Soziale Marktwirtschaft, was denn sonst?

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Kapitalismuskritik? Ja, aber bitte das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. - Viel Zustimmung und Lob für die sozioökonomische Position von Papst Franziskus in "Evangelii Gaudium" - unterfüttert mit ein wenig Kritik: ein nie abgeschickter Brief an den Bischof von Rom.

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Kapitalismuskritik? Ja, aber bitte das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. - Viel Zustimmung und Lob für die sozioökonomische Position von Papst Franziskus in "Evangelii Gaudium" - unterfüttert mit ein wenig Kritik: ein nie abgeschickter Brief an den Bischof von Rom.

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Lieber Franziskus, vorweg möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich mit Dir gleich "per Du" bin und dass ich Deinen Berufstitel (Papst) unterschlage. Das werden manche zwar als vorlaut und respektlos kritisieren, aber wie ich Dich mittlerweile über die Medien kennengelernt habe, ist Dir diese Form der Anrede wahrscheinlich sogar lieber.

Ich habe einen Ausschnitt aus Deiner "Regierungserklärung" gelesen, und zwar jenen Teil, der sich mit "einige(n) Herausforderungen der Welt von heute" beschäftigt. Ich darf Dir hiezu gratulieren, wenngleich nicht ganz bedingungslos, aber dazu komme ich weiter unten.

Ich finde es toll und auch sehr mutig, wie Du die Dinge beim Namen nennst und wie Du die Schwachstellen unserer gesellschaftlichen Entwicklung ohne Wenn und Aber auf den Punkt bringst. Ja, Du hast recht, wenn Du anprangerst, dass Nahrungsmittel weggeworfen werden, während Menschen verhungern. Und wenn Du Themen wie die Gier nach Macht und Besitz, ungehemmte Spekulationen, etwa im Finanzbereich, den zügellosen Konsumismus und eine tief verwurzelte Korruption, um nur diese zu nennen, als das in der Gesellschaft kristallisierte Böse ansprichst. In dieser Offenheit und Klarheit hat das in der Kirche vor Dir meines Wissens nur Christus selbst, aber kein Papst getan -und wenn, dann hätte es, angesichts des hermelingeschmückten, tiarabedeckten und mit rotem Schuhwerk versehenen Auftretens Deiner Vorgänger und des damit verbundenen Glaubwürdigkeitsproblems auch nicht annähernd die Wirkung Deiner Worte gehabt.

Markt und Geld sind nicht das Problem

Soviel positiver Kommentar wird Dir jetzt vielleicht verdächtig vorkommen und Du wirst Dich möglicherweise fragen, was der Haken an der Sache ist - umso mehr, als ich die oben ausgesprochene Gratulation mit einer gewissen Einschränkung versehen habe.

Du schreibst "Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen" und "Diese Wirtschaft tötet". Man spürt deutlich, wie hier heiliger Zorn in Dir durchbricht angesichts von Megaskandalen in Politik und Wirtschaft sowie - besonders brisant und bedauerlich - auch in der Kirche. Und natürlich hast Du völlig recht, wenn Du in dem Zusammenhang die schärfsten Worte der Verurteilung findest.

Allein es wäre sicher falsch, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Nicht der Markt und auch nicht das Geld stellen das Problem dar -beides sind lediglich Instrumente, um den notwendigen Austausch von Produkten und Dienstleistungen in einem größeren Gemeinwesen sinnvoll und nachvollziehbar zu ermöglichen. Das Problem entsteht -und Du sagst es richtig und klar - wenn es zu dem kommt, was Du anthropologische Krise nennst: zur Leugnung des Vorrangs des Menschen.

Ein von allen Eingriffen befreiter, völlig ungeregelter Markt, kann diese Aufgabe naturgemäß nicht erfüllen. Die Politik hat daher für einen Handlungsrahmen zu sorgen, welcher sicherstellt, dass auf dem Fundament einer leistungsfähigen und innovativen Marktwirtschaft ausreichend soziale und ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Um Deine Worte zu gebrauchen: "Die Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel" darf es nicht geben. Genauso zu vermeiden sind aber Systemeingriffe zur Marktregulierung, welche die schöpferische Kraft der Unternehmer über Gebühr einschränken oder gar in Richtung der völligen Ausschaltung von Marktkräften gehen. Sie würden zu Ergebnissen führen, deren negative Auswirkungen Dein Vorvorgänger am eigenen Leib kennengelernt hat. Johannes Paul II. war deshalb ein Verfechter der sozialen Marktwirtschaft und hat sich klar nicht nur gegen neoliberale sondern auch gegen planwirtschaftlich kommunistische Modelle ausgesprochen.

Auswüchse unseres Gesellschaftssystems

Ich maße mir nicht an, ein kritisches Urteil über Deine Aussagen zu dem von Dir als "Einige Herausforderungen der Welt von heute" benannten Kapitel Deiner "Regierungserklärung" abzugeben. Das steht mir schon deshalb nicht zu, weil Deine Aufgabe, nämlich ein Programm für die Weltkirche zu entwerfen, weit über das hinausgeht was ich als kleinen Beitrag -geprägt von der Situation in Europa und Österreich -zu diesem Thema einbringen kann. Klar ist auch, dass Deine Feststellungen -neben dem Blick auf die Weltkirche auch von der Tradition der lateinamerikanischen Befreiungstheologie beeinflusst ist und sich daraus unterschiedliche Schwerpunkte ergeben.

Lieber Franziskus, ich bewundere Deine Kraft und die Leistungen, die Du in der kurzen Zeit Deines bisherigen Pontifikats auf die Beine gestellt hast. Trotz der aufgezeigten Differenzen in der Akzentuierung bei einzelnen Themen wünsche ich mir noch etliche Enzykliken in dieser Tonart. Gerade in Zeiten wie diesen braucht die Welt Autoritäten, die nicht nur die Fehlentwicklungen und Auswüchse unseres Gesellschaftssystems anprangern, sondern die darüber hinaus auch die Glaubwürdigkeit besitzen, welche die Voraussetzung dafür ist, dass die Menschheit diese Botschaft auch annimmt.

Dein Hans

"Genauso zu vermeiden sind aber Eingriffe, welche die schöpferische Kraft der Unternehmer über Gebühr einschränken oder gar in Richtung der völligen Ausschaltung von Marktkräften gehen."

Der Autor war viele Jahre in leitender Stellung bei der AUA tätig

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