Spanien, Portugal, Italien, Luxemburg, Belgien … machen's

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Vier Millionen irreguläre Einwanderer wurden in den letzten 25 Jahren in neun EU-Staaten legalisiert - eine Sogwirkung für mehr Einwanderung lässt sich daraus nicht ableiten.

Mit Händen und Füßen haben sich die Ecuadorianerin Ana C. und ihre elfjährige Tochter Angelica gegen ihre Abschiebung gewehrt. "Man hat uns wie Tiere behandelt", gab das Kind nach Abbruch der Polizeiaktion zu Protokoll; die Handgelenke der Mutter waren von den Handschellen wund, die Knie blutig. Die Polizei rechtfertigte sich: "Wenn man einer Person Handschellen anlegt, die sich dagegen wehrt, hinterlässt das zwangsläufig Spuren." - "Drama um Abschiebung einer Elfjährigen", lauteten die Schlagzeilen darüber in Belgiens Medien. Die Ecuadorianerinnen lebten seit vier Jahren illegal in Brüssel und sollten vor kurzem des Landes verwiesen werden. Nach den dramatischen Ereignissen am Abschiebeflughafen dürfen beide aber auf unbestimmte Zeit bleiben. Und die Gattin des Präsidenten von Ecuador, eine Belgierin, bat im Fernsehen darum, Angelica und ihrer Mutter Aufenthaltsrecht zu gewähren.

Der Fall zeigt: Die Tragödie um die Abschiebung der Familie Zogaj aus Österreich in den Kosovo ist trauriger europäischer Alltag. In Österreich wehrt sich die 15-jährige Arigona verzweifelt gegen ihre Abschiebung, in Belgien heißt das Mädchen Angelica, in Deutschland verweigern die Buben Thamir, Agim und Gelan ihre Rückstellung in den Irak …

Arigona, Angelica, Thamir…

Über 5,5 Millionen irreguläre Einwanderer leben innerhalb der EU-Grenzen, schätzt der Europarat in einem Bericht vom Juli dieses Jahres. Die Probleme, die daraus resultieren, sind in allen EU-Ländern gleich: Verletzung der Menschenrechte und Würde des Menschen, Förderung der Schwarzarbeit, Etablierung einer Schattengesellschaft … Der Umgang mit diesen Herausforderungen unterscheidet sich aber zwischen den EU-Staaten stark.

Im Gegensatz zu Österreich haben andere EU-Länder wie Spanien, Griechenland, Frankreich, Italien oder die Niederlande und andere erkannt, sagt Diakonie-Direktor Michael Chalupka, "dass es einen Zeitpunkt gibt, ab dem man Menschen nicht mehr aus dem Land werfen darf und dies zudem einen Nutzen für die Aufnahmegesellschaft hat - Österreich hingegen möchte weiterhin sein Fremdenrecht mit der Brechstange durchsetzen". Die Diakonie schlägt daher ein "Legalisierungsgesetz" für in Österreich irregulär lebende Einwanderer vor, "in dem die Kriterien klar geregelt sind und wo in einem rechtstaatlichen Verfahren geprüft wird, wer diese erfüllt und wer nicht. Das Asylrecht allein kann diese Aufgabe nicht leisten".

Amnestie ist für Verbrecher

Der bereits erwähnte Bericht der Parlamentarischen Versammlung des Europarats bestätigt Chalupka: Seit 1981 bekamen in neun EU-Staaten und in über 20 Regularisierungs-Verfahren vier Millionen irreguläre Einwanderer entweder eine zeitlich begrenzte oder unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zugesprochen. Der Bericht zählt mehrere Arten von Regularisierungen auf: durch Erfüllung verschiedener Kriterien "verdienter" Aufenthalt, einmalige und permanente Legalisierungsprogramme, Familienzusammenführung … - der in Österreich gerne verwendete Begriff "Amnestie" kommt dabei nicht vor, da es sich bei diesen Menschen ja nicht um Straftäter oder Verbrecher handelt.

