Alle wünschen sich angeblich von Politikern klare, mutige Aussagen. Erfolgt aber einmal eine solche, gibt es trotzdem sofort Kritik. Dabei hat die Aussage von ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel, seine Partei werde, sollte sie am 3. Oktober auf Platz drei zurückfallen, in die Opposition gehen, nicht nur Kommentare wie "Poker", "Drohgebärde" oder "Schmollwinkel" verdient, sondern entspricht zutiefst dem Wesen der Demokratie. Ohne ausreichendes Vertrauen der Wähler hat eine Partei wie die ÖVP, die jahrzehntelang Österreichs Politik bestimmt hat, in der Regierung nichts verloren. Nur wenn sie ihre Position hält, hat sie Anspruch aufs Mitregieren, nur wenn sie zulegt, während die SPÖ abbaut, dürfte sie an die Kanzlerschaft denken.
Gegenüber dieser klaren Position Schüssels verblassen die sonstigen Geplänkel, wer mit wem und unter welchen Bedingungen eine mehrheitsfähige Regierung bilden könnte. Sie sind auch wenig hilfreich für das wählende Volk. Wähler können nur Parteien, nicht aber Koalitionen wählen. Im Grunde gilt: Wer einer bestimmten Partei im künftigen Nationalrat Einfluß verschaffen will, muß diese Partei wählen, auch wenn er sie vielleicht nur als "das kleinste Übel" akzeptieren kann.
Natürlich kann man auch Meinungsumfragen studieren und dann aus Mitleid für einen voraussichtlichen Verlierer oder, um auf der Siegerseite zu sein, für den mutmaßlichen Gewinner stimmen. Natürlich könnte ein Wähler, der an sich einer anderen Partei zuneigt, dessen Hauptziel aber das Verhindern einer schwarz-blauen Koalition ist, auf die Idee kommen, diesmal für die Liberalen votieren, weil deren Verbleib im Parlament diesem Ziel am meisten dient. Natürlich könnten Anhänger einer solchen Koalition nun verstärkt zur ÖVP tendieren, weil sie, wenn überhaupt, nur unter einem ÖVP-Kanzler denkbar ist, und Gegner aus dem gleichen Grund eher von der ÖVP abrücken.
Empfehlenswerter als so ein "taktisches Wählen" dürfte aber doch sein, jene Partei anzukreuzen, mit deren Werten einen mehr verbindet beziehungsweise die über die größere Anzahl regierungsfähiger Kandidaten verfügt - auch wenn es schwer fällt, die Grundwerte heutiger Parteien zu erkennen und Politikern echtes Vertrauen entgegenzubringen.
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