"Sehe die Demokratie hier nicht gefährdet"

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Sein Besuch in Wien war längst ausgemacht. Im Rahmen des Vortragszyklus "Aufbruch in eine neue Zeit" hielt der polnische Ex-Außenminister Montag in Wien einen Vortrag. Der erste ausländische Politiker seit Ausbruch der EU-Eiszeit in Wien. Gelegenheit zu einem Gespräch über Krise, EU und Polens EU-Beitritt.

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Sein Besuch in Wien war längst ausgemacht. Im Rahmen des Vortragszyklus "Aufbruch in eine neue Zeit" hielt der polnische Ex-Außenminister Montag in Wien einen Vortrag. Der erste ausländische Politiker seit Ausbruch der EU-Eiszeit in Wien. Gelegenheit zu einem Gespräch über Krise, EU und Polens EU-Beitritt.

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dieFurche: Wie stehen Sie zur neuen Regierung in Österreich?

Wladyslaw Bartoszewski: Ich habe Polen am 2. Februar verlassen und war in Berlin. Inoffiziell habe ich erfahren, daß man auch in der CDU nicht sehr glücklich ist. Die allgemeine Meinung: Die Reaktion der Union sei im Prinzip nicht falsch, aber übermäßig. Man kann auch gar nicht bewerten, welche Prozeduren anzuwenden sind. Man hat sich geäußert ohne Vorbesprechung, ohne Diskussion. Im Vergleich dazu ist die polnische Haltung gemäßigt. Aber man muß klar sagen: Polen ist kein Mitglied der Union. Wir betrachten die internen Probleme der Union mit Interesse, weil es Modellfälle sein können und sie Präzedenzfälle schaffen können. Außerdem beobachten wir genau alles, was an Veränderungen in der Union stattfindet. An der Spitze der parlamentarischen Einrichtung, die diese Beobachtung der EU durchführt, steht Tadeusz Mazowiecki.

dieFurche: Hat er sich zu diesem Thema geäußert?

Bartoszewski: Vorsichtig, aber klar: Er sei erstaunt, aber etwas sei schon dran. Er sieht auch einen neuen Schritt in Richtung auf eine Wertegemeinschaft der Union. Und diese Sicht teile ich. Was die Union bisher getan hat, war die Probleme der Banken, der Wirtschaft, der Kompensationen zu berücksichtigen. Aber von den Problemen, die uns am Herzen liegen, war bisher wenig die Rede. Die Europäische Bischofskonferenz hat es stark betont: EU ja, Erweiterung sehr erwünscht, aber es geht um die Entwicklung einer Werte-, nicht nur einer politischen und Wirtschaftsgemeinschaft. Aus dieser Sicht kann man verschiedene Warnsignale anders bewerten.

dieFurche: Dieser Wertekatalog ist aber weitgehend unklar ...

Bartoszewski: Ja, wir wollen einen allgemeinen europäischen Konsens, um diese Werte zu präzisieren. Und wir - ich denke auch an die Leser der Furche - hätten gerne jene Werte verankert, die in den Zehn Geboten und in der Bergpredigt vertreten sind. Das reicht. Die aktuelle Anpassung an die moderne Gesellschaft - das ist eine andere Frage. Im 20. Jahrhundert ist es ein allgemeiner Begriff, daß man das fünfte Gebot, nicht zu töten, im weiten Sinn auslegt: Wende dich nicht ab, wenn andere töten, tritt ein für das Leben. Niemand hat leider bis heute - obwohl es seit über 50 Jahren die allgemeine Erklärung der Menschenrechte gibt - die mit diesen Werten einhergehenden Fragen bis zum Ende ausformuliert ...

dieFurche: Aber wie steht das jetzt mit der Wertegemeinschaft?

