Sterben für den Urwald

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Wer sich als Umweltschützer mit der Holzmafia anlegt, lebt gefährlich.

Es ist der 18. Februar 2002, Sosnovy Bor, Sibirien: Ein unbekannter Schläger greift Oleg Bodrov von der Umweltgruppe "Green World Council" an, als er vom Büro nach Hause geht. Der Kriminelle schlägt ihn mit einem schweren Gegenstand nieder, Oleg verliert das Bewusstsein. Diagnose im Spital: schwere Gehirnerschütterung. Wer sich in Russland für die Umwelt einsetzt, lebt generell gefährlich. Das gilt besonders dann, wenn er oder sie sich mit dem russischen Militär anlegt. Zum Beispiel Grigori Paskos. Sein Verbrechen: Als Militärjournalist hatte er 1993 die Pazifikflotte beim Versenken von radioaktivem Müll im Japanischen Meer gefilmt. Das Video lief später im japanischen Fernsehen. Für den russischen Geheimdienst Grund genug, Pasko vier Jahre später des Geheimnisverrats zu beschuldigen. Obwohl der Geheimdienst ihm nicht nachweisen konnte, dass er geheime Dokumente weitergeleitet hatte, verurteilte ihn ein Militärgericht wegen Amtsmissbrauchs zu vier Jahren Gefängnis. "Das ist mein Todesurteil", kommentierte Pasko den Richterspruch.

Auch der Autor dieser Zeilen hat in Russland schon gefährliche Situationen hinter sich gebracht. Ich machte bei Holzrecherchen mit der russsischen Mafia Bekanntschaft. Bei einem Festbankett hatte der Russisch-Dolmetscher ganz überraschend und verfrüht zum Aufbruch gedrängt. Er erzählte uns erst viel später den Grund der "Flucht": Die Mafiabosse hatten ihm einen Deal vorgeschlagen. "Wir locken die Umweltschützer gemeinsam in einen Hinterhalt und stechen sie ab." Ihm, dem Dolmetscher, gebühre dafür dann die Hälfte der Beute. "Ich habe pro Forma eingewilligt und uns dann blitzartig in Sicherheit gebracht," berichtete er geschockt, obwohl Greenpeace solche Situationen als ganz normale Berufsrisiken ansieht, die die Aktivisten nicht wirklich einschüchtern.

Auf der anderen Seite der Weltkugel, im Amazonasgebiet, haben schon viele Umweltschützer den Tod gefunden. Der berühmteste Fall war wohl Francisco Mendes. 22. Dezember 1988, Xapuri: Chico Mendes hatte in der Küche seines Hauses Domino mit zwei Leibwächtern gespielt, die die Militärpolizei für ihn abgestellt hatte. Es war dunkel geworden, und er warf sich ein Handtuch über die Schulter. Er murmelte etwas über die Dunkelheit und trat hinaus. In diesem Moment feuerte ein Mann eine Schrotflinte auf ihn ab, Dutzende Kugeln bohrten sich in seine Brust und in seine rechte Schulter. Innerhalb kürzester Zeit war er verblutet. 1990 wurden die Rinderzüchter Darly und Darci Alves des Mordes für schuldig befunden und zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt. 1993 gelang ihnen aber die Flucht - erst 1996 konnten sie wieder gefasst werden.

Aber auch wer sich im Amazonasgebiet mit der Holzindustrie anlegt, lebt gefährlich. Auch ein Greenpeace-Mitarbeiter steht auf der Todesliste. Am 4. Oktober 2001 klingelte bei Greenpeace in Manaus das Telefon: "Der Mann mit dem Bart, er muss sterben. Er wird sterben." Summton. Der einzige bärtige Mann bei Greenpeace ist Kampagnenleiter Paolo Adario. Er hatte es kurz zuvor gewagt, sich mit der mächtigen Mahagoni-Mafia anzulegen. Deshalb wurde die Familie des Greenpeace-Kampagnenleiters unverzüglich im Süden Brasiliens in Sicherheit gebracht. Paolo selbst checkte unter falschem Namen in ein Hotel in Manaus ein und geht seither jeden Tag auf einem anderen Weg ins Büro. Seit 17. Oktober wird Adario rund um die Uhr von bewaffneten Polizisten und privatem Wachpersonal bewacht. "Todesdrohungen können uns nicht daran hindern, aufzuzeigen, wie der Amazonas von Leuten zerstört wird, die vor nichts zurückschrecken", meint Adario. Und: Am 19. Oktober verbot die Umweltbehörde auf unbestimmte Zeit Einschlag, Verarbeitung und Handel von Mahagoni!

