Rückkehr der Ex-Kommunisten?

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Am kommenden Wochenende wird in Rumänien gewählt. Wahrscheinlich kommen die Ex-Kommunisten zurück an die Macht. Ein Lokalaugenschein in Siebenbürgen.

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Am kommenden Wochenende wird in Rumänien gewählt. Wahrscheinlich kommen die Ex-Kommunisten zurück an die Macht. Ein Lokalaugenschein in Siebenbürgen.

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Rumänien liegt doch noch in Europa, oder?" fragt mich der Mann am Postschalter, als ich einen Brief aufgeben will. "Nimm nicht zu viel Bargeld mit, du wirst sowieso gleich ausgeraubt", warnt ein Bekannter vor der Reise. Im rumänischen Reisebüro kann ich endlich den Wechselkurs des Leu erfahren - für diese Woche; schon nächste Woche kann er sich ändern, die Inflation galoppiert. Hotelpreise werden in Dollar angegeben.

Meine Reise geht nach Siebenbürgen, in jenes Gebiet, wo Rumänien sprachlich und konfessionell am vielfältigsten ist. In Klausenburg - Kolozsvar heißt die Stadt auf ungarisch und Cluj-Napoca auf rumänisch - gibt es drei Bischöfe: einen orthodoxen, einen reformierten und einen unitarischen. Und die Stadt hat zwei staatliche Opernhäuser: ein rumänisches und ein ungarisches. Dort sind die Ungarn unter sich und genießen es, einmal nur ihre eigene Sprache sprechen zu können. 20 Prozent Ungarn leben in der Stadt, aber ungarische Aufschriften sucht man vergeblich. Die Universität ist mehrheitlich ungarisch, aber auch hier sind Formulare und Verlautbarungen rumänisch. Vor zahlreichen Häusern weht die rumänische Fahne - als Zeichen, dass hier Rumänen wohnen. Darum können Ungarn die Fahne ihres rumänischen Staates nicht vor dem Haus aufstellen. Zumindest im täglichen Leben ist die Nation in Rumänien ethnisch, und nicht durch Staatsbürgerschaft bestimmt.

Ist nur der Orthodoxe ein guter Rumäne?

Kein Wunder, dass es Ungarn aus Siebenbürgen genießen, wenn sie in Ungarn Aufschriften in ihrer Muttersprache lesen können. "Fühlt ihr euch dann zu Hause?" frage ich. "Ja", antwortet jemand. "Nein, es bleibt doch Ausland", meint ein anderer. Als Ungar in Rumänien hat man eine fragile Identität. (Bei der Olympiade hat man zu beiden Staaten gehalten, aber wenn Ungarn gegen Rumänien spielt, war man natürlich für Ungarn.)

Der Staat ist den Sprachen und erst Recht den Konfessionen gegenüber nicht neutral. Was die Rückgabe von Gebäuden oder staatliche Unterstützung anbelangt, wird die orthodoxe Kirche vom Gesetz offen privilegiert, die anderen Kirchen werden diskriminiert, sagt Kalman Csiha, der reformierte Bischof von Klausenburg. Seine Diözese besteht seit 1564, und er ist stolz auf ihr Erbe: "Religiöse Freiheit, ohne die anderen zu beleidigen."

