Saddam geistert im Irak

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Das spurlose Verschwinden des Diktators gibt dem Mythos vom unbesiegbaren Saddam Hussein reichlich Nahrung. Die Klärung seines Schicksals ist das größte Hindernis auf dem Weg zu einem befriedeten Irak.

Der Krieg ist zu Ende, doch die Zahl der toten Soldaten und Zivilisten im Irak steigt. Reste des alten irakischen Regimes schüren das Chaos und Ärzte in den Spitälern bestätigen, dass die Zahl der im Nachkriegschaos verwundeten Patienten bereits jetzt höher liege, als jene der durch den Krieg verletzten. Immer wieder geraten US-Soldaten in einen Hinterhalt, werden getötet und verletzt.

Zentrum der Rebellion ist Falluja, eine 200.000 Menschen zählende Industriestadt, 30 Autominuten von Bagdad entfernt. Während die Iraker in anderen Landesteilen nach außen hin - zumindest vorläufig - die USMilitärpräsenz akzeptieren, zeigen sich in Falluja erste Anzeichen einer Nostalgie für Saddam Hussein, begleitet von offenem Ärger über den gewaltsamen Einzug der Supermacht. "Jeder Iraker ist bereit, sein Leben für den Widerstand zu opfern", meint ein zorniger Bürger der Stadt. Und ein dort stationierter US-Offizier gesteht: "Wir sind stets um unser Leben besorgt. Ständig fallen Schüsse." Die Bewohner von Falluja zählten zu den Privilegierten des Saddam-Regimes. Viele Männer der Stadt hatten sich der Elitetruppe, den "Republikanischen Garden" angeschlossen, in der Regierung oder in staatlichen Fabriken ein überdurchschnittlich hohes Einkommen bezogen. Für sie ist der Wohlstand nun abrupt zu Ende.

Guerilla formiert sich

"Es sind nur sehr kleine Gruppen - ein oder zwei Leute jeweils, die isoliert voneinander gegen unsere Soldaten agieren, meint ein hoher US-Offizier gegenüber der Furche. Und der Oberkommandierende der US-Bodentruppen im Irak, General David McKiernan, gibt zu, dass "Reste des Regimes eine größere Herausforderung" für die US-Truppen und "eine größere Gefahr für den Wiederaufbau des Landes"darstellen, als die anhaltende anarchische Gewalt. Immer noch sind zahlreiche Viertel Bagdads von Einbruch der Dunkelheit an in den Händen von kriminellen Gangs.

Während die US-Militärpolizei in Bagdad von 1.800 auf 4.000 Mann verstärkt wurde, zeigen sich die dort stationierten US-Soldaten nur von dem Wunsch getrieben, endlich heimzukehren. Unterdessen gibt sich US-Ziviladministrator Paul Bremer entschlossen, dem Chaos ein Ende zu setzen. Bis 14. Juni müssen alle Iraker ihre Waffen abgeben. Saddam Hussein selbst hatte in Vorbereitung auf den Widerstand gegen die Amerikaner Waffen an die Bevölkerung verteilt. Nach dem Zusammenbruch des Regimes hatten es die Amerikaner zudem verabsäumt, die Kasernen zu schützen, so dass ungeahnte Mengen an Kriegsgerät in die Hände von Plünderern geraten sind. Die Entwaffnung, wichtige Voraussetzung, um das Land zu befrieden, dürfte die Besatzungsmacht noch vor gigantische Probleme stellen.

So weigert sich etwa die schiitische Opposition, der "Hohe Rat für die islamische Revolution im Irak" (SCIRI), die seit zwei Jahrzehnten vom Iran aus den Sturz des verhassten Regimes betrieben hat, ihre Waffen auszuhändigen. Immer noch sind die Ängste vieler Iraker vor Saddam Hussein nicht verflogen. Was, wenn der Diktator wiederkommt? Die Ungewissheit über sein Schicksal sowie das seiner engsten Vertrauten steigert diese Furcht. Und die Amerikaner können sie nicht zerstreuen.

Authentisches Video?

Washington hüllt sich bis heute in Schweigen darüber, ob die am 9. April vom arabischen Satellitenfernsehen in Abu Dhabi ausgestrahlte Videoaufnahme, in der Saddam Hussein die Iraker zum Widerstand aufgerufen hat, authentisch ist. Immer noch fehlen Beweise, ob der Diktator bei den gezielten Luftangriffen ums Leben gekommen ist. US-Beamte gestehen ein, dass es für den Neuaufbau des Iraks von großer Bedeutung wäre, Saddams Schicksal zu klären.

In die Heimat zurückgekehrte irakische Exil-Generäle sprechen von zahlreichen Informationen, laut denen sich Saddam mit einer Gruppe von Getreuen noch im Lande selbst versteckt hält und seine Rückkehr plant. "Er befehligt im Verborgenen immer noch eine Gruppe von Anhängern" und er habe die Baath-Partei in "Auda" (Wiederkehr) umgetauft, meint etwa Ex-Generalmajor Taufik al-Jassiri, der den Amerikanern bei der Überprüfung des öffentlichen Dienstes zur Seite steht.

"Saddam reist mit Eskorte"

Kurdische Quellen berichten, dass Saddam, in traditionelle arabische Gewänder gekleidet, weitgehend unerkannt durch den Irak streife. Jüngst soll er sich sogar gemeinsam mit seinen Söhnen sowie seinem Sekretär Abd al-Hamid Humud rund um seine Heimatstadt Tikrit aufgehalten haben. Auch der Chef des von den USA unterstützten "Irakischen Nationalkongresses", Achmed Jalabi, bestätigt, dass Saddam den Irak nicht verlassen habe. "Saddam reist mit einer besonderen Eskorte und seine früheren Berater haben keine Ahnung, wo er ist und was er tut." Irakische Offiziere weisen darauf hin, dass Saddam ein Jahr Zeit hatte, um sich "auf alle Eventualitäten, auch den totalen Zusammenbruch seines Regimes" vorzubereiten. "Er ist ein Mann, der nichts dem Zufall überlässt" und seinem Überleben stets höchste Priorität einräumt. "Er verfügt über genügend Kommunikationsmittel", meint Jassiri. Und der General ist überzeugt, dass Saddam immer noch Gefolgsleute dirigiere und Chaos verbreite.

Wiederholte Zerstörungen der unter amerikanischer und britischer Anleitung reparierten Infrastruktur unterstützen diese These. Gleichzeitig kursiert das Gerücht, Saddam habe, als die US-Truppen an Bagdad heranrückten, den Republikanischen Garden heimzukehren befohlen . Der Diktator könnte eine kühne strategische Entscheidung getroffen haben. Im Wissen, dass eine US-Belagerung der Stadt seinen Untergang bedeutet, dürfte sich Saddam mit einer Gruppe von Getreuen in Sicherheit gebracht haben, um aus dem Untergrund die Amerikaner in einen Guerillakrieg zu verstricken. Mit dem von der US-Verwaltung verfügten Verbot der Baath-Partei und der Auflösung der irakischen Armee - von der rund 400.000 Soldaten künftig keinen Sold mehr beziehen und in schwere Existenznöte gestoßen werden - wird dem gestürzten Diktator ein wichtiges Potenzial für die Guerilla geschaffen.

Kein Zweifel, Saddams Gräuel und die seiner Söhne werden erst allmählich in ihrem vollen Ausmaß bekannt. Täglich dringen neue Berichte über ungeheuerliche Brutalitäten an die Öffentlichkeit. Die große Mehrheit der Iraker fühlt sich erlöst. Doch zunehmend beginnt auch der Lebenskampf das Denken der Menschen zu dominieren. Die Stromversorgung in Bagdad liegt immer noch bei 50 Prozent des Vorkriegsstandes - und das in einer Zeit, in der die Quecksilbersäule auf 50 Grad und mehr steigt. Erst allmählich beginnen die Amerikaner den öffentlich Bediensteten wieder ihre Gehälter auszuzahlen. Viele Iraker haben seit Monaten kein Geld bekommen. Sie können sich Lebensmittel nicht leisten und das Versorgungssystem der UNO ist noch immer nicht funktionsfähig.

Gewalt, Rechtlosigkeit, Krankheiten und politische Unsicherheit könnten das Geschäft im Irak weit weniger attraktiv machen, als ursprünglich gedacht, warnt beispielsweise der US-Konzern Bechtel, der nach Washingtons Wünschen einen Löwenanteil beim Wiederaufbauprogramm des Iraks übernehmen soll - vorerst aber noch abwartet.

Die Supermacht zermürben?

Auch die internationalen Hilfsorganisationen sind alarmiert: Die Unfähigkeit der US-Truppen, Sicherheit herzustellen, gefährde das Leben von mehr als 300.000 Kindern, warnt das Kinderhilfswerk UNICEF. Gegenüber 2002 leiden in städtischen Zentren heute doppelt so viele Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung. Bekommen die Amerikaner die Situation nicht in den Griff, könnte Saddams Strategie Erfolg haben.

Sollte es dem gestürzten Despoten aber auch gelingen, die Supermacht zu zermürben, andere Kräfte im Lande - allen voran die Schiiten und die Kurden - werden sich mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln der Wiederkehr des Despoten in den Weg stellen.

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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