Unter "außergewöhnliche humanitäre Programme" fällt die in Österreich diskutierte Gewährung von Bleiberecht. Erfahrungen damit haben Belgien im Jahr 2000, Luxemburg 2001 und die Niederlande heuer gemacht (siehe Artikel Seite 3). Alle drei Länder reagierten damit auf die große Zahl unerledigter Asylanträge, wobei die belgische Regierung erst nach massiven Protesten von Flüchtlingsorganisationen und der Gewährung von Kirchenasyl für abgelehnte Asylwerber zu dieser "humanitären Aktion" bereit war. In rund 30 belgischen Kirchen und in einigen Moscheen fanden die Flüchtlinge Unterschlupf. Unterstützergruppen sorgten für Nahrung, Seife und Öffentlichkeit. In Belgien bewarben sich schließlich 50.000, in Luxemburg 3000 Menschen um einen Aufenthaltstitel. Zum Vergleich: In Österreich gibt es derzeit 34.634 offene Asylverfahren, wobei über 11.000 Asylwerber seit drei und bis zu zehn Jahren auf eine Entscheidung warten.

Das am widersprüchlichsten diskutierte und größte europäische Regularisierungs-Verfahren der letzten Jahre fand jedoch 2005 in Spanien statt: 691.655 illegale Einwanderer suchten dabei um legalen Aufenthalt in Spanien an, 577.159 Menschen wurde ein solcher bis dato gewährt. Seit 1985 hatte Spanien bereits in fünf groß angelegten Regularisierungen über 600.000 illegale Einwanderer den rechtmäßigen Aufenthalt zugesprochen. "Es wird der Eindruck erweckt: Die Hauptsache ist, nach Spanien hineinzugelangen; früher oder später werden dort ohnehin alle Immigranten legalisiert", kritisiert eine von der spanischen Opposition in Auftrag gegebene Studie das Bleiberecht.

Bleiberecht-Kaiser Spanien

"Das Schlimmste steht noch bevor. Am Horizont zeichnen sich neue Wellen von Zuwanderungen ab. Probleme bei der Integration und ein Anstieg der Kriminalität werden folgen", unkte die konservative Madrider Tageszeitung El Mundo. Die europaweite Kritik an Spaniens Bleiberechts-Politik schlägt ebenfalls in diese Kerbe: Falsches Signal mit Sogwirkung und eine Gefahr für Europa, da diese Einwanderer weiterwandern.

John Greenway, der Europarat-Berichterstatter zu diesem Thema war sich dieser Kritik bewusst, die ja auch gegen andere südliche Bleiberechts-Gewährer wie Griechenland oder Italien vorgebracht wird. Deswegen habe er bei seinen Recherchen besonders auf diese Themen geachtet, sagt Greenway, der als (stock)konservativer Abgeordneter im britischen Unterhaus bekannt ist. Große Sympathie für illegale Einwanderer wird ihm nicht nachgesagt. Trotzdem bewertet Greenway das spanische Programm bei allen Problemen als "einen Erfolg": Über 550.000 Menschen sind raus aus der Schattenwirtschaft, zahlen Sozialversicherungs- und Rentenbeiträge.

Was zählt Menschenwürde?

Die befürchtete Sogwirkung ("pull effect") findet Greenway "überschätzt", lasse sich jedenfalls weder im spanischen Fall noch durch Studien in den USA nachweisen. Die Möglichkeit auf Schwarzarbeit würde viel anziehender wirken, meint er. Und wandern die Einwanderer weiter? "Das Bleiberecht beschränkt sich auf Spanien. Wer tauscht einen legalen Status dort gegen einen illegalen anderswo ein?" Außerdem kommen die meisten Einwanderer aus Südamerika, die Spanien wegen der Sprache als neue Heimat wählen. In seiner Argumentation fürs Bleiberecht verweist Greenway vor allem auf einen Punkt, der einem britischen Konservativen wahrscheinlich mehr bedeutet als Konservativen woanders: "Die Würde dieser Menschen."

Den Original-Bericht des Europarats finden Sie unter: http://assembly.coe.int/main.asp?Link=/documents/ workingdocs/doc07/edoc11350.htm

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