagte: „Den könnt ihr haben, schon seit Jahren.“ Das war der Anfang vom Ende von Murats Leidenszeit – Frauen haben manchmal das bessere Gerechtigkeitsempfinden.

DIE FURCHE: Dazu passt, dass Murats Mutter, Rabiye Kurnaz, neben Rechtsanwalt Docke die große Heldin des Filmes ist.

Dresen: Die beiden hätten nicht gewonnen, hätten sie sich nicht gegenseitig gehabt. Rabiye Kurnaz zieht mit einer gesunden Portion Naivität ins Feld und sagt: Ich will meinen Sohn zurück! Reflektiertere Menschen würden schon vor dem ersten Schritt verzweifeln. Sie geht einfach mal los. Das ist eine große Qualität von ihr. So hat sie, man kann es so sagen, Bernhard Docke vor sich hergetrieben.

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