Sahara mit Vollpension, Tuareg inbegriffen...

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Traditionelle Gesellschaften wie die Tuareg im afrikanischen Niger drohen durch die Modernisierung endgültig zu verschwinden. Eine neue Form des Tourismus soll helfen, das Überleben der legendären "blauen Männer" zu sichern.

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Traditionelle Gesellschaften wie die Tuareg im afrikanischen Niger drohen durch die Modernisierung endgültig zu verschwinden. Eine neue Form des Tourismus soll helfen, das Überleben der legendären "blauen Männer" zu sichern.

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Der globale Wandel aller Lebensbereiche greift überall: selbst die legendären "Blauen Männer" geben lieber ihre Karawanen auf und ziehen in die leuchtenden Städte, um angenehmer zu leben - während die Städter in die Wüste drängen, um die wahren Ritter der Wüste zu erleben. Tourismus als Retter einer Nomadenkultur ...?

Mechanisch betätigten drei Frauen die gelbe Drehpumpe des Dorfbrunnens von Timia im Norden Nigers. Zwischen das metallische Kreischen des Brunnens dringt das fröhliche Geschrei von Kindern, die hinter der Talbiegung unter dem Wasserfall baden. Timia ist ein Paradies am Fuße der Air-Berge. Das weiß Eva Gretzmacher, die langjährige Wiener Freundin des Nomadenvolkes, weshalb sie mit ihren Reisegruppen aus Österreich am Ende der staubigen Expeditionen durch die Tenere, das "Meer des Sandes", die erquickende Oase anzusteuern pflegt.

Das wiederum wissen die Männer von Timia, die, tief in ihre Schleier gehüllt, am Wasserfall ihre Schätze zum Kauf anpreisen. Handgetriebener Silberschmuck und feine Lederarbeiten sind begehrte Souvenirs und bringen bitter nötiges Geld, denn für Tomaten bekommt man keine Ersatzteile für die Pumpe; und ohne Pumpe - nicht auszudenken ...

Sklavenhändler Wenige kämpfen noch im Busch um ihr tägliches Brot, wie es die Väter getan haben: mit Kind, Frau und Kamelen ziehen sie von einem Wasserloch zum nächsten. Doch die fortschreitende Trockenheit verwandelt zu Wüste, wo vor Jahren noch saftige Weiden waren. Die katastrophalen Dürreperioden der siebziger und achtziger Jahre, als die Menschen mit dem Hungertod der Kamel- und Ziegenherden ihre Lebensgrundlage verloren, hat den Glauben an die Tradition erschüttert. Heute ist man froh, als seßhafter Bauer durch Bewässerung über die Runden zu kommen.

Die große Vergangenheit der gefürchteten "Blauen Männer", die als Sklavenhändler und Raubritter bis ins letzte Jahrhundert den Transsahara-Handel beherrscht hatten, ist fast schon Legende. Vor 90 Jahren machten französische Gewehre und Verwaltungsmethoden aus den widerspenstigen Kriegern brave, geachtete Hirten. Nach der Unabhängigkeit des jungen Nationalstaates Niger im Jahr 1960 allerdings ließ die schwarze Militärdiktatur ihre Verachtung gegenüber den "rückständigen Kameltreibern" spüren. Gezielte Schikanen gehörten zum Alltag der neuen Unabhängigkeit. So wurde der Ruin einer ökologisch angepaßten Nomadenwirtschaft gleichsam vorprogrammiert, ohne Alternativen zuzulassen.

Einen Ausweg aus dem Niedergang ergriff der visionäre und gebildete Tuareg Mano Dayak Anfang der achtziger Jahre, indem er die nach Exotik dürstenden Europäer das Flair der Tuareg-Kultur kosten ließ: Sahara-Tourismus als Mittel gegen die Verarmung und politische Unterdrückung seines Volkes. Dank seiner guten Kontakte nach Europa gewannen die Tuareg-Abenteuer rasch an Popularität und ließen Agadez, das Tor zur Tenere, zum Mekka der Wüstenpilger und Etappe der kapitalschweren Rallye Paris-Dakkar aufsteigen. Zahllose arbeitslose Tuareg fanden bei Mano Jobs als Fahrer, Köche und Kamelführer - und damit zu neuem Selbstbewußtsein.

Doch auch Kritik wurde laut, und es wurde vor einer Zukunft als "kamelreitende Wüsten-Tiroler" gewarnt. Das neidische Militärregime wiederum schikanierte die Nomaden, wo immer es ging. Diese Spannungen eskalierten 1990 nach einem Massaker an Hungerflüchtlingen, dem ein langer Wüstenkrieg folgte. Erst 1995 fand ein neues, demokratisches Regime in Niamey und die ermüdeten Wüstenkrieger zu einem brüchigen Frieden zusammen.

Salz aus der Wüste "Die Rebellion hat unseren Kindern fünf Jahre geraubt, Handel und Tourismus zerstört und uns verarmen lassen. Ignorierten die Behörden uns früher wie Ziegen, so sind wir heute als ,Banditen' gefürchtet", ist die karge Kriegsbilanz des Reiseleiters Ibn Ali.

