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Die Wahlen in Griechenland mögen das Schlimmste verhindert haben, doch die Gefahren für die globale Wirtschaft sind lange nicht vorbei.

Dass die Politik aus der Mitte der Gesellschaft entspringen sollte, ist eines der fundamentalen demokratischen Prinzipien. Die optische Umsetzung dieses Prinzips wäre beispielsweise die Abhaltung eines G20-Gipfels im Zentrum Athens. Dort könnten die Führer der wichtigsten Industriestaaten der Welt vor Ort in Exkursionen die Tiefe der Euro-Krise erforschen und danach auch ihre aktuelle Politik ausrichten.

In Los Cabos im mexikanischen Baja California wird das weniger gut funktionieren. Dort gibt es nur Luxus-Golfplätze und die zugehörigen Hotelburgen, weiße Sandstrände und sonnigste Ferienlaune. Los Cabos liegt 1300 Kilometer von der nächsten Metropole San Diego entfernt. Dazwischen liegt die große kalifornische Wüste. Nein, Los Cabos, früher ein einsamer Fischerort, ist keinesfalls die Mitte irgendeiner Zivilisation, sondern bestenfalls ihr äußerster Rand. Dort haben einander nun diese Woche die G20-Politiker getroffen, um über die immer drückender werdenden Probleme der Weltwirtschaft zu beraten.

Die Stimmung war entsprechend gedämpft. Wer gemeint hatte, der Sieg der mutmaßlich Euro-treuen Konservativen bei den Wahlen in Griechenland würde im Rest der Welt positiven Eindruck machen, der irrte. In den Tagen am Rand der Wüste Kaliforniens zeigte sich vielmehr das steigende Misstrauen unter den führenden Nationen.

Europäische Empfindlichkeiten

Symptomatisch dafür war der Wutausbruch des Präsidenten der EU-Kommission Jose Manuel Barroso, der von einem wissbegierigen Journalisten gefragt wurde, warum nun eigentlich die Amerikaner für die Eurokrise zahlen sollten. "Wir sind nicht hier um uns belehren zu lassen“, schäumte Barroso, "die Krise ist von den USA ausgegangen.“

Geholfen hat die Tirade des Kommissionspräsidenten freilich nicht. Ein Staatschef nach dem anderen schulmeisterte die Vertreter der Eurozone nach Kräften.

US-Präsident Barack Obama, Chinas Staatschef Hu Jintao, Indiens Ministerpräsident Manmohan Singh und selbst der mexikanische Präsident Felipe Calderon setzten ihre beinahe wortgleichen Botschaften ab: Die Eurozone müsse endlich mit tiefgreifenden Reformen beginnen, um die Finanzmärkte zu beruhigen.

In der EU selbst gärt es: Großbritanniens Premier David Cameron: "Die Eurozone sollte nicht nur kurzfristige finanzielle Notsituationen meistern, sondern endlich die tieferliegenden Probleme bekämpfen. Die Alternativen dazu sind gefährlich.“

Noch schärfer als Cameron kommentiert Weltbankchef Robert Zoellick das mehrere hundert Milliarden teuere Löschkommando Europas: Die Rettungsaktionen seien "extrem dürftig in der Umsetzung. Wir warten darauf, dass Europa sagt, was zu tun ist.“

Das sind Töne wie man sie in diplomatischen Kreisen nur anschlägt, wenn eine Krise zur realen Gefahr wird. Und tatsächlich scheint die Weltwirtschaft in stürmische Wasser zu geraten. Das betrifft vor allem die großen Hoffnungsträger der Weltwirtschaft. China und Indien sind offenbar nicht mehr die leistungsstarken Lokomotiven, die die schwächelnden USA und die EU-Staaten durch Wachstum und Investitionen aus der Krise ziehen können.

Die OECD warnte in der Vorwoche, dass sich die wirtschaftlichen Indikatoren für China eintrüben, dass die Industrie hinter den Prognosen zurückbleibe und dass die fallenden Produzentenpreise auf "eine beträchtliche Flaute der heimischen Produktion hindeuten“.

