Schwarz-Weiß reicht nicht

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Im unkontrollierten Ansturm unzähliger (weil nicht gezählter) Flüchtlinge unterliegen wir oft drastischen Gefühlsschwankungen zwischen Mitleid und Angst. Auch viele von denen, die so beherzt helfen, oft bis an den Rand der Erschöpfung, ob beruflich oder als Teil von Hilfsorganisationen, stellen zwischendurch die Frage nach dem Ausgang der Dinge. Die Überforderung des politischen Systems verstärkt die Machtlosigkeit der einzelnen.

Nachdem der Vertrag von Maastricht über die Begrenzung der Staatsschulden durch die Folgen der Finanzkrise ausgehebelt wurde, kippen nun in der Flüchtlingskrise die Verträge von Schengen (freier Personenverkehr) und Dublin (Umgang mit Migration). All diese europäischen Vertragswerke sollten ein gemeinsames Dach über nach wie vor souveränen Mitgliedsstaaten bilden. Nun erweist sich, dass ihre Belastbarkeit nur für normale Wetterlagen ausgelegt ist - finanzpolitischen Stürmen und geopolitischen Erdbeben halten sie offensichtlich nicht stand.

Nicht nur der gesamteuropäische Zusammenhalt steht auf dem Spiel, auch die inneren Anspannungen der betroffenen Länder nehmen zu. Umso wichtiger ist es - gerade auch in Vorwahlzeiten - immer dann, wenn rasche Urteile über das ungenügende oder überschießende Handeln anderer bei der Hand sind, innezuhalten und näher hinzuschauen. Oft zeigt sich dann, dass Schwarz und Weiß nicht ausreichen, um die grellbunt-düstere Problemlage richtig auszuleuchten.

Kaum ein Gespräch, das sich nicht nach wenigen Sätzen ums Flüchtlingsthema dreht. Kaum jemand, den es ungerührt lässt. Einige helfen in den improvisierten Notlagern, andere übernehmen Aufgaben in der Sprachschulung oder geben Unterstützung bei der Quartiersuche. Als ich der Mitarbeiterin einer Bank, die in ihrer Freizeit Neuankömmlinge betreut, per Mail meine Bewunderung ob ihres Engagements ausdrücke, antwortet sie völlig schnörkellos: "Das ist für mich aktuell selbstverständlich, obwohl mir natürlich bewusst ist, dass dieses Thema sehr vielschichtig ist. Das Lächeln eines Kindes, das sich endlich sicher fühlt, ist so eine schöne Belohnung."

"Gutmenschen" und "Bedenkenträger"

Die Herausforderung ist tatsächlich vielschichtig. Gerade deshalb sollten wir uns vor allzu schnellen Urteilen hüten. Mit "likes" oder "dislikes" auf Facebook ist es so wenig getan wie mit der Verächtlichmachung von "Gutmenschen" oder der Vorverurteilung jener "Bedenkenträger", die vor unkontrollierter Masseneinwanderung warnen. Neben dem beherzten Pragmatismus einer gelebten Nächstenliebe gegenüber Notleidenden muss eine nüchterne Sachdiskussion darüber bestehen können, wo auch künftig Grenzen gezogen werden müssen.

"Gesinnungsethik" und "Verantwortungsethik" lassen sich in der Flüchtlingsfrage nicht säuberlich voneinander trennen. Fest steht nur, dass wir dazu verpflichtet sind, nicht gesinnungslos zu handeln. Und wir müssen darüber streiten dürfen, was damit genau gemeint ist, ohne über einander herzufallen.

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