Die orthodoxe Kirche, der etwa 19 der 22,5 Millionen Einwohner Rumäniens angehören, will als nationale Kirche anerkannt werden. "Das ist unannehmbar", sagt Erzbischof György-Miklos Jakubinyi von Alba Julia (ungarisch Gyulafehervar, deutsch Karlsburg). "Es würde bedeuten, dass nur der Orthodoxe ein guter Rumäne und Patriot wäre." Besonders leidet die griechisch-katholische Kirche unter diesem Anspruch. Erzbischof Jakubinyi bringt ein Beispiel, wie bei der letzten Volkszählung mit ihren Anhängern umgegangen wurde: "Ich habe mit Leuten in Alba Julia gesprochen, mit Rumänen: Die Volkszählung von 1991, die erste und bis heute letzte demokratische Volkszählung, hat nämlich nur 220.000 griechisch-katholische Rumänen ausgewiesen. Und diese Zahl ist natürlich lächerlich. Es gibt wenigstens, so behaupten sie, 800.000 griechisch-katholische Christen; im Jahr der Auflösung der griechisch-katholischen Kirche 1948 waren es 1,8 Millionen. Da kommt also der Volkszähler und fragt nach der Religion: 'Was bist du?' - 'Ich bin griechisch-katholisch.' Und der Volkszähler: 'Wieso griechisch-katholisch? Weißt du nicht, dass deine Bischöfe in derselben Konferenz am selben Tisch mit ungarischen und deutschen Bischöfen sitzen? Und sie haben wieder Siebenbürgen an die Ungarn verkauft; sie sind Verräter. Bist du Rumäne? Willst du Siebenbürgen?' Unser Mann sagt natürlich: 'Ich bin echter, überzeugter Rumäne; ich will Siebenbürgen.' Dann sagt der Volkszähler: 'Dann bist du orthodox, sonst bist du kein Rumäne.' Und der gute Mann schweigt dazu und wird als orthodox eingetragen. Und dann heißt es, dass die griechisch-katholischen Christen mehr Bischöfe als Gläubige haben und Ähnliches."

Die Schattenwirtschaft blüht als Einziges Der Caritas-Direktor der Diözese Alba Julia, Janos Szasz, ist auch Caritas-Präsident von ganz Rumänien. Er weiß, wie die Armut aussieht: Die Kinder haben es besonders schwer; viele leben noch immer in Heimen, in jeder großen Stadt gibt es Straßenkinder - mehrere Tausend allein in Bukarest. Rund 30 Prozent von ihnen kommen aus Siebenbürgen: aus einem Kohlenbergbaugebiet, wo der Bergbau unrentabel geworden ist und stillgelegt wird; die Arbeitslosigkeit beträgt dort 65 Prozent.

Die Caritas versucht zu helfen: mit Sozialstationen, Kinderheimen, in denen die Kinder in einem Familienverband leben, und sie ist in der Alten- und Behindertenarbeit tätig. Mit Österreich will man Familienpartnerschaften aufbauen, damit die Kinder zu Hause bleiben können und nicht Straßenkinder werden. Viele Menschen, die in Blockhäusern wohnen, können die Heizkosten nicht bezahlen und haben Angst vor dem Winter. Janos Szasz beschreibt mit knappen Worten die Ursache der Armut: "Die Schattenwirtschaft entwickelt sich und blüht, die normale geht zurück." Und so sind wenige sehr reich geworden, und viele werden ärmer.

Nur wenige im Land wissen Wahltermin Besonders schwierig ist die Situation der alten Menschen. Medikamente und Heilbehelfe sind teuer. Was das bedeutet, habe ich begriffen, als mir auf der Straße einer Kleinstadt eine Frau entgegenkommt, aus deren Rock ein Holzbein herausschaut. Aber auch das normale Leben ist kein Honiglecken: Ungefähr 300 Schilling macht das Stipendium für Universitätsstudenten aus (wenn sie eines bekommen), 200 Schilling kostet das Studentenheim (in einem Mehrbettzimmer).