Indien ist noch schlechter dran als der große Nachbar. Seine Staatsanleihen wurden in der Vorwoche auf Ramsch-Niveau heruntergestuft. Das Wirtschaftswachstum kühlte sich im Vergleich zu den Boomjahren zwischen 2004 und 2008 um mehr als vier Prozent auf 5,3 Prozent ab. Was in Europa eine Traumwachstumsrate bedeuten würde, ist für Indien ein herber Rückschritt - vor allem, weil aus den sinkenden Steuereinnahmen das wachsende Budgetdefizit (heuer sind es beinahe elf Prozent Neuverschuldung) nicht mehr eingedämmt werden kann.

Indiens Angst, Brasiliens Sorge

Staatliche Ausgabenkürzungen werden das Armutsproblem verschärfen, fürchten Experten. Der renommierte Economist entzog dem ehemaligen Tigerstaat schon einmal vorsorglich den Titel "globaler Hoffnungsträger“: "Farewell to Incredible India“.

Brasilien geht es da noch etwas besser - doch auch hier kämpft die Wirtschaft gegen eine drastisch verlangsamte Konjunktur. Nach einem Aufsehen erregenden Wachstumsschub 2010 dürfte das Land nun auf ein mageres Plus von 3,5 Prozent zurückfallen. Fallende Preise bei Rohstoffen, Brasiliens Haupteinnahmequelle, drücken auf die Staatseinnahmen während die Kosten für das Sozialsystem und die Beamtenschaft immer weiter steigen.

Auch in der Weltbank beginnt man sich Sorgen über die Entwicklung der wichtigsten Antriebskräfte des Wirtschaftssystems zu machen. Der Weltbankökonom Hans Timmer rät den Schwellenländern dringend, Notfallreserven für den Ernstfall anzulegen. Die fortlaufende Ankurbelung der Konjunktur in Schwächephasen und der innere Wachstumszwang in diesen Nationen hätten die Krisenpuffer aufgezehrt, so Timmer. Die Anfälligkeit der Volkswirtschaften sei jedenfalls zu groß um erneut einen Abschwung der anderen Industrienationen abfangen zu können.

Dass es diesen Abschwung geben könnte, haben die Weltbank-ökonomen in einem Horrorszenario ausgerechnet. Und hier kommt wieder Europa ins Spiel. Denn der Auslöser einer neuen Rezession wäre für die Weltbank die Pleite eines oder mehrerer EU-Staaten, die das Bruttoinlandsprodukt der Eurozone 2013 und 2014 jeweils um mehr als 8 Prozent schrumpfen lassen würde. Die Schwellenländer, die für über 50 Prozent des globalen Wirtschaftswachstums verantwortlich sind, würden dadurch einen massiven Einbruch erleiden, minus vier Prozent des BIP laut Studie.

Bis nach Los Cabos

Es sind wohl Prognosen und Aussichten wie diese, welche die Stimmung der politischen Delegationen in den G20-Gesprächen von Los Cabos empfindlich abkühlen ließen - mögen die Nachrichten aus Griechenland noch so positiv sein und die neue Regierung unter Antonis Samaras im Schnellverfahren gebildet werden. Denn schon tauchen die nächsten qualifizierten Gerüchte auf: dass Griechenland nicht nur mehr Zeit von seinen EU-Partnern verlangen wird, die Sparmaßnahmen umzusetzen, sondern in absehbarer Zeit ein zusätzliches drittes Hilfspaket brauchen könnte - womit die EU und die Eurozone wieder am Anfang ihrer Bemühungen stehen würde - nur um mehr als 300 Milliarden ärmer.

In Los Cabos am Rand der Wüste scheint sich dafür kaum jemand außerhalb des G20-Gipfels zu interessieren. Im wichtigsten Internet-organ der Stadt beschäftigt man sich ausschließlich mit den Verkehrsbehinderungen durch den Gipfel. Unter der Rubrik "Aktuelle Nachrichten“ ist die kleine Welt des Ferienortes schließlich gänzlich ohne jede wirschaftliche Sorge - nur die kleinen Beschwerden des reichen Lebens schaffen es zur Headline: "Wie man seinen Speckgürtel los wird.“

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