Sahara die Unendlichkeit begreifen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Tuareg von Algerien: Begegnung mit dem stolzen Nomadenvolk inmitten einer bizarren Wüstenlandschaft

Ihren orangefarbenen Schleier tauscht sie nach einer Weile gegen einen tiefroten. Wir rätseln über die Bedeutung, doch vielleicht ist es nur ein praktischer Grund oder aufgrund unseres Besuches. Sie ist jedenfalls eine Schönheit: die schwarzen Haare, am Stirnansatz zu kleinen Zöpfchen geflochten, die unter dem Schleier verschwinden; nackte Füße, feine Gesichtszüge, dunkle Haut, und am Handgelenk trägt sie Silberarmreifen. Sie ist eine Targia, eine Frau der Tuareg.

Die Tuareg, das berühmte Nomadenvolk in der Sahara, betrachten Gold als unrein, so tragen sie nur Silberschmuck, der in Schmieden über Akazienholzglut angefertigt wird. Bei uns ist vor allem das "Kreuz von Agadez" (Stadt im Niger) bekannt. Das Kreuz, das eigentlich kein Kreuz ist, sondern eine Stilvariante eines gleichseitigen Dreiecks, ein typisches Tuaregsymbol.

Wir sind auf unserer Reise mit zwei Geländefahrzeugen durch die algerische Sahara im abgelegenen Bergdorf Mertoutek angekommen. Schon von weitem waren wir wohl zu hören. Die Bewohner des kleinen Dorfes haben uns auf das herzlichste begrüßt und willkommen geheißen. Ihr Leben mitten im Teffedest-Gebirge in Südalgerien ist wie mit einer Nabelschnur nur über eine Piste mit der nächsten größeren Oasenstadt, dem 400 Kilometer entfernten Tamanrasset im Hoggar-Gebirge, verbunden. Das Teffedest-Gebirge ist ein recht unzugängliches Granitmassiv, das vor allem in der Umgebung des Garet el Djenoun, des Geisterberges wie ihn die Tuareg wegen seinen Formen wie von einem Gesicht nennen, auf über 2.300 Meter ansteigt.

Abgesehen vom Bergdorf Mertoutek ist das Teffedest nahezu unbesiedelt. Die Täler sind übersät mit Granitblöcken, geschliffen vom Wind oder zersprengt durch die enormen Temperaturunterschiede.

Einige Kilometer vor dem Dorf kam uns schon ein Lkw entgegen, die Ladefläche überquellend mit winkenden Kindern und Jugendlichen. Später erzählt man uns, dass die Kinder nach den Ferien im Dorf wieder in die Schule gebracht werden. In der eigenen Schule mit zwei Klassen sind dann auch nur die ganz kleinen Kinder, die alle aufstehen und uns mit großen Augen anschauen, als uns der Direktor in die Klassen führt. Der Direktor, sichtlich stolz auf die kleine, einfache Schule, trägt Sonnenbrillen und einen weißen Kittel wie ein Arzt.

Die Männer machen mit trockenem Akazienholz Feuer und bereiten für uns den stark gesüßten, grünen Tee mit Pfefferminze zu. Sie tragen einen Gesichtsschleier, den Tagelmust, der Schutz vor der Sonne und dem Staub bietet und den Tuareg eine erhabene, anmutige Aura verleiht. Die Frauen müssen keinen Schleier tragen. Sie zeigen vielmehr stolz und offen ihr Gesicht und sind trotz Islamisierung der Nomaden in der Sozialstruktur dominierend und erbberechtigt.

Der Tee wird einige Male zwischen zwei Gefäßen hin- und hergegossen um ihn mit Sauerstoff anzureichern. Zuerst trinkt der Gast, dann der Gastgeber; dreimal wird der Tee gereicht, sollte er ein viertes Mal angeboten werden, sollte man ihn ablehnen, um höflich zu bleiben.

Die Tuareg bekamen ihren Namen von den arabischen Nachbarn und er bedeutet "von Gott verlassen". Sie selbst bezeichnen sich in ihrer Sprache als "Menschen, die Tamaschek sprechen", "als Menschen, die den Tagelmust tragen", als "freie Menschen". Ungefähr eine Million Tuareg siedeln aufgeteilt auf fünf Länder: im Niger, in Mali, Burkina Faso, Algerien und Libyen. Die Staatsgrenzen haben ihren Lebensraum, ihre Karawanenwege zerschnitten.

Die freien Menschen und die Freiheit, Unendlichkeit, Unbegreiflichkeit der Landschaft: "In der Wüste sterben wir, da uns das Wasser fehlt, aber wir schlürfen von der Freiheit", schreibt der libysche Tuareg-Schriftsteller Ibrahim al-Koni in seiner Aphorismensammlung über die Wüste. Die Ausdehnung dieser mächtigen Landschaft ist nicht begreifbar, schon gar nicht, wenn man stundenlang durch Gebiete fährt, tausende Kilometer zurücklegt und noch immer nicht den Horizont erreicht hat. Im Grunde hat man dann nur ein kleines Gebiet bereist.

Ein Werk des Windes

Die Sahara, mit acht Millionen Quadratkilometern die größte Wüste der Erde, erstreckt sich nahezu über ganz Nordafrika. "Das Meer ohne Wasser" wird sie genannt und dies wird begreiflich, wenn man bis zu 200 Meter hohe Dünen besteigt und über das weite Land blickt, wenn man Dünenformen von unermesslicher Harmonie und Schönheit, Kunstwerke des Windes, entdeckt. Doch die Sahara, nach unserer Vorstellung eine reine Sandwüste, besteht nur zu 20 Prozent aus Sandgebieten. Der Großteil sind Gebirgswüsten wie das Hoggar-Gebirge, mondähnliche Hochplateaus, ausgetrocknete, weitläufige Flusstäler (Wadis), Schluchten, Abbrüche und dazwischen immer wieder sogenannte Gueltas, Wasserbecken, umgeben von Schilf und Palmen, die sich durch die letzten Regenfälle gefüllt haben und nicht ausgetrocknet sind.

Die Stille hören

Vor tausenden Jahren war hier einmal ein fruchtbares Steppen- und Savannengebiet. Dies bezeugen deutliche Felsgravuren und Felszeichnungen von Giraffen, Kühen, Elefanten, Gazellen oder aber auch steinerne Reibschalen, in denen mit einem Stein Wildgetreide zu Mehl zerrieben wurde, auch für Laien leicht zu findende Faustkeile, Schaber und Pfeilspitzen, sowie Teile von Keramik. Die Felsgravuren von Tinterhert-Dider im Tassili N'Ajjer (Plateau der Flüsse, obwohl es seit Jahrtausenden dort keine Flüsse mehr gibt)/Südalgerien gehören zu den schönsten der Sahara. Besonders berühmt ist die "gelockte Kuh von Tinterhert", die eigentlich bei näherem Betrachten ein Stier ist.

Die tägliche Fahrt im Geländefahrzeug ist ein monotones Dahinschaukeln wie in einem Schiff, man sieht klare, leuchtende Farben, violette Berge, weiße oder rote Dünen, Gazellen, Esel und wilde Kamele, mit viel Glück auch den scheuen Wüstenfuchs, und in der Nacht klare Sternenbilder. Unser Lager mit der Feuerglut ist ein winzig kleiner Punkt in der unermesslichen Weite und im Schweigen der Landschaft. In der Wüste lernt man wieder auf die Stille zu hören, auf das Herzklopfen, den Atem, das Blut, das durch die Adern rauscht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung