"Russland wird die Welt regieren"

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Vier russische Studenten über die bevorstehende Präsidentschaftswahl, Putins Leistungen, seinen Nachfolger und Kritik aus dem Westen.

Die Präsidentenwahl in Russland ist so gut wie entschieden. Es geht nur noch darum, den vom Kreml bestimmten Kandidaten Dimitri Medwedew ins Amt zu wählen. Putins Wunschkandidat ist seit 2005 Erster Stellvertretender Ministerpräsident, zuvor war er als Leiter der Präsidialverwaltung und Aufsichtsratsvorsitzender des Erdgaskonzerns Gazprom zu einem der mächtigsten Männer Russlands aufgestiegen. Ein Wahlkampf nach europäischem oder amerikanischem Muster findet nicht statt.

Was denken russische Studenten über diese Situation? Wie zufrieden sind sie mit der Politik ihres Landes? Junge Russen aus verschiedenen Regionen des Landes erzählen, ob, wen und warum sie wählen.

Galina Turischewa, 23 Jahre, Moskau:

Ihre russische Heimat liebt Galina. Die Doktorandin an der Moskauer Lomonossow-Universität wird auf jeden Fall zur Präsidentenwahl gehen. Doch zufrieden mit der Politik in ihrem Land ist die 23-Jährige nicht. "Im Kreml sitzen nur Verräter", sagt sie. Unter den vier Kandidaten sehe sie keinen, der würdig wäre, ein russischer Präsident zu sein. Wen sie wählen wird, verrät sie nicht. Galina bedauert, dass es bei den Wahlen nicht mehr die Möglichkeit gibt, auf dem Wahlzettel "gegen alle" anzukreuzen. So konnte der Wähler früher zumindest seinen Protest gegen die Politiker zum Ausdruck bringen, erzählt die studierte Politologin. Die Präsidentschaftswahl sei zwar frei, aber nicht fair.

Die Kritik aus dem Westen, kennt Galina, auch weil sie schon in Deutschland studiert hat. Einverstanden ist sie damit nur, wenn sie begründet ist. Allzu oft würden in den westlichen Medien aber alte Feindbilder reaktiviert. Die Presse im Westen schreibe nur über die negativen Ereignisse in Russland. "Deshalb entsteht in Europa der Eindruck, in Russland gebe es nur Armut und Kriminalität", meint die Moskauerin. Auch Schlagworte wie "Kalter Krieg" seien falsch, um die Beziehung zwischen Europa und Russland zu beschreiben. "Das Wichtigste ist, dass die europäischen Länder Russland nicht als Feind, sondern als Freund und Partner akzeptieren", denkt Galina. In einer globalisierten Welt sollten die Staaten friedlich kooperieren.

Wladimir Unagaew, 21 Jahre, Ulan-Ude, östliches Sibirien:

Für Wladimir aus Ulan-Ude in der Nähe des Baikalsees ist die Wahl am 2. März eine Premiere. Zum ersten Mal darf der 21-Jährige zu einer Präsidentenwahl gehen. "Da möchte ich unbedingt mitwirken", sagt er stolz. Mit der Politik des amtierenden Präsidenten Wladimir Putin ist der Germanistik-Student zufrieden. Auch Spitzenkandidat Dimitri Medwedew werde diesen erfolgreichen Kurs beibehalten, ist er sich sicher. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten, meint Wladimir. So sei die russische Rechtskultur unterentwickelt und die Rechte der Verbraucher seien nicht ausreichend geschützt. Zudem müsse das Gesundheitswesen reformiert werden.

Die Kritik aus dem Westen findet Wladimir, der schon ein Semester in Essen studiert hat, teilweise gerechtfertigt. "Eine Demokratie gibt es in Russland kaum", kritisiert er. Die Menschenrechte seien nicht viel wert in seinem Land. Dringend gelöst werden müsse das Problem des Bevölkerungsrückgangs. Letztlich denkt Wladimir aber, dass der neue Präsident die Schwierigkeiten meistern wird. "Mit dem alten Präsidenten Wladimir Putin hat unser Staat viel gewonnen", erklärt der Student. Auch unter dem voraussichtlich neuen Präsidenten Dimitri Medwedew werde Russland noch stärker von den anderen Ländern respektiert werden und eine wichtige Rolle in der Weltpolitik spielen.

