Spanien: Die Jagd auf den Diktatoren-Jäger

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In Spanien könnte ausgerechnet Untersuchungsrichter Baltasar Garzón als Erster im Zusammenhang mit dem Franco-Regime verurteilt werden. Nun eilen dem Richter Exponenten der spanischen Zivilgesellschaft zu Hilfe. Ist das Verfahren eine Vergeltung der Konservativen gegen Garzón? Spaniens Justiz steht auf dem Prüfstand.

„Das ist ein übler Typ.“ Valeria stammt aus Argentinien und arbeitet seit zehn Jahren in Spanien. Sie ist eigentlich sehr zuvorkommend. Aber wenn der Name Baltasar Garzón fällt, wird sie ernst. Garzón habe gegen Korruption ermittelt und habe doch selbst Freunde, die korrupt sind. „In Argentinien gibt es sowieso überall Korruption.“ Aber nun auch in Spanien? Spanien, so viel ist sicher, ist heute in zwei Lager gespalten – eine Spaltung, die das Land lange zu verhindern versuchte. Untersuchungsrichter Garzón ist Zankapfel zwischen der linken und rechten Reichshälfte Spaniens, in einem Konflikt über den Umgang mit Spaniens dunkler Vergangenheit. Das EU-Vorsitzland tut sich damit nämlich denkbar schwer. Das Erbe des General Franco ist immer noch präsent.

„Die Person Francos und seine Diktatur werden von einer breiten Mehrheit der spanischen Gesellschaft als negativ angesehen. Dennoch gibt es eine kleine, aber einflussreiche Strömung in den Medien, die das Regime mit dem Hinweis auf die, Übergriffe‘ der Zweiten Republik zu rechtfertigen versucht“, meint der Historiker Rafael Valls von der Universität Valencia. In Spaniens „Transición“, der Übergangsphase nach Francos Tod, wollte man die Geschehnisse während des Bürgerkriegs und des Franco-Regimes mit dem Schleier des Vergessens bedecken. Möglicherweise konnte man in jenen Jahren nicht anders handeln, so Valls. Ähnlich wurde ja in Deutschland und vor allem in Österreich viele Jahre über die Nazi-Vergangenheit geschwiegen. In Spanien sind aber viele Dinge unbearbeitet geblieben. Die Generation der Enkel und Urenkel versucht jetzt, diese Gräueltaten des Regimes wieder ins öffentliche Gedächtnis zu bringen. Indem sie zum Beispiel das Öffnen der Massengräber beantragen.

Unter Beschuss

Garzón unterstützte sie, verfügte etwa die Suche nach dem Leichnam des unter Franco ermordeten spanischen Nationaldichters Federico Garcia Lorca oder verlangte die Öffnung historischer Archive – auch der katholischen Kirche. Nun ist Garcón selbst zum Ziel von Ermittlungen geworden. Amtsmissbrauch wirft man ihm vor. Er habe mit seinen Entscheidungen bewusst unzulässige Verfahren eingeleitet und habe in anderen Fällen „Freunde“ begünstigt. Der Oberste Gerichtshof in Madrid gab der Klage jedenfalls statt und stoppt so Garcóns Untersuchungen. Ihm drohen nun bis zu 20 Jahre Berufsverbot. Wahrscheinlich ist der Prozess gegen ihn politisch motiviert. Zu dieser Einschätzung kam sogar die angesehene Financial Times.

Szenenwechsel: Im „Valle de los Caídos“, dem „Tal der Gefallenen“, sind 33.832 Personen begraben, unter ihnen viele im Bürgerkrieg getötete Republikaner. Doch hier ist auch die Grablege von „El Caudillo“, dem „Führer“. Fausto Canales ist 75 Jahre alt und weiß, dass sein Vater Valerico und sein Onkel Fidel hier begraben sind. Die beiden waren Republikaner, wurden von Falangisten erschossen und begraben. Fausto Canales hofft, dass das Massengrab irgendwann geöffnet wird. Die Auseinandersetzung um Garzón macht ihn jedoch misstrauisch. Denn das „Tal der Gefallenen“ sei ein „enormes Tabu“, meint er. Die Volkspartei und die Kirche würden großen Druck ausüben.

Welches Recht hat Priorität, Spaniens Amnestiegesetz aus dem Jahr 1977 oder die Ächtung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Nach Francos Tod verständigte man sich auf eine Art „Schweigepakt“. Das Land sollte nicht neuerlich zerrissen werden.

Kaum historische Aufarbeitung

Das führte zu großen Einschränkungen. „Aus der Sicht eines Historikers finde ich es sehr befremdlich, dass zentrale Akten der Franco-Diktatur bis heute von der privaten Stiftung Francisco Franco, in deren Leitungsgremien Verwandte des, Caudillo‘ und Mitstreiter sitzen, verwaltet werden. Spanische wie ausländische Historiker müssen an die Stiftung einen Antrag auf Akteneinsicht stellen, der sehr häufig – und ohne Angaben von Gründen – abgelehnt wird. Die zeithistorische Forschung zur Franco-Diktatur in Spanien wird dadurch ganz massiv behindert“, erklärt Stefan Troebst von der Universität Leipzig. Es sei zu vermuten, dass politische Gründe dafür den Ausschlag geben.

Der Bürgerkrieg (1936–1939) sei die Kulmination des Konflikts der „zwei Spanien“ gewesen, „zwischen dem städtischen, liberalen und säkularen Spanien und dem von katholischer Kirche und Militarismus geprägten Spanien der Großgrundbesitzer“, so Claudia Kraft von der Universität Erfurt. „Der Furcht vor der Reaktivierung alter Konflikte begegnete man mit zwei Amnestiegesetzen, die sowohl Opfer als auch Täter der gesellschaftlichen Auseinandersetzung entziehen sollten.“

Das erste Gesetz aus dem Jahr 1976 zielte auf die Opfer der Franco-Diktatur und verkündete eine Amnestie für die Häftlinge des Regimes. Ein Jahr später sicherte ein zweites Gesetz den Funktionseliten der Diktatur die Nichtverfolgung der unter Franco begangenen Verbrechen zu. Die fortdauernde Wirkung der franquistischen Ordnung habe eine „Hegemonie der alten politischen und sozialen Eliten“ festgeschrieben und auch lange Zeit nach dem Abebben der franquistischen Repressionspolitik einen „Wall gegen die Thematisierung der Gewalterfahrung“ dargestellt.

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