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Schweizerische Wohnbaupolitik

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Nicht nur die mittelbar vom letzten Kriege betroffene Welt, sondern auch die Schweiz hatte in den letzten Jahren unter einem Wohnungsmangel zu leiden, wie er in normalen Verhältnissen niemals festgestellt werden konnte. Viele Gründe, darunter nicht zuletzt große Rückwandererströme, haben diesen Zustand verursacht. Die Differenz zwischen angeforderten und erstellbaren Wohnungen mußte verkleinert werden. Die Notwendigkeit einer helfenden Einschaltung des Staates ward kaum überzeugender beleuchtet als in der Begründung, welche ein kantonaler Regierungsrat seinerzeit zu dem notwendigen Gesetze gegeben hat: .Wenn der Staat auf diesem Gebiete der Sozialpolitik versagt, dann treibt er die Betroffenen in eine staatsfeindliche Einstellung.“

Der Staat hat nicht versagt. Noch während des Krieges entschloß er sich, jedes Wohnbauvorhaben — selbstverständlich unter bestimmten Voraussetzungen — durch bedeutende Kapitalsubventionen zu unterstützen. Und zwar hatten sowohl der Bund als auch der Kanton und schließlich die Gemeinde je einen entsprechenden Teil der im Einzelfalle festzusetzenden Subventionshöhe zu bestreiten. Ohne Zweck- oder Sondersteuer, durch ordentliche Budgetbelastungen sind die Mittel dazu aufgebracht worden und gehen ä fonds perdu. Im praktischen Falle spielt sich der Vorgang etwa so ab, daß ein Teil des vom Bauherrn bei der Bank aufzunehmenden Baukredits innerhalb festgesetzter Zeit durch die öffentliche Hand getilgt wird. Und dieser Teil ist beträchtlich; denn die gewährte Subventionshöhe kann, Bundes-, Kantonsund Gemeindeanteil zusammengenommen, bis zu'40 Prozent der Baukosten ausmachen. Grundsätzlich gewähren die genannten drei Instanzen nur gemeinsam eine Subvention, schon deshalb, um die Subventionswürdigkeit im einzelnen von allen Seiten her beurteilen zu können. Wer könnte einen Wohnbaukreditwerber besser einschätzen als seine eigene Gemeinde? Kantons- und Bundesinstanzen stützen sich weitgehend auf das Urteil der Gemeinde, und das ist gut schweizerische Art.

Diese Subventionspolitik hat sich nun als sehr wirksam erwiesen. Es sind private Ein- und Mehrfamilienhäuser, genossenschaftliche Wohnhausblocks und kommunale Wohnbauten auf dieser Grundlage entstanden. Grundsätzlich konnte sich jeder wohnungsbedürftige Schweizer eine Wolinung erstellen, sofern er im Rahmen der Bedingungen blieb, wie etwa nicht zu großes Vermögen beziehungsweise Einkommen, nicht zu hohe Belastung derselben durch den eigenen Baukostenbeitrag, Einfachheit, günstige Veranschlagung, aber hygienische. E.i n w a n d f r e i hei t des Bauvorhabens, Familiengröße usw. So sieht man denn heute in der Schweiz eine große Zahl neuer Wohnhäuser, im Siedlungsstil, als modernes Vielfamilien-haus der Stadt, aber auch als privates „Hüsli“ freudvoll in eine prächtige Landschaft gestellt. Eigentümer all dieser Wohnungen sind hauptsächlich Mittelständler (also öffentliche und private Angestellte, Gewerbetreibende usw.), Arbeiter und Landwirte, darunter Wohnungsinhaber, die lediglich auf ihren Arbeitslohn angewiesen sind. Freilich kommt hinzu, daß in der Schweiz an sich gerade für Bauzwecke ein großes Geldangebot besteht, so daß wenig Schwierigkeiten vorhanden sind, das notwendige Eigenkapital bankmäßig auf sehr lange Zeit hypothekarisch oder bürgschaftsgenossenschaftlich usw. günstig aufzunehmen und in kleinen Raten zu tilgen. Es ist wahr und keine Seltenheit zudem, daß sich ein Schweizer ein Haus gebaut hat, ohne im Augenblick mehr verfügbares Geld zu haben, als für Baugrund und Bauplan notwendig gewesen sind; dieses aber ist in vielen Fällen, beispielsweise von fleißigen und sparsam lebenden Arbeiterfamilien,, innerhalb weniger Jahre erspart worden.

Hand in Hand mit der Subventionierung gingen staatliche Preiskontrollen auf Baustoffe und auch auf die Wohnungsmieten (wie schon im ersten Weltkrieg). Ein in ein Mietshaus investiertes Kapital kann sich praktisch zu höchstens zirka 6 Prozent verzinsen, wobei sich die Preiskontrollorgane auf den nachzuweisenden Effektivwert einschließlich Instandhaltungskosten, Neuinvestitionen für Umbauten oder Erweiterungen, Zinsenlasten usw., aber auch einschließlich entsprechender Amortisierungen beziehungsweise Abschreibungen stützen. Dadurch entstand einerseits ein natürlich anmutendes Verhältnis zwischen neuen, großen, auch luxuriösen Wohnungen mit hohem Zins und billigeren Zweckwohnungen oder solchen in älteren Häusern, andererseits verwirklichte sich ein durchaus wirksamer Mieterschutz, indem allzu große spekulative Gelüste als Folge intensiver Nachfrage gründlich eingedämmt worden sind. Der dank der Preiskontrolle angemessene Wohnungszins hat nun beim Wohnungslosen nicht etwa die unbedingte Tendenz nach .einer Mietwohnung vor einem Eigenheim wachgerufen, sondern die günstigen Baubedingungen verlocken nach wie vor dazu, eher durch Jahrzehnte eine monatliche Rate in ungefährer Höhe eines Normalzinses oder wenig mehr für eine eigene Wohnung zu zahlen und diese dann den Kindern erblich hinterlassen zu können, als stets in Miete zu sitzen. Wurde der Wohnbau zudem noch subventioniert, so lag der anreizende Vorteil vollends auf der Hand.

Die Statistik hat erwiesen, daß der Wohnungsbedarf bereits auf ein normales Ausmaß zurückgegangen ist. Infolgedessen hat kürzlich eine Volksabstimmung die weitere Aufrechterhaltung der Bundessubventionierungen als nicht mehr erforderlich abgelehnt.

Werden dadurch die kantonalen und kommunalen Subventionierungen (wo nötig) auch nicht berührt, so scheint dennoch eine gesunde sozial- und wirtschaftspolitische Arbeit, die von Erfolg gekrönt war, einen gewissen Abschluß gefunden zu haben. Die Mietpreiskontrolle bleibt vorläufig noch aufrecht, und erst, wenn auch diese fallen wird, wird man von einer völligen Normalisierung des Wohnungsmarktes in der Schweiz sprechen können.

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