Sanktionen als stiller Krieg gegen alle

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Wirtschaftliche Sanktionen von Staaten gegen Regimes gelten als ein zulässiges Druckmittel. Wie die Lage in Gaza und im Irak zeigt, haben sie verheerende Auswirkungen auf die Menschen.

"Milch, Medikamente und Schulsachen für die Kinder konnte ich nur am Schwarzmarkt bekommen und das war teuer“, erinnert sich Amira, 35-jährige Irakerin aus Mosul, an die Zeit der UN-Sanktionen gegen Diktator Saddam Hussein ab 1990. Und: "Wieso bestraft uns die Welt für eine Regierung, die die meisten im Land selbst nicht wollen, haben wir gedacht.“ Obwohl menschenrechtlich umstritten, werden wirtschaftliche Sanktionen besonders seit Ende des Kalten Krieges oft eingesetzt, um Druck auf politische Akteure und deren Politiken auszuüben. Die neuen politischen Konstellationen nach 1989 führten dazu, dass sich Sowjetunion und USA im Sicherheitsrat nicht mehr gegenseitig durch Vetos blockierten. Die Tür zu neuen politischen Entscheidungen auf der internationalen Bühne wurde geöffnet, dazu gehörte auch der Beschluss von Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen. Sanktionen sind nicht-militärische Zwangsmaßnahmen in den Beziehungen zweier oder mehrerer Staaten oder gegen nicht-staatliche Akteure wie im Fall der UN-Sanktionen gegen die Al-Qaida. Die UNO verhängte vor 1989 nur in zwei Fällen bindende Sanktionen: 1966 gegen das weiße Minderheitsregime in Südrhodesien (heute Simbabwe) und gegen die südafrikanische Apartheidregierung 1977.

Die Geschichte der Sanktionen reicht bis in die Antike zurück - der erste historisch dokumentierte Fall war die Handelssperre der griechischen Stadt Megara durch die Seemacht Athen im Jahr 432 v. Ch., die ein Auslöser des darauffolgenden Peloponnesischen Krieges war. Theoretisch wird heute zwischen wirtschaftlichen, diplomatischen, kulturellen und technischen Sanktionen unterschieden, in der Praxis werden diese Arten oft gleichzeitig im Rahmen eines umfassenden Sanktionenpakets eingesetzt. Unterschieden werden auch unilaterale und multilaterale Sanktionen. Erstere werden von nur einem Staat gegen einen anderen verhängt. Bekanntestes Beispiel der letzten Jahre ist die Sanktionspolitik der USA gegenüber Syrien, noch vor den aktuellen Protestwellen. Multilaterale Sanktionen sind Maßnahmen einer Koalition von Staaten, wie etwa die Sanktionspolitik der UNO. Der Irak unter Saddam und der Gazastreifen heute sind Beispiele, wie verheerend umfassende uni- oder multilaterale Sanktionen für die Zivilbevölkerung des jeweiligen Landes sein können.

Humanitäres Drama Irak

Als Beispiel gescheiterter Sanktionspolitik gelten die umfassenden Wirtschafts-sanktionen des UN-Sicherheitsrats gegen den Irak ab August 1990. Die Sanktionen mit dem Ziel, Saddam für dessen Einmarsch in Kuwait abzustrafen, führten in den neunziger Jahren zu einer dramatischen Verschärfung der humanitären Situation der irakischen Bevölkerung. Der gewünschte politische Druck von innen auf Saddam blieb hingegen marginal. Kritische Stimmen sprachen nach dem US-Einmarsch 2003 in Anspielung auf Washingtons Alibivorwürfe der irakischen Massenvernichtungs-waffen sogar von "Massenvernichtungssanktionen“. Und nach Einschätzungen des belgischen UN-Berichterstatters Marc Bossuyt verstießen sie im Irak vielfach gegen humanitäres Völkerrecht: "Seit 1990 haben die Sanktionen zum Tod von über einer Million Irakern sowie einer halben Million irakischen Kindern geführt. Nie zuvor in der Geschichte der UN wurden vergleichbar harte Strafen gegen einen Nationalstaat verhängt“, schrieb er in seinem Bericht für den UN-Unterausschuss für Menschenrechte. Auf die hohe Todesrate bei irakischen Kindern als Folge des strikten Sanktionsregimes angesprochen, äußerte sich die damalige US-Außenministerin Madeline Albright in einem Interview: "Eine harte Entscheidung, aber wir denken, dass es uns wert ist, diesen Preis zu zahlen.“

