Sachlichkeit und Messianismus

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Von Josef Klaus' Bereitschaft, für eine sozial-liberale Öffentlichkeit einzutreten, profitierte auch Heinrich Neisser.

Josef Klaus 1910-2001

Bundeskanzler

Die Zeitgenossen waren in der geistigen Einordnung von Josef Klaus sehr rasch mit Klischees zur Stelle: ein (Neo)Konservativer mit starken katholischen Wurzeln, Modernisierer mit einer Politik der Halbheiten, politischer Moralist mit Hang zu Belehrung und Unterweisung. Diese Aussagen wurden und werden der Persönlichkeit jenes övp-Spitzenpolitikers, der 1966 die entscheidende Wende von der großen Koalition zu einer erstmaligen Regierung einer Partei herbeiführte, nicht gerecht.

1966: Überraschung für alle

Das spektakuläre Wahlergebnis vom März 1966, mit dem die övp die absolute Mehrheit errang, war eine Überraschung für viele. Auch für die Volkspartei selbst. Erst nach dem Fehlschlag von Koalitionsverhandlungen mit der spö entschied man sich, allein zu regieren. Damit begann jene Wende, die viele in Österreich, für die die große Koalition jede Attraktivität verloren hatte, begrüßten. Die politische Stimmung war gespannt. An Stelle von koalitionärer Kameraderie entwickelte sich Konfrontation. Bruno Pittermann, nunmehr Oppositionsführer, hatte unter Anspielung auf die Ereignisse des Jahres 1934 in der Debatte über die Regierungserklärung am 22. April 1966 im österreichischen Nationalrat mit drohendem Unterton gemeint, dass es nun eine Aufgabe der verantwortungsbewussten Männer und Frauen sein werde, "dafür zu sorgen, dass der Republik und dem Volk von Österreich die Wiederkehr eines ähnlichen Schicksals wie in der Ersten Republik in der Zweiten Republik erspart bleibt".

Diese an Klaus und seine Regierung adressierte Mahnung war überflüssig. Josef Klaus, der auf dem Klagenfurter Parteitag im September 1963 gegen die Konkurrenz von Heinrich Drimmel als Repräsentant eines Reformerflügels zum Parteiobmann der Volkspartei gewählt wurde, war ein zuverlässiger Demokrat. Er galt als Hoffnungsträger seiner Partei und war ein Konservativer mit reformerischen Ambitionen. Parteipolitik war für ihn keine Grundlage für eine Erneuerung des staatlichen Lebens. Seine Loyalität zur övp war kein Parteidienertum. Er versuchte in vielen Fragen des politischen und gesellschaftlichen Lebens offen zu sein, glaubte an eine "Versachlichung der Politik" durch eine Einbeziehung wissenschaftlicher Kompetenz in politische Entscheidungsprozesse - die so genannte "Aktion 20" sollte den Brückenschlag zwischen Politik und Wissenschaft institutionalisieren. Klaus gab jungen Menschen eine Chance, politisch zu überleben. Das kam auch dem Verfasser dieser Zeilen zu Gute. Diese Eigenschaft erzeugte nicht nur ein Gefühl der Dankbarkeit, sondern ermutigte zur Bereitschaft, für eine liberale Öffentlichkeit einzutreten und zu kämpfen.

Rundfunk, Todesstrafe ...

Viele politische Errungenschaften spiegeln den Reformgeist der Ära Klaus wider. Die Alleinregierung realisierte eine Reform des Rundfunkgesetzes, die im Oktober 1964 im ersten bundesweiten Volksbegehren der Republik von mehr als 830.000 Unterschriften unterstützt wurde - im Rückblick eine beachtliche medienpolitische Leistung. Auch im Bereich der Demokratiepolitik setzte Klaus bemerkenswerte Zeichen: 1968 erfolgte die Abschaffung der Todesstrafe; das aktive Wahlalter wurde von 21 auf 19 und das passive von 26 auf 25 Jahre herabgesetzt. Im Einvernehmen mit den Sozialpartnern kam es zur Einführung der 40-Stunden-Woche. Ein modernes Berufsbildungsgesetz sowie ein Arbeitsmarktförderungsgesetz bewies die sozialpolitische Kompetenz der vp-Regierung, deren Sozialministerin die Textilarbeiterin Grete Rehor war.

Die Partei verweigerte

Warum dem hoffnungsvollen Aufschwung des Jahres 1966 die Enttäuschung im März 1970 mit der Erringung der relativen Mehrheit der spö und dem Beginn der Ära Kreisky folgte, hatte viele Gründe: Neben einer oft zögernden und nachgiebigen Politik in einzelnen Bereichen war es die fehlende Unterstützung durch die Partei selbst, die als Führungsschwäche des Bundeskanzlers interpretiert wurde und die durch eine unglückliche "Hofübergabediskussion", die Klaus selbst vom Zaun brach, einen besonderen Akzent erhielt. Eine klare Ablehnung der fpö versperrte Optionen für die Zukunft. Neuerungen, wie die erwähnte Aktion 20 scheiterten an dem mangelnden Verständnis weiter Parteikreise für die geistigen Herausforderungen der Zeit.

Josef Klaus hat sich in seiner Biografie "Macht und Ohnmacht in Österreich. Konfrontationen und Versuche" als "Reformer zwischen Sachlichkeit und Messianismus" bezeichnet. Diese Selbstcharakterisierung ist nicht unzutreffend für das Wesen jenes Mannes, der nach der Analyse des Historikers Ernst Hanisch am Anfang einer "sozial-liberalen Periode" stand, in der zwischen 1965 und 1985 essenzielle Reformen stattfinden. Dass diese Epoche von zwei Politikern, Josef Klaus und Bruno Kreisky, geprägt war, die in ihrem Wesen nicht unterschiedlicher hätten sein können, mag als Kuriosum der österreichischen Zeitgeschichte gewertet werden.

Der Autor war von 1966 bis 1970 Mitarbeiter von Josef Klaus,

zuletzt als Staatssekretär im

Bundeskanzleramt.

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