Rot-Roter Kampf an der Spree

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Von der Regierungskrise, dem Sturz der großen Koalition und den vorgeschobenen Neuwahlen in Berlin hat bisher einer am meisten profitiert: der PDS-Politiker Gregor Gysi.

Im Schatten der Terroranschläge am 11. September 2001 fanden in Polen Parlamentswahlen statt, bei denen die reformkommunistische Partei siegte. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, aber die Menschen im Westen stehen häufig mit Unverständnis vor solchen Ergebnissen und fragen: "Haben die da im Osten immer noch nicht genug?" Aber nur die wenigsten im Osten sehnen sich nach den alten realsozialistischen Verhältnissen der Mangelwirtschaft zurück. Doch die Unzufriedenheit kennt einen Namen: die Angst vor Quoten aus Brüssel. So manch einem polnischen Bauern will es auch so gar nicht in den Kopf gehen, warum seine Kuh nur noch zehn Liter Milch pro Tag produzieren darf, wenn doch 30 Liter gemolken werden.

In Berlin, wo am kommenden Sonntag der Landtag neu gewählt wird, geht es jedoch nicht um Kühe, sondern viel eher um das goldene Kalb der Macht in der Bundeshauptstadt. Und dieses versteht kaum ein anderer besser und hartnäckiger anzustreben als Gregor Gysi, der ehemalige informelle Mitarbeiter der gehassten DDR-Stasi (Staatssicherheit).

Doch zunächst ein Blick auf die Ausgangssituation: Mit den Stimmen von SPD, Grünen und PDS wurde Mitte Juni der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen gestürzt. Nach diesem Bruch der großen Koalition wählte man den SPD-Politiker Klaus Wowereit zum Regierungschef eines von der PDS tolerierten rot-grünen Übergangssenats.

Wowereit vor Gysi

Bei allen Umfragen vor der Landtagswahl liegt nun die SPD in der Hauptstadt mit rund 34 Prozent klar vorn. Mit deutlichem Abstand folgt die CDU mit etwa 28 Prozent auf dem zweiten Platz. Von den übrigen Parteien liegen die PDS bei 16, die Grünen bei zehn und die FDP bei neun Prozent. Rein rechnerisch wären damit eine rot-rote Koalition aus SPD und PDS oder eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP möglich. Bei einer Direktwahl des Regierenden Bürgermeisters liegt laut Umfragen Amtsinhaber Wowereit mit 40 Prozent klar vor dem PDS-Spitzenkandidaten Gregor Gysi, den 23 Prozent der Berliner wählen würden. Für den CDU-Kandidaten Frank Steffel sprachen sich nur 19 Prozent der Befragten aus. Im Ostteil der Stadt liegt Gysi mit 38 Prozent vorn, im Westen führt dagegen Wowereit klar mit 45 Prozent. Nichtsdestotrotz verkündet Gysi weiterhin: "Ich will Regierender Bürgermeister einer kapitalistischen Metropole werden!"

Gysis Weg zurück auf die Bühne der politischen Macht war ein Meisterstück. Erst im Herbst vergangenen Jahres verabschiedete er sich als Parteifunktionär. Seine Verteidigungsaufgabe der PDS sei beendet, ließ er damals verlauten. Er wolle von nun an als "ganz normaler Politiker" das Projekt PDS verteidigen; denn die PDS müsse nicht nur in der Republik "ankommen", sondern auch im Westen Fuß fassen, um zu überleben. Dann, in der Zeit der Regierungskrise, nutzte Gysi diese für sich. Im politischen Wirrwar blühte er auf und ließ die Medien für sich spielen. Während die Kleinkrieger den Koalitionsbruch und die Neuwahl inszenierten - wer konnte schon ahnen, dass die Berliner CDU derart blind, verantwortungslos, ja zerrüttet war und noch dazu die Kandidatur von Wolfgang Schäuble hintertrieb - stieg Gysi auf wie Orpheus aus der Unterwelt und wurde zu dem, der bei diesem Stück die neuen Regieregeln vorgibt und zugleich die Karten der deutschen Bundespolitik neu mischt. Die Hauptstadtpolitik müsse von der "Regionalliga in die Bundesliga" ist Gysis Credo. Er meint damit: für die Berliner Politik die Provinzbühne, für ihn als Solisten die Hauptstadtbühne.

Ein Anwalt für alle?

Mit seiner Kandidatur ist eine Signalwirkung verbunden. Sein Erfolg und seine Manöver bestimmen nun auch das Schicksal von Bundeskanzler Gerhard Schröder, denn der Bundestagswahlkampf hat in Berlin begonnen, und Schröder wird Gysi mit dessen Genossen nicht mehr los.

Kann man Gysi entlarven? Den Entertainer, Hofnarren, Scharlatan, Homunkulus der Medien? Fragen nach seiner SED-Vergangenheit, nach "IM Notar", nach den Mauertoten? Wer sie stellt, ist ein "kalter Krieger, ein Spielverderber". Gysi ist der Anwalt aller, der Opfer wie der vermeintlichen Opfer. Und so plädiert er für eine bessere Entschädigung der DDR-Opfer und gleichzeitig gegen die "Strafrenten" der ehemaligen SED-Kader. Niemand ruft da nach politischer Moral. Er scheint immun gegen kritische Einwände, ein Virtuose des Lagerkampfes, der von der Diskriminierung profitiert.

Obwohl er noch nie ein politisches Amt hatte (außer den Parteivorsitz bei der PDS), hat er doch immer die "vernünftige Lösung" dabei. Man muss sich zusammensetzen, fair verhandeln, einfach vernünftig reden. Die Berliner sind gedemütigt von der provinziellen Großsprecherei und kleinkarierten Gehässigkeit der Berliner Politik. Deshalb begrüßt man den Anwalt auf der Hauptstadtbühne, der die Sehnsucht nach Intellektualität und Niveau (scheinbar) bedient. Gysi könnte von daher durchaus im frustrierten Westberliner Bürgertum punkten.

Der Wahltag wird jedenfalls zeigen, ob Gysi mit seiner zynischen Randbemerkung Recht behält: "Vielleicht ist Berlin so heruntergekommen, dass es selbst mich als Bürgermeister erträgt."

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