Rüsten für den Fall des Falles der Pflicht

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Einige Umfragen lassen für Jänner 2013 ein Ja zur Wehrpflicht erwarten. Die Daten könnten trügen. Das Soziale Jahr wird unter Druck vorbereitet.

In der Halle 6 des Messegeländes in Tulln an der Donau wird erwartungsvolle Spannung in der Luft liegen, wenn Sozialminister Rudolf Hundstorfer am Donnerstag nächster Woche nachmittags das Podium erklimmt: Tausende Bürgermeister und Kommunalpolitiker erwarten sich jetzt schon Antworten auf drängende Fragen, die sich stellen, sollte die Wehrpflicht per Volksbefragung im Jänner 2013 fallen - und mit ihr der Zivildienst.

Dieser ist "eine zentrale Frage der Zivilgesellschaft“, wie der Präsident des Gemeindebunds, der Hallwanger Bürgermeister Helmut Mödlhammer meint. Für Werner Kerschbaum, Generalsekretär des Roten Kreuzes ist der Zivildienst "eine Säule des Gesundheits- und Sozialwesens, ein Sprungbrett für junge Menschen in die Zivilgesellschaft, schließlich eine Win-win-win-Situation für Zivildiener, Organisationen und die von ihnen betreuten Personen“. Genau das, so befürchtet etwa auch die Caritas, stehe mit der Wehrpflicht - deren Alternative beziehungsweise Ersatz der Zivildienst ist - nun mit der von Verteidigungsminister Norbert Darabos geplanten Umstellung auf ein Berufsheer zur Disposition.

Erfolgsgeschichte Zivildienste

Es ist paradox genug: Was nicht zusammengehört - soziale Dienste im Inneren des Staates einerseits, dessen militärische Verteidigung nach Außen andererseits - hat über die Verknüpfung von Wehrpflicht mit ersatzweisen Zivildienst plötzlich miteinander zu tun. Die Ursache liegt in der Entwicklung des Zivildienst "vom verachteten Anhängsel des Bundesheeres“, wie es im Kabinett von Darabos heißt, zur "Erfolgsgeschichte“, wie man im Roten Kreuz sagt.

Tatsächlich stünden Organisationen wie das Rote Kreuz vor erheblichen Problemem, sollten ihnen plötzlich die Zivildiener fehlen. Ein Viertel dessen Personals sind die rund 4.000 jährlichen Zivildiener, nur eine Drittel sind bezahlte Mitarbeiter, der überwiegende Anteil sind Freiwillige. Insgesamt kommen sozialen, humanitären und sonstigen Einrichtungen die Leistungen von rund 13.500 Zivieldienern zugute, die dafür ein Entgelt von rund 300 Euro pro Monat erhalten plus ein gleich hohes Verpflegungsgeld. Die bezahlte Alternative käme teuer, sagen die Sozial-Organisationen.

Rund neun Monate Zivildienst von 13.500 Personen entsprächen etwa 10.000 Vollzeit-Äquivalenten, errechneten laut Kerschbaum diese Organisationen. Müsste Personal in ausreichender Anzahl als Ersatz für entfallene Zivildiener eingestellt werden, bedeute dies Mehrkosten von rund 140 Millionen Euro. Ähnlich hohe Ziffern ergaben vorausschauende Berechnungen der Kommunalpolitiker: Die Gemeinden seien die maßgeblichen Betreiber der Sozial- und Gesundheitsdienste. Würden in diesem Bereich fehlende Zivildiener ersetzt werden, bedeute dies insgesamt Mehrkosten von 250 Millionen Euro, die Hälfte davon entfiele auf die Gemeinden. "Eine gewaltige finanzielle Belastung also“, wie Mödlhammer gegenüber der FURCHE sagte. Dazu müssten dann noch die weiteren Kosten in den Seniorenheimen dazugerechnet werden. Dies alles macht aus der Wehrpflicht-Debatte via Zivildiener plötzlich eine politische Diskussion über Sozialstaat und Zivilgesellschaft, wie Kerschbaum "als Vertreter einer humanitären, nicht einer politischen Organisation“ sagt: "Wollen wir wirklich jegliche Tätigkeit für das Gemeinwohl durch Lohnarbeit ersetzen?“, fragt Kerschbaum im FURCHE-Gespräch.

