Sorge um die Pressefreiheit

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Der Kurs des türkischen Premiers Erdogan wird zusehends radikaler. Kritik wird immer mehr zum Risiko - vor allem für Kurden und Journalisten.

Die türkische Polizei hat in dieser Woche zahlreiche Journalisten verhaftet. Die Festnahmen stehen nach offizieller Darstellung im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen mutmaßliche kurdische Extremisten. Journalistenverbände und Menschenrechtsorganisationen sprechen dagegen von einem Angriff auf die Pressefreiheit.

Bei den Razzien in Istanbul und sechs weiteren türkischen Städten wurden 40 Personen festgenommen - unter ihnen mindestens 25 Journalisten. Mal wurden sie in ihren Redaktionen festgenommen, wie bei der pro-kurdischen Nachrichtenagentur Dicle, mal kam die Polizei frühmorgens in die Schlafzimmer der Redakteure. Auch ein Fotograf der französischen Nachrichtenagentur AFP ist unter den Verhafteten. Bei den Durchsuchungen der Räumlichkeiten transportierten die Fahnder tonnenweise Computer und Akten ab. In der ostanatolischen Stadt Van, die vergangenen Monat von mehreren schweren Erdbeben heimgesucht wurde, durchsuchten die Beamten sogar ein Zelt, in dem sich mehrere Journalisten einquartiert hatten.

Die Polizeiaktion richtete sich nach Angaben der Regierung gegen die "Union der Gemeinschaften Kurdistans“ (KCK), einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Den Festgenommenen werden Verbindungen zu der Organisation vorgeworfen. Vorausgegangenen waren in den Wochen zuvor Festnahmen zahlreicher kurdischer Lokalpolitiker im Südosten des Landes. Hintergrund ist die neuerliche Zuspitzung des Kurdenkonflikts. Bei einer Offensive in der Südostprovinz Diyarbakir zerstörte die Armee in den vergangenen Tagen sieben PKK-Lager und tötete 21 Rebellen. Kritiker werfen der Regierung vor, sie nutze jetzt die Eskalation des Konflikts, um unbequeme Journalisten zum Schweigen zu bringen.

57 Verhaftete

Schon vor der jüngsten Aktion saßen nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) 57 Journalisten in der Türkei in Haft. Der türkische Journalistenverband beziffert die Zahl sogar auf 63. Einigen werden Kontakte zu kurdischen Separatisten vorgeworfen, andere beschuldigt man, Putschpläne gegen die Regierung von Premierminister Tayyip Erdog˘an geschmiedet zu haben. Selbst Karikaturisten, die Erdog˘an unvorteilhaft darstellen, geraten häufig in Konflikt mit der Justiz. Wahrscheinlich gebe es in keinem Land der Erde mehr inhaftierte Journalisten, sagt das Internationale Presseinstitut (IPI). Rund 700 Strafverfahren gegen Journalisten sind vor türkischen Gerichten anhängig. Nach Angaben der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV sitzen derzeit 322 Personen wegen Meinungsäußerungen in Haft.

Die OSZE reagierte alarmiert auf die jüngsten Festnahmen: Der Kampf gegen den Terrorismus dürfe nicht zum Vorwand dienen, die Presse zum Schweigen zu bringen und das Recht der Öffentlichkeit auf Information zu beschneiden, erklärte die OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatovic´. Auch das IPI wirft der türkischen Regierung vor, sie mache kritische Journalisten mit juristischen Mitteln wie den Antiterrorgesetzen mundtot. In der Rangliste zur Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) ist die Türkei unter 178 Ländern seit 2008 von Platz 102 auf Platz 138 abgerutscht. Auch Freedom House, eine 1941 in Washington D.C. gegründete Nichtregierungsorganisation, die liberale Demokratien fördert, stellt in ihrem jüngsten Bericht klipp und klar fest, bei der Pressefreiheit bewege sich die Türkei "in die falsche Richtung“.

Keine Reaktion auf Kritik

Die EU-Kommission tadelte in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht ebenfalls "Restriktionen der Medien- und Meinungsfreiheit“. Festnahmen von Journalisten, zahlreiche Strafverfahren gegen Journalisten und die Praxis der Internetzensur gäben "Anlass zu ernster Besorgnis“, hieß es in dem Bericht.

Aber solche Vorhaltungen machen in Ankara kaum noch Eindruck. Eine Aufnahme der Türkei in die EU rückt immer weiter in die Ferne. Der Beitritt habe "keine große Priorität“, erklärt Vizepremier Ali Babacan. Damit verliert Europa an Einfluss. Gestützt vor allem auf ihre wirtschaftliche Stärke, wendet sich die Türkei dem Osten zu und kehrt Europa den Rücken. Die neuen Freunde des Premiers sind, wie diese Woche ein Empfang des Hamas-Chefs Ismail Haniyeh in Ankara gezeigt hat, im Lager radikaler Moslems zu finden. Für den ohnehin mühsamen Prozess der demokratischen Reformen in der Türkei dürfte das kein gutes Vorzeichen sein.

Streit um Armenier-Massaker

Der am 23. Dezember zu Konsultationen zurückbeorderte türkische Botschafter in Paris, Tahsin Burcuog˘lu, soll bereits nächste Woche wieder nach Frankreich zurückkehren. Er soll versuchen, die Billigung eines Gesetzestextes durch den französischen Senat zu verhindern, das auch die Leugnung eines Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich unter Strafe stellen soll. Dies berichteten am Dienstag französische Medien unter Berufung auf diplomatische Kreise in Ankara. Trotz der Androhung von Repressalien seitens der türkischen Regierung hatte die französische Nationalversammlung am 22. Dezember in erster Lesung das umstrittene Gesetz gebilligt.

Das Massaker an den Armeniern in den Jahren 1915 bis 1917 wird in Frankreich seit 2001, nicht aber von der Türkei als Völkermord anerkannt. Während des Ersten Weltkriegs waren bis zu 1,5 Millionen Armenier getötet worden. (APA)

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