Am 26. November finden in Rumänien Parlamentswahlen statt, und am gleichen Tag wird die erste Runde der Präsidentenwahlen abgehalten. Diesen Termin in Erfahrung zu bringen, war gar nicht so einfach. Wie schwer man in Rumänien - einige Wochen davor - jemanden findet, der den Wahltermin weiß, das allein zeigt schon, wie wenig man sich hier von der Politik erwartet. Und für die österreichischen Medien ist diese Wahl auch kein wichtiges Datum. Dabei lassen sie durchaus einen Einschnitt in der Politik Rumäniens erwarten: Die Vorwahlen haben gezeigt, dass die Ex-Kommunisten vor der Rückkehr stehen. Kaum jemand zweifelt noch daran, dass die vom früheren Staatsoberhaupt Iliescu geführte Partei der Sozialen Demokratie die maßgebende Kraft in der nächsten Regierung sein wird. Ob Iliescu die Rückkehr ins Präsidentenamt gelingt, steht noch nicht mit gleicher Sicherheit fest. Ziemlich gewiss dürfte aber eine Niederlage der regierenden Koalition der Rechten sein. Deren ursprünglich stärkster Kraft, der Christdemokratischen Bauernpartei, wird eine schwere Wahlschlappe prognostiziert. Die Unfähigkeit der bisherigen Regierung das versprochene Reformwerk so zu verwirklichen, dass die Bevölkerung Fortschritte verspürt, und die Zersplitterung des rechten Lagers gelten als Erklärung für den erwarteten Machtwechsel.

Keine demokratische Tradition vorhanden Werden kirchliche Fragen bei den Wahlen eine Rolle spielen? Erzbischof Jakubinyi meint: "Die spielen immer eine Rolle. Alle Regierungen wollten gegenüber der Außenwelt beweisen, dass sie alle Kulte unterstützen. Das hat schon der kommunistische Diktator Ceausescu gemacht, als er sich gegen Genossen Breschnjew empört hat - damals war er ein Held für die westliche Welt. Ceausescu hat die Chefs aller Kulte - die Patriarchen, Metropoliten, die protestantischen Bischöfe und die Präsidenten der Neuprotestanten auf Landesebene - einberufen (im Herbst 1968 in Bukarest), ein schönes Foto gemacht und in den Westen geschickt, um zu zeigen, dass seine Unabhängigkeitspolitik gegenüber der Sowjetunion von allen Kulten in Rumänien unterstützt wird. Dann kam die Iliescu-Regierung, jetzt die Constantinescu-Regierung - beide haben die Chefs der Kulte zu sich bestellt und Fotoaufnahmen gemacht. Das letzte Mal brauchte Präsident Emil Constantinescu die Anwesenheit aller Vertreter der anerkannten 15 Kulte, damit sie eine Deklaration unterzeichnen und bezeugen, dass alle Kulte in Rumänien den Beitritt Rumäniens in die Europäische Union unterstützen."

Wie die Demokratie, so kommt auch die voraussichtliche Rückkehr der Ex-Kommunisten in Rumänien mit Verspätung, kommentiert Erzbischof Jakubinyi. In der langen Türkenherrschaft sieht er viele Ursachen für verspätete Entwicklungen im Land begründet. Schwer wiegt, dass das Land in der Zwischenkriegszeit keine demokratische Tradition aufbauen konnte. Die autoritäre Königsdiktatur scheute nicht vor Wahlmanipulationen zurück, und die jungen Intellektuellen der beginnenden dreißiger Jahre wie etwa Mircea Eliade oder E. M. Cioran waren von der Eisernen Garde fasziniert, der rumänischen Variante des Faschismus. Rumänien hatte erst die letzten zehn Jahre, um Erfahrungen mit der Demokratie zu machen.

In diesen zehn Jahren sind weltoffene und sehr europäische Intellektuelle herangewachsen, gerade auch in der katholischen Kirche. Jedenfalls sind meine Freunde in Klausenburg, dem Geburtsort des großen Königs Matthias Corvinus, mehr Europäer als jene Wiener, die unlängst bei einem Fernsehquiz nicht wussten, in welches Meer die Donau mündet, oder als mein Postangestellter. Und ausgeraubt bin ich übrigens bislang auch nur in Wien worden - schon zweimal. Ich werde gerne wieder nach Siebenbürgen fahren.

Ein Gespräch mit Erzbischof Jakubinyi über die katholischen Kirchen in Rumänien lesen Sie auf Seite 7.

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