Auch das Leben im Busch ist härter geworden. "Der Karawanenhandel bringt nichts mehr. Ein halbes Jahr lang Salz aus den Wüstensalinen durch Sandstürme nach Nigeria schleppen für einem Sack Hirse als Gewinn - pah!", winkt Huiah ab. Als Oasenbauer lebt er gefahrlos mit seiner Familie. Doch die Idylle trügt. "Bleibt der Sommerregen einmal aus, dann wären wir am Ende. Als Absicherung arbeite ich nun als Touristenführer!"

Drei, vier Gruppen pro Jahr betreut der erfahrene Fährtenleser. Mit dem Geld sollen die Kinder auf das Internat in Agadez, fünf Tagesreisen entfernt, geschickt werden. "Ohne Bildung haben wir keine Zukunft mehr, denn der Weg in die Vergangenheit ist versperrt. Die Frage ist nur, wer wir morgen sein werden, ohne spurlos zu verschwinden oder unsere Seele zu verlieren?" Eine Sorge, die zahlreiche europäische Freunde und Fürsprecher ethnischer Minderheiten teilen: Die Modernisierung traditioneller Gesellschaften radiere nicht nur deren Kultur und Identität aus, sondern verschärfe auch deren Verarmung im Abseits der internationalen Konkurrenz um Kapital und Wohlstand. Überhaupt verkomme die Welt mit dem Untergang indigener Traditionen zu einer einzigen grauen Fastfood-Kultur. Von Tradition allein kann - unter radikal veränderten ökonomischen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen - in der Wüste niemand mehr leben. Darum sind "die Menschen im Busch müde geworden und suchen nach neuen Lebenskonzeptionen. Die Rebellion hat die sklavische Bindung an die Tradition um jeden Preis gelöst. Wir erleben das Ende eines Lebensstils," wie Elkhaji Khamadede vom Entwicklungsprojekt EIRENE resümiert. Dagegen ist die Sorge begüterter Europäer um die Tradition exotischer Lebensweisen nur Ausdruck ihrer eigenen Fortschrittsmüdigkeit: Der Stadt-Indianer der ent-wunderten Moderne bangt um sein (Urlaubs-) Asyl in der Wunderwelt der "Edlen Wilden". Nach "echter Ursprünglichkeit" in abgelegenen Destinationen zu suchen, ist darum das insgeheime Motiv zahlloser, wohlbeworbener "Reisenden".

23 Reiseagenturen in Agadez ringen darum, mit ihren Landrovern den Hunger der Wüstengäste nach "authentischen" Erlebnissen - und damit den Hunger der Tuareg-Kinder nach Brot zu stillen. Doch die 3.000 jährlichen Besucher, die sich nach der Rebellion wieder ins Land wagen, machen nicht satt - vor allem nicht jene, die vor dem Krieg noch von ihren Ziegen lebten ... Doch die Ziegen sind tot. Also müssen jetzt andere Ziegen "gemolken" werden: In eine "Schweiz der Sahara" will der Ex-Rebellenführer und amtierende Tourismusminister das ärmste Land der Welt verwandeln: Man werde die hohen Sanddünen der Tenere zum internationalen Schizentrum umfunktionieren! Dabei weist Nigers Saharatourismus schon heute zweistellige Wachstumsquoten auf. Auch ohne Disney-Wüste.

Tourismus als Gift Tourismus ist wie Gift: eine Überdosis ist tödlich - für jene, denen die Besucherströme ungefragt von Regierungen und Investoren aufgezwungen werden. Denn am internationalen Tourismus im großen Stil verdient nur die Oberschicht, während die Kosten auf die wehrlosen Unterschichten abgewälzt werden: Abfälle, Wassernot, Inflation, Vertreibungen - die negativen Erfahrungen der Ärmsten der Welt mit den reichen Fremden sind Legion.

Doch wo liegt jene entmenschlichende Grenze der "Belastbarkeit", hinter welcher den Nomaden das würdelose Verhängnis bettelnder Fotoobjekte für actionsüchtige Cluburlauber blüht: blutleere Ritterkulissen hoch zu Kamel als Hollywood-Klischee von Abenteuer und Freiheit ... Alles andere als schießwütige Fotojäger anzukarren will Eva Gretzmacher mit ihrem Unternehmen "Imaran"-Voyages. Seit vielen Jahren pendelt die Kinderbuch-Autorin zwischen Agadez und Wien, um ihre Tuareg-Freunde beim Aufbau eines "sozialverträglichen Tourismus" mit Know-how und sensiblen Kunden zu unterstützen.

Dazu werden die potentiellen Wüstenpilger erst liebevoll in Frau Gretzmachers Oase über den Dächern von Wien in die "Reisekunst unter Tuareg" eingeführt, bevor ins gelobte Land gezogen wird. Was aber denken, erhoffen und befürchten die Nomaden selbst von den Fremden? Kann Tourismus überhaupt eine nachhaltige Alternative ohne gravierende Schäden eröffnen? Antworten darauf hofft der Autor, selbst langjähriger Reiseleiter, während seines halbjährigen Forschungsaufenthaltes im Air-Gebirge zu finden.

Vielleicht dienen die Ergebnisse den Tuareg als Warnung vor dem Abenteuer Tourismus - und den Touristen als Aufklärung über das Abenteuer unter Wüstenrittern.

Reiseinformation: Eva Gretzmacher, "Imaran"-Voyages, Spengergasse 61/19 (Atelier), 1050 Wien, Tel/Fax: 01-545.53.68

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