Viele Jahre hindurch waren Debatten über den Obmann das beliebteste Spielchen in der ÖVP. Es grenzte fast an ein Wunder, wenn nicht zumindest im "Sommerloch" die Medien irgendwo einen Parteifunktionär aufspürten, der an den Führungsqualitäten des jeweiligen Parteivorsitzenden Zweifel anmeldete und entsprechende öffentliche Diskussionen auslöste.
Das hat sich, wie auch seine schärfsten Gegner zugeben, unter Wolfgang Schüssel geändert. Wie diese Partei bis dahin ihre Chefs absägte, spottete jeder Beschreibung. Es wäre ein skandalöser Rückfall in diese Zeit, würde die ÖVP jetzt ihrem Ex-Obmann Erhard Busek wieder einen Tritt geben, weil der Haider-Flügel der FPÖ Busek als Regierungsbeauftragten für die EU-Osterweiterung abgelöst sehen will.
Nun ist die SPÖ in Opposition, und plötzlich beginnt in dieser Partei, bekannt für die geringe Anzahl ihrer Vorsitzenden seit Victor Adler, ein Raunen, ob der neue Parteichef Alfred Gusenbauer das Zeug zum Kanzlerkandidaten habe. Dass dabei die steirischen Sozialdemokraten Vorreiter sind, offenbar vorsorglich einen Sündenbock für die drohende Niederlage bei der kommenden Landtagswahl suchend, verwundert nicht, auch nicht das prompte Interesse der Massenmedien.
Bezeichnend für unsere Zeit ist dabei, dass weniger Gusenbauers politische Aussagen und Handlungen, sondern vornehmlich sein Äußeres, seine Frisur, sein Sehbehelf, seine Kleidung analysiert und kritisiert werden. Auch wie die jetzt bei den "Sommergesprächen" auf geradezu obszöne Weise eingesetzten ORF-Kameras jedes Fältchen, jede Schweißperle, jede unbedachte Handbewegung eines Politikers gnadenlos ins Bild bringen, vollendet immer mehr die Entwicklung von sachlicher Politik zu Politik als Showbusiness.
Es gibt Politiker, die diesen Trend genießen und davon profitieren. Alfred Gusenbauer gehört - wie vor ihm so mancher ÖVP-Obmann - nicht diesem Politikertyp an. Das mussten jene, die ihn zum SPÖ-Chef machten, auch wissen. Die SPÖ hat jedenfalls zu Gusenbauer derzeit keine ernsthafte Alternative. Ob sie mit Gusenbauer je eine ernsthafte Alternative zur derzeitigen Regierung schaffen kann, ist seriös erst in ein bis zwei Jahren zu beantworten.
E-Mail: h.boberski@styria.com
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