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Sind sie Lichtjahre vom normalen Leben entfernt?

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Konflikt- und spannungsgeladene Themen bestimmten die Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischöfe.

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Konflikt- und spannungsgeladene Themen bestimmten die Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischöfe.

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Diese Themen betrafen vor allem das Verhältnis Kirche-Staat. Und einige von ihnen sind auch auf die österreichische Situation übertragbar. So ging es um die Frage der Abtreibung, die Asylpolitik und den Dialog mit dem Islam. Weitere Themen waren die Frage der Umwelt und nicht zu vergessen: das Verhältnis Deutsche und Tschechen.

Die deutschen Politiker haben ihre vom Bundesverfassungsgericht aufgetragene „Schulaufgabe' immer noch nicht erledigt. Eine erste gesamtdeutsche Regelung der Frage der Abtreibung war vom höchsten Gericht als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar zurückgewiesen worden. Eine Neuformulierung stieß in der vergangenen Legislaturperiode auf innerparteiliche Hürden. Nun, nachdem der neue Bundestag sich wieder fest etabliert hat, soll endlich dieses Problem durch einen parteiübergreifenden Kompromiß gelöst werden. Und gegen diese nun vorliegenden Vorschläge wenden sich die deutschen Bischöfe.

Sie drohen, aus der Beratung „auszusteigen”, wenn der Bundestag einem der jetzt vorliegenden Gesetzesentwürfe zustimmen würde. Und kaum hatten sie bei ihrer Tagung in Münster dieses verkündet, stand ihnen schon liberale Kritik ins Haus. Der FDP-Generalsekretär Guido < Westerwelle meinte anmerken zu müssen: sie seien „Lichtjahre vom normalen Leben entfernt”. Was Deutschland brauche, sei eine Rechtssicherheit für einen besseren Schutz ungeborenen Lebens. Dieses Leben könne nur mit der Frau, aber nicht gegen sie geschützt werden.

Kein Tötungsangebot!

Ob die deutschen Bischöfe „Lichtjahre vom wirklichen Leben” entfernt sind, wird sich erst zeigen müssen, wenn sie sagen, das Gebot „Du sollst nicht töten” sei keine kirchliche Sonderlehre, sondern für alle verbindlich. Auch liberale Rechtsauffassung kann sich diesem nicht entziehen. Und inzwischen wurde in Deutschland bekannt, daß sehr viele Abtreibungen auf das Konto „Druck” durch den Partner oder die Angehörigen gehen.

In Deutschland geht es nun, wie die Bischöfe feststellten, um eine Entscheidung über Leben und Tod für die nächsten Jahrzehnte. In einer solchen Situation ist es mehr als notwendig, daß den Politikern der Spiegel vorgehalten wird: Wie hältst Du es mit dem Leben. Gefälligkeitsgesetze oder liberaler Stimmenfang sind nicht gefragt. Der Staat hat, wie die Bischöfe eindeutig festhielten, kein Verfügungsrecht über menschliches Leben und er kann ein solches Recht auch niemandem einräumen, weder der Mutter noch dem Arzt. Der Vorsitzende der Konferenz, Bischof Karl Lehmann, hielt eindeutig fest: Unrecht gegenüber dem menschlichen Leben dürfe der Staat nicht kaschieren, indem er es straffrei lasse. Kein Parlament der Welt könne das von Gott gegebene Recht auf Leben außer Kraft setzen.

Nur einen Entwurf erkannten die Bischöfe an. Er stammte von einer „Gruppe christlicher Abgeordneter”. Dieser sei verfassungsgemäß und

entspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Und so bleibt die katholische Kirche dabei: wird ein Gesetz verabschiedet, das dem Tötungsverbot zuwiderläuft, ist es der Kirche unmöglich, ihre Beratungsstellen weiter zu betreiben. Bischof Lehmann formulierte es so: Beratung darf nicht mit dem Angebot oder dem Rat zur Tötung des Kindes verbunden sein.

Nicht minder legten sich die katholischen Bischöfe mit dem Staat und den staatstragenden Parteien in der Asylfrage an. Sie erklärten Einzelpunkte dieser Politik als unangemessen, unzureichend und menschenunwürdig. Vielfach werde einfach eine Abschottung als Schutz praktiziert. Das politische Vorgehen sei zum Teil nicht nachvollziehbar. Konkret waren es zehn Punkte, die

von den Bischöfen kritisiert wurden. Hierzu gehören vor allem:

Die „zu schnell, zu lange und zu häufig” verhängte Abschiebehaft führt oft zu Ausweglosigkeit und Verzweiflungstaten. Das Asylverfahrensrecht ist so kompliziert, daß ein wirksamer Bechtsschutz nicht immer gewährleistet ist. Die sogenannte „Drittstaatenregelung” lasse es zu, daß auch tatsächlich Verfolgte an der Grenze abgewiesen und durch völkerrechtlich untersagte „ Ketten-abschiebungen” letztlich wieder an ihr Fluchtland ausgeliefert würden.