Bartoszewski: Die Union erklärt sich gegen einen Staat, gegen ein Mitglied. Wir sind hier Beobachter, wachsame, weil wir sehr für Österreichs Beitritt in die Union waren. Ich weiß das kompetent, weil ich damals Botschafter in Wien war. Es war eine nüchterne Überlegung: Österreich war für uns der Staat mit der Rolle des Brückenbauers, mit alter mittelosteuropäischer Tradition. Wir meinten, der Beitritt dieses Staates zur Union würde auch für uns Polen und die anderen osteuropäischer Länder positiv sein.

dieFurche: Hat sich an dieser Einstellung etwas geändert?

Bartoszewski: In der Fußnote muß man ganz leise sagen: Viele Polen haben sich in den letzten Monaten sehr enttäuscht gefühlt. Nicht durch die offiziellen Erklärungen, nicht bei Kontakten mit offiziellen Vertretern wie Franz Fischler oder Ursula Stenzel. Wir schätzen ihre Bemühungen und die namhafter politischer Vertreter sehr. Dagegen zeigen aber wohlbekannte Umfragen, daß die potentielle Erweiterung der Union bei mehr als 80 Prozent der österreichischen Öffentlichkeit auf Widerspruch stößt. Die jetzt vorgelegte programmatische Erklärung der Ziele der neuen Regierung könnten uns beruhigen. Aber wir haben nicht vergessen, daß der Leader dieser Partei, die jetzt Mitverantwortung für die Politik Österreichs trägt, sich verächtlich und sehr brutal mehrmals auch über die Polen geäußert hat. Ich habe das persönlich mitverfolgt. Damals war er kein Regierungsmitglied. Wäre er es aber gewesen, hätten seine Äußerungen über das polnische Staatsoberhaupt und das polnische Volk zu diplomatischen Noten geführt.

dieFurche: War es also Ihrer Ansicht nach ein Fehler der ÖVP mit der FPÖ eine Koalition einzugehen?

Bartoszewski: Es tut uns nicht weniger als Ihrem Bundespräsidenten leid. Bei uns wurde die Haltung des Bundespräsidenten voll akzeptiert, obwohl man auch Stimmen hört, daß die Reaktion der Union voreilig gefaßt wurd. Was ein oppositioneller Politiker sagt, muß nicht ewig gelten. Herr Friedrich Peter war SS-Offizier und hat mit Bundeskanzler Kreisky zusammengearbeitet. Auch daran erinnere ich mich. Die Tür zu dieser Art von Koalition wurde nicht von der ÖVP geöffnet. Aber daß die Regierungsbildung in Österreich fast ein Drittel eines Jahres gedauert hat, zeigt, daß hier eine Krise besteht ...

dieFurche: Was hat in Österreich nicht mehr gepaßt?

Bartoszewski: Es war eine interne stille Krise schon bemerkbar. Kein Erdbeben, die Österreicher haben eine große politische Kultur, aber die bisherige Koalition hat nicht mehr tadellos funktioniert. Der Verlauf der Koalitionsgespräche hat das doch bewiesen. Daß man sich auf einen parteilosen Minister nicht mehr einigen konnte, ist doch ein Vorwand zum Lachen. Der wirkliche Grund zum Scheitern von Rot-Schwarz liegt tiefer: politisch, psychologisch, atmosphärisch.

dieFurche: Sehen Sie die Demokratie hierzulande bedroht?

Bartoszewski: Momentan nicht. Deswegen ist für mich die Reaktion der Union eine voreilige Demonstration, die auf den bösen Erfahrungen mit einem Politiker basiert, der einfach zu viel redet und in der Hitze des Gefechtes zu viele unüberlegte Sachen sagt und dann mir nichts dir nichts, nach wenigen Monaten diese Worte wieder anders auslegt - dreimal, viermal. Die Leute ringsum sind nicht blöder als er. Sie sind nicht klüger als er, aber auch nicht blöder. Ich halte Herrn Haider nicht für einen Faschisten oder Neonazi, was viele im Ausland falsch und überspitzt formulieren. Aber Herr Haider ist ein geschickter, aktiver, fast brutaler Populist. Alle Faschisten in der bisherigen Geschichte waren Populisten, aber nicht alle Populisten waren Faschisten.

dieFurche: Geht nicht die politische Entwicklung in Europa überhaupt in die populistische Richtung?

