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Soll die Schweizerin wählen?

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Am 1 Februar findet die obligatorische Volksabstimmung über eine Verfassungsabänderung statt, die den Frauen das Stimmrecht auf eidgenössischer Ebene gewähren will. Damit wird der Höhepunkt in einem Kampfe erreicht, der vor bald einem halben Jahrhundert begonnen hat. Allem Anschein nach wird es aber nur ein vorläufiger Höhepunkt sein. Die Aussichten für eine Annahme sind eher gering, und wenn nicht alle Vorzeichen trügen, wird es noch sehr lange dauern, bis die Schweiz — als letztes Land in Europa und als einziges fortgeschrittenes Land unter den elf, die den Frauen das Stimmrecht noch nicht gewährt haben — den Schritt tun wird.

Die Schweizer sind im allgemeinen konservativ, vorsichtig und lassen sich Zeit zum Ueberlegen. Sie sind aber nicht sektiererisch, sie prüfen neue Ideen unvoreingenommen. Daß andere Völker sich dazu bekannt haben, ist allerdings in ihren Augen kein entscheidendes Argument. Sie wissen, wie sehr die Verhältnisse in ihrem Land grundverschieden von denen in anderen Ländern sind, und daß sie daher in jeder Hinsicht einen Sonderfall bilden. Aus der gleichen Erwägung sind die Schweizer auch bereit. Reformen zu verwirklichen, die anderwärts noch nicht erprobt wurden. Sie haben als erste in Europa den Frauen den Zutritt zum Universitätsstudium gestattet. Um so erstaunlicher, daß sie ihnen das Stimmrecht bis heute verweigert haben. Warum?

Die Schweiz ist nicht als Staat entstanden, sondern aus dem Gemeindeleben hervorgegangen. Kein mächtiger Wille entschied über ihr Werden, sie entwickelte sich aus eigenen Kräften in kleinen Etappen im Laufe von Jahrhunderten aus einem Nebeneinander von Tal- schaften zur Eidgenossenschaft. Dies beeinflußt die politische Denkart des Schweizers maßgebend. Auf den Bund werden nur politische Institutionen übertragen, die sich in Gemeinde und Kanton bereits durchsetzen konnten.

Dementsprechend wurde das Frauenstimmrecht Jahrzehnte hindurch auf kantonaler Ebene diskutiert. Insgesamt wurden 25 Entscheide getroffen, und 24mal hat der betreffende Kanton ablehnend geantwortet. Erst im Jahre 1957 gelang im Halbkanton Basel-Stadt der Durchbruch.

ln seinen Gemeinden haben seither die Frauen das Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten.

Die „Volksrechtler" unter den Gegnern der Vorlage verweisen dabei auf die merkwürdigen Folgen, die da entstehen müßten. Die Eidgenossenschaft kann in die kantonale Rechtsentwicklung nicht eingreifen. Daher könnte es noch Jahrzehnte dauern, bevor die Frauen auch zu den kantonalen Abstimmungen zugelassen werden. Bei ihnen werden nicht nur kantonale Angelegenheiten erledigt, auch die Ständeräte (Mitglieder der Länderkammer) werden durch sie bestellt. Die Frauen würden also nur bei den Wahlen der Nationalräte (Abgeordneten) stimmberechtigt sein, weil dort das eidgenössische Wahlrecht gilt. Tatsächlich wäre das eine merkwürdige Lage. Rechtfertigt sie aber die Ablehnung einer Weiterentwicklung?

Andere Gegner der Vorlage verweisen auf den Unterschied zwischen der direkten Demokratie in1 der Schweiz und der parlamentarischen Demokratie in anderen Ländern. Dort wird nur einmal in Abständen von mehreren Jahren, bei Parlamentswahlen, abgestimmt. In der Schweiz hingegen finden selbst auf eidgenössischer Ebene mehrere Male jährlich Volksabstimmungen statt, bei denen nicht politische, sondern materielle Fragen zum Entscheid vorliegen. Das trifft zu. Im Jahre 1958 wurden zum Beispiel sieben eidgenössische Volksabstimmungen durchgeführt. Die Befürworter des Frauenstimmrechts erwidern hierauf, daß die Frau auch im Alltag ständig über materielle Fragen zu entscheiden hat, ob sie nun im Laden tätig ist, das Familienbudget im Gleichgewicht halten muß oder selbständig arbeitet und zwischen zwei Stellenangeboten zu wählen hat. Hier hält es noch schwerer, in der Argumentation der Gegner der Vorlage den Faden der Logik zu finden.

Bei vielen ablehnenden Stimmen dürfte die Sorge um die Zukunft der eigenen Partei ausschlaggebend sein. Die Freisinnigen bangen um ihre Nationalratssitze in der Innerschweiz, wo die katholische Kirche sehr stark ist und die Frauen, stets die Mehrzahl unter den Messebesuchern, zur Stimmabgabe für die Kandidaten der Katholisch-Konservativen Partei bewegen würde. Auch die heute ganz unbedeutende Kommunistische Partei könnte einen Stimmenzuwachs buchen, weil sie ihre Anhänger bei den Wahlen vollzählig zum Kampfe aufbietet. Es fehlt in den Berechnungen der Parteimathematiker auch die amüsante Note nicht — unzweifelhaft würden die Frauen dem „Landesring" von Duttweiler einen starken Auftrieb bringen, denn sie sind es, die die Zeitersparnis und die Preisabschläge in den Migros-Läden zu schätzen wissen, und ihnen würde zu den Eiern und dem Blattspinat ein Werbezettel mitgegeben werden.

Man nimmt an, daß in den Städten und Industriezonen die Ja-Stimmen in der Mehrzahl sein werden, vielleicht sogar — aber da geht es um jede einzelne Stimme — im Gesamtergebnis im ganzen Lande. Aber selbst dies würde nicht genügen, um der Vorlage zum Erfolg zu verhelfen. Dazu wäre auch ein mehrheitliches Ja der einzelnen Kantone notwendig. Nun werden die Bergkantone vermutlich geschlossen mit Nein antworten. Das Mehr der Stände dürfte also nicht erreicht werden. Das Gegenteil wäre eine große Ueberraschung.

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