Repräsentation als ästhetischer Akt

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Das „überflüssigste Amt der Republik“ wurde der Bundespräsident genannt. Gerade weil die eigentliche staatspolitische Funktion des Amts so gering ist, konnte es zur Projektionsfläche vieler auch unerfüllbarer politischer Wünsche werden. Das Entscheidende daran ist letztlich ganz einfach – und gerade deswegen so schwierig.

Die ersten drei Bundespräsidenten der Zweiten Republik führten das Amt auf monarchische Weise, wozu auch die Entscheidung Karl Renners beitrug, den Sitz der Präsidentschaftskanzlei in den Leopoldinischen Trakt der Hofburg zu verlegen, die Residenz von sechs Kaisern. Renners Nachfolger, der ehemalige k. u. k. General Theodor Körner, war dafür geradezu eine Symbolfigur. Auch dessen Nachfolger Adolf Schärf war ein Herr der alten Schule.

Von Körner ist aber auch der Ausspruch überliefert, den er nach seiner Wahl im Jahr 1951 gegenüber einem Freund gemacht haben soll: „Schau, ich bin sehr traurig. Ich war gern Bürgermeister von Wien, da konnte man was machen. Jetzt soll ich der Bundespräsident werden. Hat ja gar keinen Sinn.“ Körner drückte damit die allgemeine Auffassung aus, die man damals von diesem Amt hatte: Man kann darin nichts bewegen.

Franz Jonas gab dem Amt dann eine gewisse proletarische Note. Sein linkisches Auftreten ließ ihn als „Mann aus dem Volk“, als „einen von uns“ erscheinen. Dass er bei Staatsbesuchen im Ausland mit vor dem Bauch baumelnder Schnappschusskamera auftrat, brachte ihm dort nachsichtiges Lächeln, daheim aber Sympathien ein. An politischer Entschlossenheit mangelte es ihm allerdings nicht. Er ermöglichte es seinem Parteifreund Bruno Kreisky 1970, eine Minderheitsregierung mit Unterstützung der FPÖ zu bilden, die den Grundstein für eine 13-jährige Alleinherrschaft der SPÖ legte. Jonas’ lange, zunächst der Öffentlichkeit verborgene Krankheit verlangte nach einer Regelung für die Vertretung des Bundespräsidenten durch den Nationalratspräsidenten, die heute noch gilt.

„So wahr mir Gott helfe“

Kreiskys politischer Genius ließ ihn auch schnell die (partei-)politischen Potenziale erkennen, die im Amt des Bundespräsidenten liegen. In seiner Absicht, über die Mitte hinweg auszugreifen, fand er in Rudolf Kirchschläger den idealen Mann, der als gläubiger Katholik und als ehemaliges, wenn auch nur kurzzeitiges ÖVP-Mitglied die politischen Lager überbrücken sollte. Bei der Angelobung fügte dieser zum ersten Mal das von der Verfassung erlaubte „So wahr mir Gott helfe“ zur Eidesformel hinzu. Kreisky dürfte jedoch die Schwächen Kirchschlägers erkannt haben, der besonders bescheiden erschien, aber doch so eitel war, um des schönen Amtes willen keine politischen Schwierigkeiten zu machen. Kirchschläger firmierte als „unabhängiger“ Kandidat der SPÖ, bei seiner Wiederwahl 1980 erreichte er die bis dahin und seither unerreichte Marke von 79,9 Prozent der Stimmen. Geblieben von Kirchschläger ist der Ausspruch vom „Trockenlegen der Sümpfe und sauren Wiesen“, zu dem ihn der Finanzskandal um den Bau des AHK bewogen hatte.

Kurt Waldheim war der erste und blieb bisher der einzige Kandidat, der ein zweites Mal zur Bundespräsidentenwahl angetreten war, als er 1986 gegen den Arzt Kurt Steyrer von der SPÖ gewann. Ein erstes Mal hatte er es schon 1971 gegen Franz Jonas versucht. Der umstrittene Bundespräsident wurde Opfer einer gegen ihn angezettelten Kampagne, die ihn bleibend beschädigte und persönlich tief verletzte, die aber auch dem Land großen Schaden zugefügt hat. Dass ihn eine internationale Historikerkommission von aller Schuld freisprach, konnte ihm nicht mehr helfen. Waldheim wurde aber zum Katalysator für eine immer wieder aufgeschobene Vergangenheitsbewältigung.

Die bitteren Konflikte um Kurt Waldheim rissen das Amt aus seiner zeremoniellen Abgeschiedenheit auf das Feld der tagespolitischen Auseinandersetzungen. Der Bundespräsident wurde zu einem Politiker wie andere auch. Thomas Klestil machte diesen Wandel in seiner Kandidatur 1992 zum Thema. Professionell beraten führte er einen entschlossenen Wahlkampf wie ein Parteipolitiker. Er wolle ein Präsident sein, der sich den Parteien und der Regierung gegenüberstellen würde, versprach er.

