Stärkenanalyse - oder doch nur Zeugnis?

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Er war die Überraschung, als am 17. November 2015 die damalige Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) vor die Presse traten und die Eckpunkte der Bildungsreform verkündeten: der individuelle "Bildungskompass" für alle Kinder ab 3,5 Jahren bis zum Ende der Schullaufbahn - samt "durchgehender Sprachstands- und Entwicklungsdokumentation mittels Portfolio-System". Anfang August 2016 präsentierte Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) schließlich die Details - freilich redimensioniert auf den Elementarbereich, für den ihr Ressort zuständig ist. Ausgearbeitet hatte das Konzept das Charlotte-Bühler-Institut für praxisorientierte Kleinkindforschung, begleitet von einer Arbeitsgruppe. Viele der Expertinnen hatten ein breit angelegtes Portfolio empfohlen, um umfassend auf das einzelne Kind eingehen zu können. Tatsächlich bestand Karmasin aber auf einem ein-bis zweiseitigen Papier, auf dem die Kinder in fünf Lernbereichen analysiert und beschrieben werden sollten: "Interessiert sein","Engagiert sein","Standhalten bei Herausforderungen und Schwierigkeiten", "Sich ausdrücken können und mitteilen" sowie "An einer Lerngemeinschaft mitwirken und Verantwortung übernehmen". Im Rahmen von Entwicklungsgesprächen sollte das Papier an die Eltern übergeben werden, die es ihrerseits bei der Schuleinschreibung mitnehmen könnten. Drei Stunden Arbeitsaufwand pro Jahr sollte die Dokumentation für die Elementarpädagoginnen bedeuten. Geplanter flächendeckender Start: 2018.

Bloße "Augenauswischerei"?

Die Reaktionen waren ambivalent. Von "Augenauswischerei" sprach etwa Heidemarie Lex-Nalis von der Plattform "Educare". Das Konzept der fünf Lerndispositionen sei "extrem aufwändig" und würde den Pädagoginnen Dinge abverlangen, die sie an den Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik (BAKIPs) nicht gelernt hätten. Zudem sei es "völlig unmöglich", dass jede Pädagogin einmal im Jahr den Entwicklungsstand von 25 Kindern dokumentieren könne. Andere befürchteten, dass die Kinder nun schon im Kindergarten "ein Zeugnis" erhielten.

Gabriele Bäck, Geschäftsführerin des Charlotte-Bühler-Instituts, kann die Kritik nur teilweise nachvollziehen. "Der Bildungskompass sollte ja kein riesiges Konvolut sein, sondern für die Schule den Blick auf die Ressourcen bündeln. Außerdem ist er nicht isoliert zu sehen, sondern etwaige Portfolioarbeit soll natürlich weitergeführt werden." Auch seien umfassende Weiterbildungsmaßnahmen geplant. Die Forderungen nach kleineren Gruppengrößen und einer Akademisierung des Elementarbereichs seien hingegen gerechtfertigt - aber unabhängig vom Bildungskompass.

Einstweilen liegt der Ball aber ohnehin bei den Ländern: Mit ihnen muss in den laufenden 15a-Verhandlungen die Finanzierung geklärt werden.

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