Nicht zuletzt verhindert die in Deutschland einheitlich geübte Abschiebepraxis einen wirksamen Schutz für die syrisch-orthodoxen Christen aus der Türkei.

Automatisch lenken die aus der Türkei stammenden Christen den Blick auf den Islam und eine oftmals sprichwörtliche Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, die in moslemischen Ländern vielfach als Ungläubige bezeichnet werden. Christliche Minderheiten sind in vielen moslemischen Ländern bedroht. Für ihre Moslems aber fordern gerade diese Länder in den Ländern, in denen sie die Minderheit darstellen, eine eindeutige Religionsfreiheit und die Möglichkeit, Moscheen zu errichten. Eines der bedeutendsten Beispiele hiefür ist Rom. Hier errichten sie eine übergroße Moschee.

Nun schlagen die deutschen Bischöfe vor, den Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit ins Spiel zu bringen. Es kann in diesem Zusammenhang gefragt werden, ob ein solcher Weg der richtige ist; dennoch muß auch festgehalten werden, daß viele moslemische Staaten keine andere Sprache verstehen. Die Türkei und die Behandlung der christlichen Minderheiten sprechen eine eigene und

eindeutige Sprache. Die deutschen Bischöfe ihrerseits richteten sich zunächst einmal an in Deutschland lebende Moslems. Sie sollten sich öffentlich dafür einsetzen, „daß die Christen in den islamisch geprägten Heimatländern die gleichen Möglichkeiten des religiösen Lebens hätten wie die Moslems in der Bundesrepublik”. Ob diese Aufforderung Gehör finden wird?

Aufarbeitung von Altlasten

So wie alle gesellschaftlichen Gruppen sind auch die Bischöfe gefragt, wenn es um die Erhaltung der Natur und der Schöpfung geht. Dem folgend richteten sie ein Wort an den Ende März in Berlin geplanten „UN-Klimagipfel”. An ihn gerichtet meinten die Bischöfe, die Industriestaaten seien die Hauptverursacher des Schadstoffausstoßes. Sie, die zudem auch noch über das entsprechende wirtschaftliche Potential verfügten, seien herausgefordert, die Lasten zur Beseitigung der Umweltbelastungen zu tragen. Und so meinte denn auch der deutsche Episkopat: „Angesichts der die Zukunft der gesamten Menschheit betreffenden, voraussehbaren Klimaveränderungen ist dem Schutz des Weltklimas Vorrang vor nationalen, wirtschaftlichen und politischen Interessen einzuräumen.”

Erwartet wurde von dem deutschen Episkopat ein „Wort der Bischöfe zum Ende des Zweiten Weltkrieges”. Was kam, war ein „Gemeinsames Wort der deutschen und tschechischen Bischöfe aus Anlaß des 50jährigen Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkrieges”. Es wurde gleichzeitig am Tagungsort in Münster und in Prag veröffentlicht. Der Tenor dieses Wortes: Politiker beider Länder sind zu einem gemeinsamen Dialog aufgefordert. Sie sollten durch ihre Gespräche hin zu einer Wiedergutmachung finden, die in erster Linie darin bestehe, „sich innerlich von alter nationaler Feindschaft abzuwenden” und alte Verletzungen zu heilen.

Die spürbaren Belastungen und Hindernisse auf dem Weg der Versöhnung sind nach Meinung beider Episkopate „die Erwartungen der tschechischen Opfer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes” und die der vertriebenen Sudetendeutschen. Beide Probleme hätten ihre Wurzeln „in den gleichen Verstrickungen des nationalistischen und totalitären Ungeistes”. Somit sind es denn die Politiker, die gefordert werden. Sie dürften und könnten- der „gemeinsamen und konstruktiven Erörterung der strittigen Fragen” nicht ausweichen.

Eine.gewisse Vorreiterrolle haben die Bischöfe schon ausgeübt. Bereits vor fünf Jahren, also 1990, haben sie einen gemeinsamen Briefwechsel ausgetauscht. In diesem Wort erinnern sie an das im Namen des Deutschen Volkes in der nationalsozialistischen Besatzungszeit am tschechischen Volke verübte Unrecht und an die Untaten der sogenannten Herrenmenschen. Die Bischöfe erinnern aber auch an die Austreibung der Deutschen und die Anwendung der Kollektivstrafe durch die damaligen tschechoslowakischen Behörden und sozialistischen Machthaber. All dies aber ist nur ein Anfang. Jetzt, so meint der Episkopat, sei die Zeit gekommen, weiterzuarbeiten und das auf allen Seiten begangene Unrecht aufzuarbeiten und es dem verzeihenden Vergessen zu überantworten.

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