Die durch den Iran-Irak Krieg in den 80er Jahren und die großflächige Bombardierung durch alliierten Truppen, angeführt von den USA unter Bush senior 1991, bereits schwer traumatisierte Bevölkerung musste mehrmals die folgenschwere Zerstörung der Infrastruktur des Landes mitansehen: Die für das Wüstenland zur Wasserversorgung elementaren Wasseraufbereitungsanlagen, Elektrizitätswerke und andere Infrastrukturen wurden vielerorts zerstört. Die Auswirkungen von völkerrechtlich geächteten, mit Uran versetzten Waffen, die im Zuge des Krieges zum Einsatz kamen, führten zu schweren Missbildungen und Krebsfällen bei Neugeborenen und Kindern. Auch die Zahl der Fehlgeburten stieg daraufhin. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO war der Irak vor dem Angriff ein Land mit guten Krankenhäusern und Universitäten, Nahrung war keine Mangelware. Doch im Zuge des jahrelangen UN-Embargos waren sogar Medikamente zur Krebsbehandlung und Schmerzmilderung nur in unzureichender Menge erhältlich. Eine ganze Generation von Kindern - die "sugar babies“ - wurden mit Zuckerwasser ernährt, da Milch nur am Schwarzmarkt zu hohen Preisen erhältlich war, viele starben infolgedessen. Bleistifte und andere Schulsachen fielen ebenfalls unter das UN-Embargo, die Bevölkerung befand sich im Prozess des physischen und psychischen Vegetierens. Die Sinnlosigkeit des Krieges und das Leid der Zivilbevölkerung erscheinen an keinem Ort stärker sichtbar als im Irak damals und heute.

Größtes Freiluftgefängnis der Welt

Auch die aktuelle Situation im Gazastreifen erinnert an jene Tage im Irak, die medial nur mehr wenig Aufmerksamkeit finden: Israel betreibt eine unilaterale Blockade gegen die Bevölkerung des kleinen Gebietes am Mittelmeer, auf dem dicht gedrängt rund 1,6 Millionen Menschen leben. Auch der Gazakrieg 2008/2009 erinnert in vieler Hinsicht an Szenarien aus dem Irak: Die für die Bevölkerung lebenswichtige Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser und UN-Einrichtungen wurde in Gaza unter Einsatz der völkerrechtswidrigen Nebelgranaten auf Phosphorbasis bombardiert. Seit Ende des Kriegseinsatzes "Operation Gegossenes Blei“ verhindert die israelische Regierung bis heute die Einfuhr von Baumaterialien zum Wiederaufbau, technischen Geräte, Medikamenten und vielem mehr.

"Das Embargo ist ein stiller Krieg, der uns daran hindert, als normale Menschen zu leben, wir befinden uns im täglichen Ausnahmezustand“, sagt Yousef, freier Journalist, der mit seinen Berichten aus Gaza gerade so über die Runden kommt. Familiäre Bande und Hilfsbereitschaft helfen im Trümmerwahnsinn des Gazastreifens, in der kollektiven Existenzfalle, in der sich die kriegszermürbte Bevölkerung heute befindet, die nicht vor und nicht zurück kann. Auch US-Präsident Barack Obama bezeichnete die Situation im Gazastreifen als "unhaltbar“. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes beschreibt die desolate Lage in den Krankenhäusern: "Unzureichende medizinische Ausrüstung, stundenlange Stromausfälle und verunreinigtes Wasser sind Faktoren, die Menschenleben kosten.“

Ausweg: Smart Sanctions?

Als Folge des Irakkrieges wurde ein neuer Ansatz in der Sanktionspolitik entwickelt, nach dem zukünftig durch Sanktionen hervorgerufene humanitäre Krisen wie im Irak vermieden werden sollten. "Intelligente“ oder "gezielte“ Sanktionen werden so fokussiert, dass sie genau den Personenkreis eines Landes treffen, der für wahrgenommenes Fehlverhalten verantwortlich ist. Gezielte Maßnahmen umfassen etwa das Einfrieren von Konten, das Einschränken der Reisefreiheit, das Ende der Kooperation mit Banken oder Wirtschaftsunternehmen. Die Folgen für die Zivilbevölkerung des jeweiligen Landes sollten damit gemildert werden. Nach Ansicht von Menschenrechtsexperten soll ein Impact Assessment (Folgenabschätzung) der zu treffenden Maßnahmen für die Zivilbevölkerung jedem Sanktionsbeschluss vorangehen. Nur so kann eingeschätzt werden, ob die Sanktionen ihren politischen Zweck erfüllen können, ohne schwere humanitäre Auswirkungen mit sich zu bringen.

Aus humaner Sicht fällt noch der negativ-psychologische Effekt von Sanktionen, des Abschottens nach außen und der Solidarisierung nach innen, auf. Kooperation und Dialoge mit allen Betroffenen gelten daher als wirkungsvollere Mittel denn Sanktionen.

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