"Saakaschwili ist ein Clown"
Expremierminister Arsenij Jazenjuk zieht Bilanz über die Revolution in der Ukraine, die Annäherung des Landes an die EU und Odessas umstrittenen georgischen Gouverneur.
Expremierminister Arsenij Jazenjuk zieht Bilanz über die Revolution in der Ukraine, die Annäherung des Landes an die EU und Odessas umstrittenen georgischen Gouverneur.
Man kennt ihn gar nicht ohne Anzug und Schlips. Doch seit ein paar Monaten ist Arsenij Jazenjuk nicht mehr im Amt. 26 Monate war er Premierminister der Ukraine. Jetzt hat er keine Funktion außer Parteichef der Volksfront. Am Sitz der Partei in Kiiv (Kiew) empfängt er sommerlich leger im T-Shirt.
DIE FURCHE: Sie wurden nach einer Regierungskrise im April als Premier vom Parlament abgewählt. Was waren denn die größten Fehler, die Ihre Regierung begangen hat?
Arsenij Jazenjuk: Ich würde eher fragen: Was hätten wir besser machen können? Das Problem war die fehlende Einigkeit in der Regierung. Die Koalition aus fünf Parteien war äußerst fragil. Und das ukrainische Establishment war nicht bereit für die tiefgreifenden Veränderungen, die anstanden. Es ist höchst unpopulär, wenn man dem Volk vier Austeritätspakete zumuten muss. Wir mussten die hochsubventionierten Tarife für Gas und Strom dem Markt anpassen und wohlhabende Pensionisten besteuern. Vier der fünf Koalitionspartner wollten da nicht mitgehen und machten Oppositionspolitik. Ihnen war nicht klar, dass sie ihrer Regierung den Rücken stärken mussten. Aber es ist uns gelungen, in zwei Jahren das Budgetdefizit von 10,5 auf 2,5 Prozent zu drücken. Und wir mussten uns der Oligarchen entledigen. Dmitri Fyrtasch, der ja in Wien sitzt, fungierte als Mittelsmann zwischen der russischen Gazprom und der ukrainischen Naftagas. Ich wurde auf eine Kamikaze-Mission vereidigt. Aber rückblickend muss ich sagen, ich würde alles nochmals genauso machen.
DIE FURCHE: Kann es sein, dass die EU die Ukraine zu schnell umarmt hat?
Jazenjuk: Statt Konzessionen an Russland zu machen?
DIE FURCHE: Statt zum Beispiel den Russen zu signalisieren: wir können beide gute Handelsbeziehungen zur Ukraine pflegen.
Jazenjuk: Es ging da nicht um Wirtschaft. Das Freihandelsabkommen war für Russland nur ein Vorwand, die Spannungen zum Westen zu verschärfen. Können Sie sich vorstellen, dass ein Staat wegen NAFTA oder TTIP beschließt, in einem anderen Land einzumarschieren? Es war die Entscheidung des ukrainischen Volkes, sich der EU anzunähern, die Russland zur Annexion der Krim und zum Einmarsch im Donbass bewogen hat.
DIE FURCHE: War es nicht vorhersehbar, dass Putin die Krim rauben will?
Jazenjuk: 1994 verpflichtete sich die Ukraine im Abkommen von Budapest, auf ihr sowjetisches Atomwaffenarsenal zu verzichten. Im Gegenzug wurden uns territoriale Integrität und Unabhängigkeit garantiert. Russland war unter den Signatarstaaten. Was Russland getan hat, ist ein völkerrechtliches Verbrechen.
DIE FURCHE: Das steht außer Frage. Aber wozu gibt es Geheimdienste und Think Tanks? Man wusste doch, dass Putin nicht nach den Regeln spielt.
Jazenjuk: Diese Welt hat Regeln und wenn sie jemand verletzt, dann muss er gestoppt werden. Alles andere führt ins Chaos. Was da passiert ist, ist ein Verbrechen. Wir haben tausende Soldaten verloren, sieben Prozent unseres Territoriums und 20 Prozent der Wirtschaft. Hier geht es nicht um Geopolitik, sondern um Menschenleben. Jeden Tag kommen Särge mit ukrainischen Soldaten aus Donezk und Luhansk.
DIE FURCHE: Hätte man sich darauf besser vorbereiten können?
Jazenjuk: Der damalige Präsident Janukowitsch hatte 2010 das Mandat der russischen Schwarzmeerflotte verlängert. 20.000 russische Soldaten waren auf der Krim. Die letzten fünf Jahre vor der Maidan-Revolution war unser Verteidigungsminister ein Russe, der die ukrainische Armee gezielt demontiert hat. 2014 war die Armee nicht in der Lage, Russland die Stirn zu bieten. Wir hatten gerade 5000 gut ausgebildete Soldaten. Die Entscheidung war also, das Festland zu verteidigen. Ich kann mir keine europäische Armee vorstellen, die es mit Russland aufnehmen will. Wir haben gekämpft. Das ist die Realität. Und in den letzten 26 Monaten haben wir eine neue Armee aufgebaut. Wir haben jetzt 260.000 Mann.
DIE FURCHE: Am Flughafen hängt ein Poster: "Befreien wir die Ukraine von Korruption". Viele Menschen sehen die Korruption als das größte Problem des Landes. Sie auch?
Jazenjuk: Ohne Zweifel. Wie in allen postsowjetischen Staaten. Wir haben auch viel getan. Zuerst haben wir ein unabhängiges Antikorruptionsbüro eingerichtet, das allen Vorwürfen nachgeht. Dann haben wir eine Antikorruptionsagentur geschaffen, die präventiv arbeitet. Und jeder Funktionär und öffentliche Angestellte muss sein Vermögen und seine Einkünfte transparent machen. Die Verkehrspolizisten bekommen ein anständiges Gehalt, damit sie nicht mehr jeden Autofahrer abzocken. Die Justiz ist noch ein Problem. Aber dank einer Gesetzesänderung können wir jetzt Richter absetzen und versetzen.
DIE FURCHE: Trotzdem klagen die Menschen noch immer über ausufernde Korruption.
Jazenjuk: Absolut. Aber das braucht Zeit. Nicht zuletzt ist es ja ein Mentalitätsproblem.
DIE FURCHE: Der Gouverneur von Odessa ist mit einer Antikorruptionskampagne angetreten. Was halten Sie von Micheil Saakaschwili?
Jazenjuk: Ganz offen: Er ist ein Clown. Er hat bisher nichts geleistet. Das Einzige, was er wirklich kann, ist schön reden und Pressekonferenzen inszenieren. Seine eigenen Leute in Georgien wollen ihn nicht mehr. Jetzt versucht er, eine politische Zukunft in meinem Land aufzubauen. Er wollte Neuwahlen provozieren. Er ist ein Populist, der mit den Herzen und Köpfen der Menschen ein Spiel treibt. Aber er kann keine Probleme lösen.