Schlechte Zeichner bleiben hinter Gittern

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Promi-Psychiater Reinhard Haller werden veraltete Gutachten-Tests vorgeworfen. Jetzt klagt ein Langzeit-Häftling den Professor auf Schadenersatz.

Gemäß § 46 Abs 6 StGB darf ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter nur bedingt entlassen werden, wenn er mindestens 15 Jahre verbüßt hat und anzunehmen ist, dass er keine weiteren Straftaten begehen wird. Juan Carlos Chmelir hat schon 31 Jahre Gefängnis verbüßt. Regelmäßig stellt der 60-Jährige deswegen Ansuchen auf bedingte Entlassung. Regelmäßig werden diese abgelehnt.

Zuletzt im Mai dieses Jahres durch das Oberlandesgericht Linz, das damit den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom März 2008 bestätigt. Als Argument für die Verweigerung einer bedingten Entlassung wird von beiden Gerichten ein Gutachten genannt: „Im Dezember 2007 wurde der Strafgefangene vom Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Haller psychiatriert. Dieser diagnostizierte schlüssig, dass beim Beschwerdeführer schwere Persönlichkeitsstörungen und eine haftbedingte Wesensänderung vorliege. Die Prognose sei negativ.“

Nicht resozialisierbar!

Damit scheint für Juan Carlos Chmelir das Spiel um die Freiheit gelaufen. Gegen ein negatives Gutachten des prominenten Vorarlberger Gutachters Reinhard Haller kommt er nie mehr an. Noch dazu, wo Haller schreibt: „Gesamthaft betrachtet scheitert ein Resozialisierungsprozess bei Juan Carlos Chmelir schon daran, dass er nie richtig sozialisiert worden ist.“ Das heißt, die mehr als 30 Jahre Haft, vom Gesetzgeber als Resozialisierung gedacht, hatten zu keinem Zeitpunkt und bis jetzt und weiterhin Aussicht auf Erfolg. „Erstaunlicherweise“, schreibt Haller im Gutachten, „hat Juan Carlos Chmelir bisher noch nie eine psychologisch-psychotherapeutische Behandlung erhalten und an keinen Gruppen- oder Einzelgesprächen teilgenommen.“

So erstaunlich ist das nicht, wurden Chmelirs Anträge auf Resozialisierungsmaßnahmen doch jahrelang abgelehnt. Erst auf Drängen des Gerichts hin bekommt Chmelir letztes Jahr eine Therapie. Und sein Psychologe bestätigt, dass sich Chmelir „äußerst motiviert“ beteiligt. Weiters kann der Psychologe „eine altersbedingte Reifung der Persönlichkeit“ feststellen und „auch die Absicht, bewusst an Veränderungen seiner Einstellungen und Haltungen zu arbeiten …“

Das Gericht sieht diese Fortschritte, kann aber „angesichts der schweren Defizite, die vor allem durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. Haller dargelegt werden“, nicht glauben, dass sich die Persönlichkeitsstruktur Chmelirs grundlegend verändert habe.

Am Haller-Gutachten hängt also Zukunft, Wohl und Wehe des Strafgefangenen. Zu Unrecht, sagt der Salzburger Rechtsanwalt Helmut Schott. Dieser hat den Gerichtsgutachter-Geschädigten-Verband gegründet, nachdem er in einer Erbschaftsangelegenheit mit einem Gutachten von Reinhard Haller konfrontiert worden ist.

Schott beanstandet die Qualität von Haller-Gutachten. Andere haben sich ihm mit derselben Kritik angeschlossen. Aktuell laufen sieben Verfahren gegen Haller-Gutachten. „Der Gutachter haftet für die Richtigkeit seines Gutachtens“, begründet Schott sein Vorgehen. „Wenn es schwerste Bedenken gegenüber der Qualität dieses Gutachtens gibt, muss man den Gutachter einfach verklagen.“ Und das will Schott auch im Fall Chmelir machen: „Chmelir verklagt Haller auf Schadenersatz für jeden Tag, den er aufgrund dieses falschen Gutachtens länger im Gefängnis sitzt.“

Der Innsbrucker Neuropsychologe Klaus Burtscher liefert die Expertise dafür, dass das Haller-Gutachten über Chmelir schwere Mängel aufweisen soll. Die Untersuchungsmethoden, die Haller bei Chmelir durchgeführt hat, seien „völlig veraltet und schon lange nicht mehr Stand der Wissenschaft“, sagt Burtscher zur FURCHE. Der „Baumzeichentest“ tauge nur dazu, zeichnerische Fähigkeiten zu überprüfen, kritisiert Burtscher, nicht aber die Persönlichkeit eines Menschen. Baumzeichnungen dürfen genauso wie der von Haller bei Chmelir ebenfalls angewandte „Wartegg-Zeichentest“ nicht einmal mehr bei Berufseignungstests durchgeführt werden, sagt der Psychologe. Laut Burtscher gibt es international abgesicherte Verfahren für Persönlichkeitstests, Reinhard Haller erwähne diese auch in seinem Lehrbuch, aber durchgeführt hat er sie bei Chmelir nicht. „Kunstfehler“, fasst Burtscher sein Urteil über das Gutachten zusammen.

Reinhard Haller beruft sich, von der FURCHE mit diesen Vorwürfen konfrontiert, auf seine Schweigepflicht. Das Gutachten habe er jedenfalls „nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt“. Insgesamt gebe es 12.000 Tests, sagt Haller, und der Gutachter wählt aus, welchen er für geeignet hält bzw. mit welchem er am besten vertraut ist. Und zur Klagsdrohung meint der Psychiater, dass nicht der Gutachter hafte, sondern eine Amtshaftung besteht, „also kann nur das Gericht verklagt werden“. Außerdem sagt Haller, dass „die Richter entscheiden, wir haben ja keine Sachverständigen-Justiz“.

Formell mag das stimmen, in der Praxis schaut es aber anders aus. Zumindest bei Juan Carlos Chmelir. Da verlässt sich das Gericht voll und ganz auf das Gutachten und lehnt deswegen Chmelirs Entlassung ab – nach 31 Jahren Haft.

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