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Spar- oder Verfassungspaket?

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Einunddreißig Verfas-jSungsbestimmungen waren im ursprünglichen Ministerialentwurf des Strukturanpassungsgesetzes enthalten. Die Aufregung war groß. In dem Entwurf, der den Ministerrat passierte, waren es nur noch zwölf. Die Welt war wieder in Ordnung. Die künftige Regierungskoalition wurde für ihre Flexibilität bei der Umsetzung des Sparpaketes gelobt. Ist es wirklich so leicht, politische Anerkennung zu finden? Genügt es, statt einer riesengroßen Ungeheuerlichkeit bloß eine große Ungeheuerlichkeit vorzuschlagen, um als maßvoll gefeiert zu werden?

Die im Entwurf des Strukturanpassungsgesetzes enthaltenen Verfassungsbestimmungen haben' einzig und allein den Zweck, die Kontrolle durch den Verfassungsgerichtahof auszuschalten. Steuerliche Vorschriften können nämlich wie andere Gesetze vom Verfassungsgerichtshof daraufhin überprüft werden, ob sie eine Verletzung der Grundrechte des einzelnen bewirken. Die Erhebung in den Verfassungsrang soll dies ausschließen. Verfassungsbestimmungen kann der Verfassungsgerichtshof nicht aufheben. Etwas anderes gilt nur für jene Eingriffe in die Verfassung, die so schwerwiegend sind, daß sie eine „Gesamtänderung" bewirken. Eine Gesamtänderung muß nämlich durch eine Volksabstimmung bestätigt werden. Ohne Volksabstimmung können die eine Gesamtänderung bewirkenden Verfassungsbestimmungen selbst verfassungswidrig sein und vom Verfassungsgerichtshof beseitigt werden.

Die große Zahl der Verfassungsbestimmungen im ersten Entwurf des Strukturanpassungsgesetzes hat einige Experten zur Frage bewogen, ob die Grenze zur Gesamtänderung schon überschritten ist. Dies wäre dann der Fall, wenn die Verfassungsbestimmungen den leitenden Grundsätzen des Bundesverfassungsrechts widersprächen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs könnten zu einem solchen Widerspruch „Eingriffe in die Grundprinzipien der Bundesverfassung, wie etwa eine Einschränkung der Gesetzesprüfungskompetenz des VfGH oder eine Durchbrechung der Grundrechtsordnung, nicht nur führen, wenn schwerwiegende und umfassende Eingriffe in die Grundprinzipien vorgenommen werden; vielmehr können auch bloß partiell wirkende Maßnahmen - gehäuft vorgenommen - im Effekt zu einer Gesamtänderung der Bundesverfassung führen" (VfGH 29. 9.1988).

Schon früher hatte der VfGH in anderem Zusammenhang festgestellt, daß Maßnahmen, mit denen der Gesetzgeber die Gesetzesprüfungskompetenz des VfGH einschränken und die Grundrechtsordnung durchlöchern will, zu einer Gesamtänderung der Bundesverfassung führen können, wenn sie gehäuft vorgenommen werden (VfGH 23. 6.1988).

Durch die Reduktion der Zahl der Verfassungsbestimmungen in der Regierungsvorlage des Strukturanpassungsgesetzes sollte die Gefahr der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof vermieden werden. Die Verfasser des Entwurfs gehen offenbar davon aus, daß die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs in bloß zwölf Fällen nicht zu einer Gesamtänderung führen kann. Diese Annahme könnte zum Trugschluß werden. Die Fälle, die den Verfassungsgerichtshof bisher veranlaßt hatten, Überlegungen zu den Grenzen der Gesamtänderung anzustellen, betrafen nämlich nur einzelne Vorschriften. Im Entwurf des Strukturanpassungsgesetzes ist die Erhebung von Vorschriften in den Verfassungsrang - auch nach den durchgeführten Änderungen -zur Methode geworden und nicht bloßer Einzelfall. Die Grundrechtskontrolle wird über weite Strecken ausgeschaltet. Ob der Verfassungsgerichtshof seine eigene Ausschaltung hinnehmen wird, bleibt abzuwarten.

Die von den Verfassern des Entwurfs gewählte Vorgangsweise hat aber nicht nur eine verfassungsrechtliche, sondern auch eine rechtspolitische Dimension. Zum Wesen eines funktionierenden Rechtsstaates gehören Kontrollmechanismen. Die Macht der Mehrheit soll nicht schrankenlos sein. Die verfassungsrechtliche Grundrechtsprüfung dient dem Schutz des einzelnen. Wer dieses Prinzip in Frage stellt, wird nicht mehr mit derselben Glaubwürdigkeit die anderen Grundwerte der Zweiten Republik - etwa gegenüber den Befürwortern der „Dritten Republik" - verteidigen können.

Die Politiker sprechen gerne davon, die Vorgangsweise diene der „verfassungsrechtlichen Absicherung" der Regelungen des Strukturanpassungsgesetzes. Durch diese Wortwahl erwecken sie den Eindruck, die Verwendung der zahlreichen Verfassungsbestimmungen wäre bloß eine Frage der Rechtstechnik. In Wahrheit sind die Verfassungsbestimmungen aber Ausdruck schlechten Gewissens.

Offenbar sind die Verfasser des Entwurfs selbst der Auffassung, einzelne der im Sparpaket enthaltenen Regelungen würden willkürliche Folgen herbeiführen und wären daher gleichheitswidrig. Sonst bedürfte es nicht der Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs. Tatsächlich sollen die meisten der „verfassungsrechtlich abgesicherten" Regelungen rückwirkend wirksam werden. Jene Steuerpflichtigen, die auf die im Bundesgesetzblatt kundgemachte Rechtslage vertraut haben und unter diesen Rahmenbedingungen ihre Entscheidungen getroffen haben, sollen nachträglich mit Steuern belastet werden.

Dies verstößt gegen den sonst anerkannten Grundsatz, daß jeder Steuerpflichtige alle seine Lebensumstände auf die jeweils geltende Steuerbelastung einstellen darf und muß. Die von einer Rückwirkung betroffenen Bürger werden im nachhinein unvermutet höher besteuert. Darin liegt die Willkür. Diese Vorgangsweise trägt dazu bei, daß die Akzeptanz der Rechtsordnung weiter sinkt.

Noch ist das Strukturanpassungsgesetz bloß Entwurf. Das weitere Schicksal dieses Entwurfs wird zeigen, wie lebendig der Parlamentarismus in Österreich ist. Die Abgeordneten haben es in der Hand, den Entwurf zu überdenken und abzuändern. Der Rechtskultur wäre ein großer Dienst erwiesen, wenn der Gesetzgeber die steuerlichen Vorschriften nicht im Verfassungsrang beschließt, sondern die verfassungsgerichtliche Kontrolle zuläßt. Die Vorschriften, deren Grundrechtswidrigkeit die Verfasser des Entwurfs offenbar befürchten, sollten gegebenenfalls neu gefaßt werden. Jedenfalls bleibt zu hoffen, daß die Abgeordneten der Regierungsparteien der Versuchung widerstehen werden, die wiedererlangte Zwei-Drittel-Mehrheit zu mißbrauchen!

Der Autor ist

Universitätsprofessor für Steuerrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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