Sogar Habermas laviert

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Der kurze, aber heftige Sturm um ein Buch des kanadischen Philosophen Ted Honderich zeigt: Der Umgang mit dem Nahostkonflikt ist das ungelöste Thema der Antisemitismus-Debatte.

Deutschlands Feuilleton hatte seine Sommerempörung. Nach Österreich kam das Ganze immerhin, aber doch schaumgebremst: Der Suhrkamp Verlag hatte - auf Empfehlung von Jürgen Habermas - die deutsche Übersetzung des Buches "After the Terror" des kanadischen Philosophen Ted Honderich herausgebracht. Der deutsche Holocaust-Forscher Micha Brumlik forderte letzte Woche via Frankfurter Rundschau den Suhrkamp Verlag auf, das Buch vom Markt zu nehmen, weil es "antisemitischen Antizionismus" und "philosophischen Judenhass" verbreite. Ein kurzer, heftiger Sturm entbrannte - Fazit: Suhrkamp erklärte, das Buch nicht mehr aufzulegen (die erste Auflage war schon vergriffen).

Friedenspreisträger Habermas entschuldigte sich in der Frankfurter Rundschau mit seltsamen Argumenten: Gewiss, es handle sich bei Honderichs Buch "um ein hemdsärmeliges Pamphlet"; die Darstellung des Nahostkonflikts darin qualifizierte Habermas als "einseitige Skizze", gleichwohl fand er im Text selbst für den Vorwurf des Antisemitismus "keine Bestätigung". Allerdings, so Habermas, seien politische Äußerungen "in hohem Maße abhängig vom Kontext". Und aufgrund dieses Kontextes, der nach Habermas' Meinung in Deutschland ein anderer ist als im Amerika George W. Bushs, könne er "die Gründe und die Befürchtungen eines offenbar größeren Teiles unserer jüdischen Bevölkerung gut nachvollziehen". Meint Deutschlands Vorzeige-Denker da, dass Sätze, die in Old Europe eindeutig als antisemitisch gelten, jenseits des Atlantiks hingenommen werden sollten?

Die Vorwürfe gegen Ted Honderichs Buch lauteten nicht nur "Antisemitismus", sondern auch, dass er den (palästinensischen) Terror verharmlose und gar moralisch legitimiere. Eine wirklich breite Diskussion wird aber nach dem Suhrkamp-Rückzieher nicht mehr stattfinden (wobei die in den Feuilletons abgedruckten Zitate wirklich wenig Lust machen, Honderichs Buch auch zu lesen).

Abseits vom - öffentlich nun nicht mehr existenten - Inhalt des inkriminierten Buches entzündete sich die Auseinandersetzung einmal mehr an dem ungelösten Thema der Antisemitismus-Debatte, nämlich der Frage, inwieweit der Nahostkonflikt dabei zu thematisieren ist, bzw. wie weit sich hinter der Kritik an der Politik Israels der alte, hartnäckige Judenhass verbirgt.

Dieser Frage ist auf Dauer nicht zu entkommen: Selbst ein Vordenker wie Jürgen Habermas argumentiert da - siehe oben - herumlavierend. Denn die intellektuell redliche Auseinandersetzung, die auf den Primat der Menschenrechte pocht und die insbesondere den furchtbaren Lehren des 20. Jahrhunderts verpflichtet ist, darf hier nicht kleinlaut werden: An der gegenwärtigen Politik Israels, der überdies wenig Perspektiven zu entnehmen sind, muss Kritik möglich sein - und sie muss benannt werden. Wenn etwa die israelische Armee Jahr um Jahr und Tag für Tag die Häuser von Familien (mutmaßlicher) palästinensischer Terroristen zerstört, so ist diese moderne Sippenhaftung anzuprangern (abgesehen davon, dass auch der militärische/politische Nutzen dieser Aktionen mehr als zweifelhaft scheint). Oder wenn man das Aufrüsten mit Atom-Bio-Chemie-Waffen beim Irak oder bei Nordkorea lauthals und zu Recht bekämpft: Warum verliert man dann im Fall von Israel kein Wort darüber?

Keine Frage, auch Israel hat das Recht auf "Reziprozität": Dass weder in den Palästinensergebieten, noch in den arabischen Staaten (europäische) Menschenrechtsstandards gelten, dass die palästinensischen Selbstmordanschläge moralisch eben nicht zu rechtfertigen sind, dass in der arabischen Welt ein politisch verbrämter Antisemitismus fröhliche Urständ feiert (und Europas Ewiggestrige neue Munition finden) gehört ebenso auf die Agenda dieser Auseinandersetzung wie die angesprochene unsägliche israelische (Militär-)Politik.

Selbst hartnäckigste Optimisten sind in Bezug auf den Nahost-Konflikt zur Zeit ratlos. Im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach war heuer ein hochkarätig besetztes Seminar zum Thema Antisemitismus und Nahostkonflikt angesetzt. Dieses Seminar, das vom American Jewish Committee mitveranstaltet wurde, musste aber abgesagt werden: ein weiteres, bitteres Indiz dafür, wie schwer es derzeit ist, selbst die Konfliktparteien in der intellektuellen Auseinandersetzung an einen Tisch zu bekommen.

otto.friedrich@furche.at

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