Rettung und Gefahr: Griechenland in schweren Zeiten

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Griechenlands Krise besteht nicht nur aus ökonomischen Horrorzahlen. Eine journalistische Annäherung an das Drama der griechischen Bürger - und ihre Hoffnungen.

"Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, schrieb Hölderlin. Wenn er Recht hat, wächst in Griechenland derzeit viel Rettendes. Denn die Gefahr ist groß. Nach fünf Jahren tiefer Rezession werden die Krisensymptome immer gravierender. Die Arbeitslosenzahlen sind erdrückend. Etwa 30 Prozent der Menschen haben keinen Zugang mehr zum Gesundheitssystem. Für die verbliebenen Beschäftigten steigt die Arbeitsbelastung. Löhne und Gehälter sind drastisch gesunken; massive Steuererhöhungen mindern die Kaufkraft zusätzlich.

Griechenland ist ein schönes Land mit gastfreundlichen Menschen. Die Wunden, die die Krise hinterlässt, springen kaum ins Auge. Aber aus den Erzählungen Betroffener wird schnell deutlich, wie belastend es ist, jede Sicherheit schwinden zu sehen. Längst ist es die Mittelschicht, die schwer ins Trudeln geraten ist.

Die Depression

Ein Beispiel: Miranda C. war Nachrichtensprecherin im staatlichen Rundfunk ERT, der in einem Kraftakt des Premierministers über Nacht geschlossen wurde. Drei Wochen später verlor auch ihr Mann Pavlos, Journalist beim Privatsender SKAII, den Job. "Die Nerven liegen blank“, erzählt Pavlos. Seine Frau leidet jetzt an Panikattacken. Die Ökonomie kennt für die verzweifelte Lage eines Landes ein vielsagendes Wort: "Depression“. Dass es nicht nur um ökonomische und psychische, sondern längst auch um politische Gefahren geht, zeigen die Vorgänge um die neonazistische Partei "Chrysi Avgi“ (Goldene Morgenröte) mit ihrer rabiat fremdenfeindlichen Politik.

Chrysi Avgi machte regelrechte Jagden auf Asylanten (wobei auch Todesopfer zu beklagen waren). Erst als ein Grieche zum Opfer wurde, reagierten Politik und Justiz. Nach dem Mord an dem Hip-hop-Musiker Pavlos Fyssas war es in ganz Griechenland zu Kundgebungen gegen Faschismus und Neonazis gekommen. Am 28. September wurden in einer großen Polizeiaktion die Führungsspitze und zahlreiche weitere Parteigänger von Chrysi Avgi verhaftet. Am Abend jubelten die Zeitungen über den Sieg der Demokratie. Aber so eindeutig ist der Sieg noch nicht. Zwar wurde Chrysi Avgi per Parlamentsbeschluss die Parteienförderung abgesprochen, aber die Verfassung lässt ein Parteiverbot nicht zu. Mittlerweile mehren sich besorgte Stimmen, die pauschale Anklage wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung“ könnte vor Gericht nicht halten. Ein Propagandasieg der Neonazis wäre die Folge. Zudem könnte ein Verbot die Wirtschaftsprobleme und die Ursachen des Faschismus nicht beseitigen.

Eine neue Bluttat

Am vergangenen Freitagabend erschütterte eine neue Bluttat das Land. Zwei Chrysi-Avgi-Parteimitglieder wurden von bislang unbekannten Tätern auf offener Straße erschossen; ein dritter wurde schwer verletzt. Jetzt fürchten sich viele vor einer Spirale der Gewalt.

Und das Rettende? Ob die rigorose Sparpolitik, die die "Troika“ dem Land auferlegt, das beste Mittel zur Rettung des überschuldeten Landes ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Jedenfalls scheint die Methode längst an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Zuletzt haben die Regierungsparteien klar gemacht, dass ein von der Troika gefordertes weiteres Sparpaket einfach nicht mehr zumutbar wär. Es ist den schwer betroffenen Menschen kaum zu vermitteln, was "gerettet“ wird, während die Not im Land täglich größer wird.

Zweifellos rettend ist der traditionelle Zusammenhalt der Familien - und darüber hinaus die wachsende Solidarität im Land. Die Erzdiözese Athen beispielsweise gibt in ihren Pfarren täglich zehntausend warme Mittagessen aus. Ihre Hilfsorganisation "Apostolí“ verteilt Nahrungsmittel, darunter auch an Familien, deren Kinder in der Schule vor Hunger ohnmächtig werden. Die Kirche ist damit nicht allein. Auch Hunderte Stadtgemeinden und private Initiativen sorgen dafür, dass niemand verhungert.

In sogenannten "Sozialkliniken“ werden Patienten ohne Krankenversicherung behandelt. Stundenweise bieten hier Ärzte unentgeltlich ihre Dienste an. Sie wollen damit verhindern, dass - wie es der Chef der Athener Ärztekammer ausdrückte - die Krise zur humanitären Katastrophe wird. Dennoch: "Wir sind ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt eine Aktivistin in einer Sozialklinik. "Die humanitäre Katastrophe ist längst im Gang.“

Solidarität blüht

Überall im Land sind neue Solidaritätsgruppen entstanden. Sogenannte "Ohne-Zwischenhändler-Gruppen“ nehmen Kontakt zu Bauern auf und organisieren Markttage mit Direktverkauf von Nahrungsmitteln in ihrem Stadtviertel. Die Ersparnis gegenüber dem Einkauf im Supermarkt ist enorm.

Andere Initiativen helfen mittellosen Familien, und zwar nicht durch anonyme Spenden, sondern durch gemeinsame Aktionen. Von herkömmlichen Methoden wie einer anonymen Spendensammlung möchte man sich bewusst unterscheiden. Zwischen Helfern und Hilfe-Empfängern wird kein Unterschied gemacht. Gemeinsam treffen sie Entscheidungen. Gemeinsam stellen sie sich vor die Supermärkte, um den Einkaufenden zu erklären, was gerade gebraucht wird. Vielleicht hat dieses neue Miteinander die Kraft, das Land über die Krise hinaus zu verändern?

"Solidarität für alle“ heißt die Organisation, die diese Basisinitiativen unterstützt. Abgeordnete der Linksopposition "Syriza“ spenden einen Anteil ihres Gehaltes, um sie zu finanzieren. Die Solidaritätsbewegung ist politisch nicht neutral. Sie kämpft für eine neue Regierung und ein Ende der Sparpolitik. Auch wenn das ein großes Risiko wäre und keiner weiß, was danach käme: "So wie bisher kann es doch auch nicht weitergehen“, sagen viele Engagierte.

Die Gefahr ist groß. Wächst das Rettende schnell genug? Griechenland braucht Hoffnung und Zukunft. Und es braucht die Solidarität von Europäerinnen und Europäern, die sich mit dem Fernurteil, "die Griechen“ seien eben an ihrer Misere selbst schuld, nicht zufrieden geben. Sondern hinter Zahlen und Schulden die Menschen sehen.

Zum Buch "Durch die Krise kommt keiner allein“ des ORF-Journalisten Christian Rathner findet am Dienstag 12. 11. um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Hartlieb in der Währingerstraße 122 in Wien-Währing eine Lesung mit Diskussion statt. Der Eintritt ist frei.

Durch die Krise kommt keiner allein

Was Griechenland Europa lehrt.

Von Christian Rathner Styria Premium 2013.

200 Seiten, gebunden, € 24,99

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