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Revolution als Resolution

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Wer unter rechtlichen Gesichtspunkten beurteilen will, was der Resolutionsentwurf bedeutet, über den am 4. Juli im Nationalrat abgestimmt wurde, geht am besten von jener Bestimmung der Verfassung aus, welche die Entschließungen regelt.

Gemäß Artikel 52 der Bundesverfassung sind der Nationalrat und der Bundesrat berechtigt, die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen, deren Mitglieder über alle Gegenstände der Vollziehung zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen sowie ihren Wünschen über die Ausübung der Vollziehung in Entschließungen Ausdruck zu geben. Der von SPÖ und FPÖ gemeinsam eingebrachte und im Verfassungsausschuß am 24. Juni gebilligte Resolutionsentwurf lautet:

„Der Nationalrat beauftragt die Bundesregierung in Würdigung der Tatsacke, daß — ohne Bezugnahme auf die einander widersprechenden Rechtsauffassungen des Verfassungsund Verwaltungsgerichtshofes in dieser Angelegenheit — eine Rückkehr Dr. Otto Habsburg-Lothringens nach Österreich nicht erwünscht ist, weil sie ohne Zweifel mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Republik Österreich verbunden wäre und wegen der Gefahr daraus entstehender politischer Auseinandersetzungen auch zu wirtschaftlichen Rückschlägen führen würde, dieser Feststellung als Willenskundgebung der österreichischen Volksvertretung in geeigneter Weise zu entsprechen.“

Die Politik macht sich selbständig

Mit Recht hat die Minderheit im Verfassungsausschuß — die Abgeordneten der Österreichischen Volkspartei — den schwersten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diesen Entwurf Ausdruck gegeben. Der Antrag entspricht der oben zitierten Verfassungsbestimmung schon der Form nach nicht. So enthält er: keine- Wünsche über die Ausübung der Vollziehung, sondern einen strikten Auftrag. Der Antrag widerspricht aber auch in der Sache selbst der Verfassung. Die Vollziehung hat den Gesetzen zu folgen. Davon hat sie ihren Namen. Was hier unternommen wurde, ist außerordentlich raffiniert. Zunächst wurde der Koalitionspartner bis an die Grenzen des Möglichen, in der Rechtsschutzfrage nach dem Urteil vieler über die Grenzen des Möglichen hinaus zu einem Entgegenkommen gedrängt. Schon wird dieses Entgegenkommen als Verurteilung der unbequemen Richter gedeutet. Damit ist es aber nicht genug. Nun soll die neue Mehrheit mit ihrem Beschluß eine Grundlage schaffen, damit das Verwaltungsgerichtshoferkenntnis in der Sache Dr. Otto Habsburg, für dessen formelle Vernichtung eine Zweidrittelmehrheit erforderlich gewesen wäre und nicht zu gewinnen war, praktisch doch mißachtet werden kann. Die Politik will sich dem Recht gegenüber selbständig machen. Die Bundesminister für Inneres und Äußeres bauen mit ihren Erlässen auf dem Zurückweisungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes auf. Es wird also weiterhin die juristisch ganz unhaltbare These verfochten, es bestehe ein echter Normenkonflikt zwischen diesem Zurückweisungsbeschluß und dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache selbst.

Eine „zusätzliche Klarheit“

So schreibt Franz Kreuzer in der

„Arbeiter-Zeitung“ am 27. Juni 1963: „Der Widerspruch, der beiden höchstgerichtlichen Entscheidungen bleibt bestehen — und es ist selbstverständlich, daß die verantwortlichen Minister nicht im Sinn des Erkenntnisses, dessen Inhalt durch die Interpretation des Verfassungsgesetzgebers desavouiert wurde, handeln werden, sondern, daß das im Parlament bestätigte Erkenntnis für sie verbindlich sein wird. Der Entschließungsantrag, der Mittwoch von Abgeordneten der SPÖ und der FPÖ gemeinsam eingebracht wurde, soll eine zusätzliche Klarheit darüber schaffen, wie die österreichische Volksvertretung in dieser Frage denkt.“ Diese zusätzliche Deckung für den

Rechtsbruch wäre rechtlich nicht wirksam, wird aber dennoch gesucht. Die Resolution bezeichnet — ein gefährliches Omen — einen Menschen als nicht erwünscht. Wer werden die nächsten sein, die in Österreich nicht erwünscht sind? Die Entschließung soll die Regierung dazu verpflichten, im Ergebnis jenes Erkenntnis zu mißachten, vor dem man sich formell dank

des Widerstandes der Volkspartei beugen mußte. Das Spiel um die Macht wird zum Spiel mit dem Recht. Der Stufenbau der Rechtsordnung wird umgestoßen. Was als Verfassungsgesetz politisch nicht möglich war und, weil es ein Verfassungsgesetz sein müßte, nicht als Gesetz beschlossen werden kann, soll nun als Resolution entstehen und „gelten“.

Respekt vor dem Recht unerläßlich

Eine solche Resolution ist in Wirklichkeit eine Revolution. Das ganze Vorhaben soll gewiß nicht nur dem angegebenen Zweck dienen; es soll den Weg zu neuen Machtverhältnissen bahnen; die neuen Machtverhältnisse werden auf Kosten des Rechtsbewußtseins angestrebt. Österreich aber braucht den Respekt vor dem Recht. Es muß, spät

aber doch, zur Erkenntnis der gewaltigen Leistung gelangen, die bei der Gestaltung des österreichischen Rechtsstaates von Kelsen, Seipel und vielen anderen erbracht wurde; dieser Staat muß sich bewähren, er muß zeigen, daß er mehr ist als ein Machtgefüge von Parteien und Interessengruppen, daß er eine Rechtsgemeinschaft ist.

Österreich braucht eine Integration seiner Traditionen auf der Grundlage dieser gegebenen Ordnung des Rechtes. Treue und Dienst, Freiheit, Verantwortung und Brüderlichkeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft müssen, miteinander verbunden, mehr und mehr gemeinsames Gut der durch vielerlei Meinungen und Interessen getrennten Österreicher werden. In vielen Lagern stehen Menschen, die das tief begreifen. Schon schien heilsames Wachstum im Gange. Auch die Erlebnisse dieses Sommers werden es auf die Dauer nicht aufhalten können, wenn die Resignation nicht überhand nimmt, wenn die Liebe zum Recht gerade in der Stunde seiner Gefährdung gestärkt wird, wenn die Unterscheidung der Geister gelingt und sich die Anteilnahme am Geschehen im Staat belebt. Vielleicht gelingt die Erneuerung!

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