Schweden als großes Erlebnis der Demokratie

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Im Dreißigjährigen Krieg standen Schweden und Österreicher einander feindlich gegenüber, nach dem Ersten Weltkrieg fanden sie dank schwedischer Hilfe und Großzügigkeit zusammen. Bruno Kreisky, Willy Brandt und Olof Palme unterhielten sich auf Norwegisch, Schwedisch, Deutsch und Englisch – vor allem prägten sie ab 1969 ein sozialdemokratisches Jahrzehnt.

Sie teilten sich die Politikfelder und die politische Arbeit. Sie sprachen ihre Entscheidungen ab. Sie veröffentlichten ihren Briefwechsel – und sie prägten die Politik des sozialdemokratischen Jahrzehnts der siebziger Jahre, die Maßstäbe und teils historische Initiativen setzte: Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky (1911–1990), Regierungschef von 1970 bis 1983, Willy Brandt (1913–1992), Deutscher Bundeskanzler der Jahre 1969 bis 1974 und der Schwede Olof Palme (1927–1986), zweimal Regierungschef, zuerst von 1969 bis 1976, dann von 1982 bis zu seiner Ermordung bei einem bis heute nicht geklärten Attentat in Stockholm im Jahr 1986.

Es ist, hart aber bezeichnend genug, die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die zuerst Brandt und Kreisky zusammenführte. Sie hatten sich in sozialistischen Jugendorganisationen ihrer Länder betätigt, was unter dem Druck des NS-Regimes Brandt ins norwegische und Kreisky ins schwedische Exil flüchten ließ. Sie erlernten die Sprache ihrer Gastländer, lernten dort ihre Frauen kennen, verdienten in Oslo und in Stockholm ihr Geld als Journalisten. Ihre Leidenschaft galt jedoch politischen Debatten, dem Aufbau sozialistischer Parteien und politischer Strukturen ihrer Heimatländer nach dem Weltkrieg.

Im Exil hatten sie den skandinavischen, insbesondere den schwedischen Sozialstaat studiert, als Modell – aber laut Kreisky deklariert nicht als Vorbild – genommen. Als Brandt und Kreisky in ihren Länder regierten, war Schweden dank des Sozialstaats, aber auch wegen seiner geradezu historischen Großzügigkeit ein hier bekannter und geachteter Staat.

In Wien erinnern noch heute die Schwedenbrücke über den Donaukanal und der Schwedenplatz ebendort an die Hilfe, die Schweden nach dem Ersten Weltkrieg österreichischen Kindern gewährte.

„Rädda Barnen“ brachte das Essen

Die Organisation „Rädda Barnen“ (Rettet die Kinder) brachte junge Österreicher zu Pflegeeltern nach Schweden, sorgte für Studienplätze, besorgte Geld, Essen und Hilfslieferungen. Nach Schwedens Regierungschef Per Albin Hansson ist jene Wiener Siedlung benannt, die 1947 mit schwedischer Initiative und schwedischem Material errichtet wurde.

Trotz der restriktiven Einreisepolitik, welche die Deutschen dem neutralen Schweden im Gegenzug zu Waffengeschäften diktierten, schafften es wie Kreisky rund 600 weitere Österreicher, dort im Exil NS-Verfolgung und Zweiten Weltkrieg zu überleben. Für Kreisky war Schweden, wie er in seinen Memoiren schreibt, die „große Lehre“. Dort hat er politische Ideen entwickelt, demokratische Institutionen studiert: „Schweden war für mich das große Erlebnis einer funktionierenden und lebendigen Demokratie, wie es sie in dieser Form auch im alten Österreich nie gegeben hat.“

Schnittpunkt Skandinavien

Bruno Kreisky hielt im Exil Vorträge in schwedischer Sprache und in freier Rede, Brandt sprach norwegisch wie ein Norweger – und über die Parteiarbeit lernten sie Olof Palme kennen. Es waren wahrscheinlich nicht nur die deklariert linke Wirtschafts- und Sozialpolitik, sondern auch der außerordentliche Verstand für internationale Politik, was Kreisky, Palme und Brandt zusammenführte.

Palme hatte, sehr zur Irritation der USA, schon an den ersten Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg teilgenommen. Er schuf im Zeitalter des Kalten Krieges jene unabhängige Kommission für Abrüstungsfragen, in der, wie Kreisky schreibt, „hervorragende“ Spezialisten aus den USA und der Sowjetunion zusammenwirkten. Brandt wiederum widmete sich der deutschen Frage, dem Ost-West-Konflikt. Kreisky hatte sich im Auftrag der Sozialistischen Internationale mit hierzulande belächelten Fact-Finding-Missions in den Nahost-Konflikt eingeschaltet. Unstrittig ist, dass alle drei Regierungschefs den gewaltsamen Lösungen von Konflikten entgegentraten, für die Abrüstungs- und die Entspannungspolitik die Grundlagen legten. Dank wirtschaftlicher Prosperität, die jedoch vom ersten Ölpreis-Schock eingetrübt wurde, konnten sie den Wohlfahrtsstaat ausbauen und die schon in den Siebzigern überholten Strukturen staatlicher Industrien noch erhalten. Der überbordende Sozialstaat, die zunehmend steigende Steuerbelastung und das deficit spending der drei sozialistischen Regierungschefs wurde jedoch, mit unterschiedlichen Ursachen im Einzelnen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten, abgewählt und von konservativer Politik ersetzt.

Schweden und Österreich verbindet zudem die Neutralität, selbst wenn jene Schwedens früher entstand. Als Neutrale konnten sie der 1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nicht beitreten, gründeten daher 1959 mit Dänemark, Portugal, Norwegen und Großbritannien die Freihandelszone EFTA. Dies alles ist inzwischen in der Europäischen Union aufgegangen. Das große historische Verdienst der Neutralen bleibt ihre Vermittlungsleistung im Rahmen des KSZE-Prozesses, der in Europa die Entspannung und die großen Umwälzungen einleitete.

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