"Stadt der toten Mädchen"

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Spaniens neue Regierung hat Gewalt gegen Frauen als "schlimmste Schande" des Landes bezeichnet und strenge Gesetze beschlossen. In Mexiko wartet man noch auf dieses Bekenntnis gegen Machismus - inzwischen geht das Frauenmorden in Ciudad Juárez weiter.

Die Mord- und Entführungsserie in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez reißt nicht ab: Letzte Woche informierte die Polizei der Stadt über eine weitere Frau, die entführt und missbraucht wurde, sich dann aber selber aus der Gewalt ihrer Misshandler befreien konnte. Seit 1993 sind zwischen 320 und 370 Frauen in der Millionenstadt, die der Rio Bravo vom US-Bundesstaat Texas trennt, ermordet worden, zwischen 400 und 500 sind spurlos verschwunden. amnesty international (ai) nennt Ciudad Juárez die "Stadt der toten Mädchen".

Die Opfer wurden vergewaltigt, stranguliert, erstochen oder erschossen und oft auch verstümmelt. Meist handelte es sich um junge Frauen, die aus anderen Teilen Mexikos in die Grenzstadt gezogen waren, um dort Arbeit zu finden. Aufgrund besonderer Zollregelungen blüht in diesem Grenzgebiet die so genannte Maquiladora-Industrie.

Allmächtiges Drogenkartell

Zumeist ausländische Unternehmer lassen hier Textilien, Schuhe oder Elektrogeräte für den Export fertigen. Eine Sonderwirtschaftszone wurde geschaffen, in der keine Arbeitsrechte gelten und keine Steuern vom Bundesstaat Chihuahuas eingehoben werden. Heute gibt es in der Region 2.500 Maquiladoras mit rund einer Million Arbeiterinnen und Arbeiter.

Judith Galarza kennt Ciudad Juárez seit ihrer Kindheit. Damals, vor vierzig Jahren, war dieses Tal noch grün und friedlich, schwärmt sie. Nachdem sich aber immer mehr Maquiladoras niedergelassen haben, verschwand zuerst die unberührte Natur und dann der Friede. Menschenmassen wandern seither ständig vom Landesinneren hierher. Sie versuchen entweder illegal die Grenze zur USA zu überqueren, oder Arbeit in den Maquiladoras zu finden. In diesem sozialen Gemenge blühen Kriminalität, Prostitution und Drogenkonsum. Das Drogenkartell Juárez gilt mittlerweile als das größte der Welt und "ist allmächtig", sagt Judith Galarza.

In den 70er Jahren gab es ein erstes Aufbäumen gegen all diese Missstände, erzählt Galarza. Eine bewaffnete Widerstandsbewegung entstand, die für eine sozial gerechte Regierung kämpfte, doch sie wurde brutal niedergeschlagen. Auch die Schwester von Judith Galarza wurde festgenommen, und man ließ sie 1978 verschwinden. Für Galarza besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Scheitern des damaligen Widerstandes und der Gewalt gegen Frauen: "Auf diese Weise werden die Menschen nach wie vor eingeschüchtert, verängstigt, ruhig gehalten", lautet ihr Verdacht.

"Das ist Psychoterror", sagt sie und erzählt von Frauenleichen, die visavis einer Fabrik, direkt neben einer stark befahrenen Straße, hingeworfen wurden. Zuvor war es genau in diesem Betrieb zu gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen gekommen. "Die zeigen, dass sie alles machen können, dass ihre Macht unbegrenzt ist."

Eine effiziente Aufklärungsarbeit wurde bisher vor allem von einem Netz der Korruption verhindert. ai-Generalsekretärin Irene Khan bezeichnete die mexikanische Justiz als "verrottetes System". Schweres Geschütz gegen die regionale Staatsanwaltschaft in Ciudad Juárez fährt auch deren früherer Chefsachverständiger Oscar Maynez auf, der entmutigt das Handtuch geworfen hat. Er berichtet, dass seine Vorgesetzten vom ihm verlangten, falsche Indizien zu streuen, um die Überführung einiger Tatverdächtiger zu erleichtern. Die Journalistin Diana Washington Valdez von der El Paso Times, die ein Buch zu dem Thema veröffentlichen will, sieht mächtige Interessen am Werk und ist von Verbindungen zwischen den Frauenmördern und Politikern überzeugt.

PR-Gag für EU-Politiker?

Judith Galarza bestätigt diesen Verdacht; gerne würde sie glauben, dass die kürzlich von der Zentralregierung eingesetzte Sonderstaatsanwältin die Aufklärung der Frauenmorde vorantreibt. Mitte letzter Woche wurden jedenfalls überraschend die Aufklärung der Mordserie und ein "vollständiger Bericht" bis Ende des Monats angekündigt. Zufällig findet am 28. und 29 Mai auch ein EU-Lateinamerika-Gipfel in Mexiko statt - hoffentlich stellt sich der plötzliche Fahndungserfolg der mexikanischen Justiz nicht bloß als PR-Gag für EU-Politiker heraus.

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