„Macht braucht Kontrolle“, lautete das Schlagwort, das ihn zum Erfolg führte. Damit entsprach er einem Bedürfnis großer Teile der Bevölkerung, die des rot-schwarzen Machtsystems überdrüssig geworden waren. Das entfremdete ihn aber von Anfang an seiner Partei, der ÖVP, die ja auch Teil dieses Systems war. Nach einem Rückstand im ersten Wahlgang legte er nach einer fulminanten Aufholschlacht im zweiten fast zwanzig Prozentpunkte zu. Sechs Jahre später schaffte er auf Anhieb sogar 63,5 Prozent.

Klestil wollte eingreifen und gestalten, anfangs wollte er auch ein „Präsident zum Angreifen“ sein – und stellte dann verwundert fest, dass er auch angegriffen wurde. Das Wort vom „Angreifen“ hat sich in paradoxer Weise erfüllt: Bei keinem Bundespräsidenten vor ihm wurde eine Krankheit so hautnah von der Bevölkerung miterlebt und -erlitten, bei keinem wurde das Privatleben so schonungslos in der Öffentlichkeit breitgetreten wie bei ihm. Und das gerade von jenen Medien, die heuchlerisch vorgaben, seine Freunde zu sein.

Klestil hat vieles gewollt, er ist sein Amt „mit spielerischer Leichtigkeit und mitreißender Begeisterung“ angegangen, wie Heinz Nußbaumer schildert, der ihn jahrelang als Freund begleitet hatte, bevor sich ihre Weg trennten. Aber der Höhenflug brach ab, aus manchen Plänen und hochgemuten Absichten ist nichts geworden. Es ist ihm, wie Nußbaumer es formuliert, „das eigene Leben mit seinen bitteren Überraschungen und Unwägbarkeiten dazwischengekommen“. Das eigene Leben – das war die Beziehung zu Margot Löffler und die Trennung von seiner Frau Edith nach über vierzig Jahren Ehe. Das eigene Leben – das war die schwere Krankheit, die seine letzten Jahre überschattet hat.

Bei der Regierungsbildung 2000 erlitt er ein Fiasko, das er nicht mehr verwinden sollte. Er wollte unbedingt eine schwarz-blaue Koalition verhindern, hat damit aber die Möglichkeiten seines Amtes überschätzt. Obwohl der Bundespräsident formal das Recht hat, den Bundeskanzler zu bestellen, den er will, muss er letztendlich den nehmen, der ihm eine Regierung mit einer Mehrheit präsentieren kann. Enttäuscht zog sich Klestil in die innere Emigration zurück. Schon vor dem offiziellen Ende wurde Klestils Amtszeit Vergangenheit. Klestil ist ehrenhaft gescheitert, muss man sagen, denn er war bis zur bitteren Stunde, als er Wolfgang Schüssel die Hand zur Angelobung geben musste, überzeugt von der Richtigkeit seiner Sache und blieb es bis zu seinem Tod.

„Das Notwendige möglich machen“

Durch dieses eine Scheitern ist vieles in den Hintergrund geraten, was Klestil gelungen ist. Von ihm ist kein Wort wie das vom „Trockenlegen der sauren Wiesen“ im Gedächtnis, aber er hat den Regierungen – den rot-schwarzen wie den schwarz-blauen – oft die Leviten gelesen. So hat er immer wieder zu beherzten innen- und außenpolitischen Reformen aufgerufen und verlangt, das „Notwendige auch möglich zu machen“. Als gelernter Diplomat wusste er, was auf der Welt vorging und forderte Realismus in der Außen- und Sicherheitspolitik ein. Er hielt den Neutralitätsfundamentalismus für überholt und sagte das auch oft genug. Verdienste hat sich Klestil also gerade dort erworben, wo er sein Amt zu nützen wusste, aber dessen Grenzen respektierte.

Dennoch haben diese zwölf Jahre und die Erfahrungen der Republik mit Klestil ihre Folgen gehabt. Ein Zurück zu den beschaulichen Gründerjahren der Zweiten Republik, zu einem bloßen republikanischen Zeremonienmeister in der Hofburg kann es nicht mehr geben. Es wird aber auch kein Kandidat mehr mit überzogenem politischem Anspruch auftreten und sich damit der Gefahr aussetzen, Erwartungen zu wecken, die er nicht einlösen kann. Heinz Fischer hat diese Lektion gelernt.

Der Philosoph Rudolf Burger hat für das Amt einen Maßstab definiert, der nirgends geschrieben steht, aber wohl die geheime Erwartung der Österreicher beschreibt. Der Bundespräsident solle den Staat nach „innen und außen“ repräsentieren. Das sei, so Burger, ein „ästhetischer Akt, der sich in Haltung, Sprache, Gestik und der Gestaltung politisch zentraler Räume ausdrückt“. Der Bundespräsident soll nicht moralische Zensuren erteilen, sondern die Probleme, Aufgaben, Herausforderungen des Landes benennen und Wege in die Zukunft zeigen können.

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