Bartoszewski: Das freut mich keineswegs. Auch in Italien und Frankreich, die sich jetzt ziemlich scharf geäußert haben, sind führende Politiker nicht frei von Populismus. Der Populismus ist immer bedrohlich, denn er beinhaltet Lüge, Halbwahrheiten und Versprechungen. Dazu kommt die Politik- und Parteienverdrossenheit in mehreren europäischen Ländern, die von populistischen Politikern noch geschürt wird.

dieFurche: Gibt es einem EU-Beitrittswerber wie Polen zu denken, wenn von seiten der EU so massiv Einfluß auf die politische Willensbildung in einem Mitgliedsland genommen wird?

Bartoszewski: In Polen gibt es eine große Gruppe von EU-Skeptikern, nicht mehr als die Hälfte, aber sie wird größer. Menschen, die aus wirtschaftlichen, psychologischen, teilweise aus fundamentalistisch katholischer Sicht gegen Polens Beitritt in die EU sind. Es sind Leute die sagen, die EU ist nicht überschaubar. Sie begrüßen zwar die Werte, wie Menschenrechte oder Demokratie, andererseits fürchten sie, daß die Grenzen der Intervention in die polnische Identität überschritten werden. Ängste also, daß sich die EU in religiöse Vorstellungen einmischen werde. Werden sie sich in unsere Erziehung, unsere Familien einmischen? Und der einfache Mensch fürchtet sich dann und fürchtet um das ihm Vertraute und Bekannte.

Im Moment haben wir gute 50 Prozent für den EU-Beitritt. Das bedeutet, die öffentliche Meinung wackelt und ist nicht so eindeutig wie beim Thema Nato, wo bis heute 80 Prozent der Polen dafür sind. In diesem Sinne ist jede Unklarheit, wie jetzt im Falle Österreichs, den EU-Gegnern dienlich. Aber bis zur EU-Abstimmung in Polen im Herbst 2001 ist es noch einige Zeit und die Regierung muß sich jetzt einfach viel mehr Mühe machen um die politische Aufklärung. Das gilt im übrigen auch für die Kirche, die sich ja schon positiv gegenüber der EU geäußert hat.

dieFurche: Sie sind der erste namhafte ausländische Politiker, der Österreich unter den neuen Bedingungen besucht ...

Bartoszewski: Ich freue mich darüber. Ich habe meinen Urlaub im Salzkammergut gebucht, zum siebenten Mal, und ich habe keine andere Absicht. Ich kann mir eine bessere Regierung vorstellen, aber das ist nicht meine Sache. Was ich sicher in Polen sagen werde: 73 Prozent der Österreicher haben Herrn Haider nicht gewählt. Bis zu maximal vier Jahren wird es diese Regierung geben und ich meine: Die Scheidung ist möglich.

Das Gespräch führten Wolfgang Machreich und Christof Gaspari.

ZUR PERSON Ein Freund Österreichs Wladyslaw Bartoszewski wurde 1922 in Warschau geboren. Der katholische Intellektuelle und Politiker war in der Zeit der deutschen Besetzung Polens in den Jahren 1940-1941 im Konzentrationslager Auschwitz und von 1946 bis 1948 und später von 1949 bis 1954 wegen angeblicher Spionage in Gefängnissen des kommunistischen Polens eingesperrt. Schließlich wurde er als Mitglied der Gewerkschaft Solidarno's'c in den Jahren 1981-1982 noch einmal interniert.

Die Wende im Osten brachte auch eine radikale Änderung im Leben Bartoszewskis. Er wurde von 1990 bis 1995 polnischer Botschafter in Wien, um im Anschluß daran auf Vorschlag des damaligen Staatspräsidenten Lech Walesa Außenminister unter dem postkommunistischen Premier Jozef Oleksy zu werden. Heute ist Bartoszewski Mitglied des Senats, des Oberhauses im polnischen Parlament. Er ist Autor zahlreicher Bücher.

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