Berlusconi - © Foto: gemeinfrei

Silvio, einer von uns

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Wie viele seiner Amtskollegen verfügt Silvio Berlusconi über kein politisches Konzept außer jenem, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Zu diesem Zweck wird in Wahlkämpfen vieles versprochen und danach viel zu viel gehalten.

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Wie viele seiner Amtskollegen verfügt Silvio Berlusconi über kein politisches Konzept außer jenem, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Zu diesem Zweck wird in Wahlkämpfen vieles versprochen und danach viel zu viel gehalten.

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Es ist nicht unwahrscheinlich, dass viele Italiener Silvio Berlusconi nachtrauern werden. Er hat sich immer als der ihre ausgegeben, als der einfache Mann aus der Mitte des Volkes. Und einfach war er ja auch. So beschämend einfach wie das Niveau der Stammtische, über welche die Politik in Italien oder anderswo die "Lufthoheit“ (Horst Seehofer, CSU) zu gewinnen sucht. Ein bisserl Rassismus, ein Schuss Machismo, ein wenig Rotz auf Linke und Sozialschmarotzer und ein paar Witze mit Silvios beliebtesten Themen: Titten, Sex und Schwule. Kein Wunder bei soviel Bodenlosigkeit in allen Belangen, dass keiner seiner europäischen Amtskollegen dem Cavaliere eine Träne nachweint. Und doch scheint Berlusconi in vielen Belangen wie die personifizierte Groteske durchaus üblicher europäischer Politik.

Stillos und konzeptlos

Wie viele seiner Amtskollegen verfügt der italienische Premier über kein politisches Konzept außer jenem, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Zu diesem Zweck wird in Wahlkämpfen vieles versprochen und danach viel zu viel gehalten. Bei Berlusconi waren es die höheren Pensionen oder staatliche Förderungen für die Großunternehmer. In Österreich können wir getrost die immer noch nicht abgeschaffte Hacklerregelung als das Ende jeder finanzpolitischen Verantwortung nehmen. In beinahe allen europäischen Nationen ließen sich ähnliche Beispiele finden.

Dass dieses Wählerkaufsystem in Italien, aber auch in Österreich, Deutschland oder Frankreich auf Pump beruht, offenbart sich ganz aktuell an der grausamen Herrschaft der Finanzmärkte, welche die Verschwendungssucht finanziert haben und nun das von den Steuerzahlern Europas fordern, was ihnen von den verschwendenden Politikern versprochen wurde: Profit.

Zweite Parallele: Die Weigerung, Reformen zu unternehmen mit dem Verweis auf das mangelnde Verständnis des Volkes. Berlusconi warnte vor "der Macht der Straße“ und verschwand heuer für Tage von der Bildfläche als sein Finanzminister Giulio Tremonti ein erstes Sparpaket vorstellte. Nun, in Österreich ist es noch nicht so weit. Aber vielleicht nur, weil die Finanzministerin noch gemeinsam mit dem Kanzler vorgibt, lässig auf den Punkt warten zu können, an dem man sich dazu herablässt, den Staatshaushalt zu sanieren.

Das Primat der Günstlinge

Stattdessen werden, auch das eint die Strategen, dort wie hier Millionen-Peanuts gewälzt anstatt sich um Milliardenlöcher zu kümmern. Würde über die Ausgaben für das Spitalswesen ebenso akribisch gewacht wie über die Bedürftigkeit von Beziehern des Grundeinkommens - das Budget wäre um viele Milliarden Euro gesünder.

Noch eine Parallele, die Berlusconi als Übertreibungskünstler seit Jahren vorexerziert: Die Klientelpolitik. Die Unternehmensgesetzgebung in Italien verhindert Konkurrenz, überfrachtet Jungunternehmer mit Verordnungen und Abgaben - und stellt jene praktisch gesetz- und steuerfrei, die sich gute Anwälte oder Parteifreunde in der Regierung leisten können. Das Ergebnis ist ein vollkommen erstarrtes System, das Italien in den vergangenen Jahren entgegen bester Voraussetzungen zum Bankrotteur unter den größten 20 Industrienationen gemacht hat.

Auch hier ist die Situation im Rest Europas besser. Aber wo sind die Konzepte, die eine technologische Führerschaft der EU in Sachen erneuerbarer Energie und nachhaltiger Industriepolitik ermöglichen? Hier sind sie nicht - in den USA und China sehr wohl.

Bevor wir uns also freuen über den Abgang eines ungeliebten, bis auf die Knochen kompromittierten Skandalpolitikers, der sein Land an den Abgrund und vermutlich darüber hinaus geführt hat, sollten wir uns fragen, ob in ganz Europa nicht die falsche Sorte von Politikern an den Hebeln der Macht sitzt und steuert - immer gut für die Stammtische - aber noch immer ohne Maß und Ziel.

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