So teuer wie in den skizzierten Berechnungen werde die mögliche Umstellung auf ein von Sozialminister Rudolf Hundstorfer angedaches "Soziales Jahr“ für Frauen und Männer wohl nicht werden, heißt es übereinstimmend in den Stäben von Darabos und Hundstorfer. Schon jetzt würden die "Vollkosten“ für die Grundwehrdiener rund 218 Millionen Euro betragen, meint etwa Stefan Hirsch, der Sprecher des Verteidigungsministers: "Die Umstellung auf ein, Soziales Jahr‘ ist kostenneutral darstellbar“, erklärt er.

Zwei Millionen Mehrkosten

Das Sozialministerium erwartet für den Fall einer Umstellung auf ein "Soziales Jahr“ Mehrkosten von lediglich zwei bis fünf Millionen Euro, sagt Norberr Schnurrer, Mitarbeiter im Kabinett des Sozialministers. Doch die genannten sozial-humanitären Organisationen erwarten nicht nur höhere Kosten, sondern befürchten bei Umstellung auf gänzliche Freiwilligkeit einen gleichzeitigen quantitativen Mangel an Personal.

Wie viele Menschen würden sich für ein Jahr verpflichten - und vor allem, diese Verpflichtung auch einhalten, fragt etwa Kerschbaum. Wenn die Wehrpflicht fällt, dann ist Ersatz in Form eines Sozialjahres erforderlich, meinen die Sozial-Organisationen. Oder zumindest ein halbes Jahr sozialer Dienst, wie es der Gemeindebund verlangt. Doch auch dazu kommen beruhigend-beschwichtigende Aussagen aus dem Sozialministerium.

"Man soll sich nicht füchten“, sagt Norber Schnurrer. Es gehe jetzt um die Wehrpflicht, sollte sie fallen, "kommt ein Ersatzmodell“ bekräftigt Schnurrer, währenddessen es sein Minister verhandelt. Bemerkenswerterweise koalitionär getrennt statt vereint.

Die für den Zivildienst zuständige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und der für das Soziale Jahr regierungsintern zustänige Sozialminister Hundstorfer führen getrennte Gespräche mit den sozial-humanitären Organisationen. Während diese noch in der laufenden Woche bei Mikl-Leitner geladen sind, sprechen sie mit Hundstorfer erst nächste Woche, einen Tag vor der Rede des Sozialministers vor dem Gemeindetag. Parallel dazu werden koalitionsintern die Fragen, die im Jänner 2013 voregelegt werden sollen, verhandelt. Denn die Fragestellung gilt als mitentscheidend für den Ausgang der Volksbefragung, für deren mögliches und wahrscheinliches Ergebnis erste Daten vorliegen, womit ein weiteres Paradoxon in der Gemengelage zutage tritt.

Trügerische Sicherheit

"Fast alle Umfragen sehen Mehrheit für Wahlpflicht“, titelte die Austria Presse Agentur vor wenigen Tagen. Verwiesen wird auf Umfragen des Market-Institutes, der GFK Austria, des Humanin-stitutes sowie auf Ecoquest. Das könnte jene, die der Zivildiener bedürfen, in trügerischer Sicherheit wiegen, auf die sich sich ganz offenkundig keineswegs einzulassen gedenken. Es ist vielmehr andersrum. Franz Küberl, Präsident der Caritas, schrieb wegen der Diskussion um eine mögliche Abschaffung der Wehrpflicht einen Brief an Bundeskanzler Werner Faymann. Er bat den Kanzler, dieser möge sich "im Falle des Falles“ für den Aufbau eines freiwilligen sozialen Dienstes einsetzen. Das war 2010. Aber erst jetzt geht’s los.

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