Nuria Fatichowa, 25 Jahre,

Tscheljabinsk, Südural:

Nuria Fatichowa ist sauer auf die russischen Politiker. Zur Präsidentenwahl wird die 25-Jährige nicht gehen. Sie hat sich mit der Politik vollkommen überworfen. "Das Wort zufrieden fehlt in meinem Wortschatz zurzeit", sagt sie. Für ihre Unzufriedenheit hat die junge Frau Gründe. "Gestern habe ich einen 85-jährigen Veteranen gesprochen. Er sah noch sehr fit aus. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, wie der rüstige Rentner mit seiner kleinen Pension weiter überleben soll", berichtet sie. Viele alte Leute könnten nicht reisen, weil die Regierung im Kreml die Vergünstigungen für Zugfahrkarten gestrichen habe. Auch den Künstlern in der Provinz gehe es nicht besser. "Heute habe ich erfahren, dass ein Schauspieler nur 1500 Rubel (40 Euro) pro Monat verdient", empört sich Nuria.

Mit der Kritik der Journalisten und Politiker aus dem Westen ist die russische Staatsbürgerin mit tatarischen Wurzeln vertraut. Sie hat ein Jahr in Tübingen Philosophie studiert. Für Nuria steht fest, dass die Herren im Kreml das Problem sind. "Die Regierung soll endlich verstehen, dass das russische Volk nicht dumm ist", sagt sie. Obwohl es während Putins Amtszeit innenpolitisch wirtschaftliche Erfolge gab und außenpolitisch viele Fehlschläge, sieht Nuria dies genau umgekehrt: Putin habe sich nur auf die Außenpolitik konzentriert und nichts für die Innenpolitik getan. "Das ist ein Verbrechen", meint die Doktorandin. Im Fernsehen würden nur Märchen vom russischen Paradies erzählt. Die Realität sehe aber anders aus

Ilja Jakowlew, 22 Jahre,

Omsk, westliches Sibirien:

Für Ilja ist die Präsidentenwahl eine Farce. Zur Wahl wird er nicht gehen. Der 22-Jährige studiert zurzeit am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO). Dort wird die politische Elite des Landes ausgebildet. Doch viel Lust im Außenministerium zu arbeiten, hat Ilja nicht mehr. Von der Politik ist er enttäuscht. Zwar werde schon zum fünften Mal das Staatsoberhaupt vom Volke gewählt, aber die Zahl der Präsidentschaftskandidaten habe sich jedes Mal verringert, und Medwedew sei ohnehin so gut wie gewählt. "Es ist ein Wahl ohne Wahl", sagt er. Zudem habe die Regierung die Mindestwahlbeteiligung von früher 25 Prozent abgeschafft. "Darüber, ob es in Russland Demokratie gibt oder nicht, lohnt es nicht zu streiten", sagt der desillusionierte junge Mann.

Kritik aus dem Westen hält Ilja dennoch nicht für gerechtfertigt. "In Russland ist bestimmt nicht alles in Ordnung, aber im Westen ist es nicht besser", meint der Politikstudent. Außenpolitisch hat Ilja trotz seiner Politikverdrossenheit große Pläne. "In zehn Jahren wird Russland die Welt regieren", glaubt der junge Moskauer. Vorausgesetzt, die anderen Staaten würden diese Vormachtstellung nicht wieder durch Intrigen vereiteln, wie 1878 auf dem Berliner Kongress.

Der Autor ist Korrespondent des Netzwerks für Osteuropa-Berichterstattung, n-ost, in der westsibirischen Stadt Omsk.

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