Ein besonderes tragischer Fall schließlich ist das spurlose Verschwinden des Schweizer "Regenwald-Gurus", Bruno Manser. Er war zuerst Senn und Schäfer, bald träumte Manser davon, Menschen kennen zu lernen, die noch wirklich "ursprünglich" lebten. Er las von den Penan, einem nomadisch lebenden Volk im Regenwald von Sarawak, im Norden Borneos.

Er schloss sich einer Höhlenforschungs-Expedition ins Penan-Gebiet an und blieb einfach dort. Er lernte die Sprache der Einheimischen, ihre Einheit mit der Natur und ihre heiligen Bäume kennen. Doch die Idylle wurde je gestört: Bulldozer drangen in die Urwälder der Penan ein, Motorsägen zerrissen die Stille des Dschungels. Etwa 3.000 Quadratkilometer Regenwald - mehr als die Fläche Vorarlbergs - werden in Sarawak jährlich abgeholzt, sogar in den Nächten - bei Flutlicht - wird geschlägert. Die Penan beginnen gewaltfreien Widerstand gegen den Holzeinschlag in ihren Gebieten. Manser, von Polizei und Militär verfolgt, muss flüchten. Und sehr oft ist er an seine Grenzen gegangen: Beim Hungerstreik in der Schweiz etwa, wo er 1993 60 Tage lang fastete. Oder bei seinem tollkühnen Hängegleiterflug um die Privatresidenz des Chief Minister von Sarawak. Und jetzt ist der 47-jährige auf der Insel Borneo verschollen.

Einfach verschollen

Mit der Angst im Nacken, dass offensichtlich auch die kümmerlichen Überreste des Penanwaldes der Holzindustrie geopfert werden sollten, brach der Umweltschützer am 15. Februar 2000 wieder auf. Er muss um den 22. Mai mit Hilfe eines einheimischen Führers die bewaldete Grenze nach Sarawak überschritten haben. Sein letztes Lebenszeichen stammt aus dem Städtchen Bareo: Der Regenwaldschützer verfasste am 23. Mai in einem Gebüsch versteckt einen Brief an seine Freundin. Seither hat es zahlreiche Versuche gegeben, den Kontakt zum Umweltaktivisten wieder herzustellen - alles umsonst. Die Verwandten und Freunden befürchten Schlimmes: Im Urwald von Sarawak lauern zahlreiche Gefahren: Malaria, Infektionen, Schlangenbisse und Unfälle jeder Art. Im zerklüfteten und mit Flüssen durchzogenen Gebiet können Menschen abstürzen, ertrinken, oder sich hoffnungslos verirren. Und auch ein Mord ist nicht auszuschliessen: Auf Manser ist immer noch ein Kopfgeld ausgesetzt.

Was mit Manser geschehen ist, versuchen nun auch Schweizer Diplomaten herauszufinden. Ergeben diese keine konkreten Resultate, wird die Schweiz in Malaysia eine Vermisstmeldung aufgeben müssen. Und dann werden Fahndungsfotos aufgehängt, Bilder von einem "Staatsfeind", der sich für das Überleben der Ohnmächtigsten in Sarawak einsetzt. Und für jene, die verzweifelt der Zerstörung ihrer letzten Lebensgrundlagen zusehen müssen - die Penan.

Der Autor ist Greenpeace-Aktivist.

Waldvernichtung: 50 Fußballfelder pro Minute

Der überwiegende Teil der heutigen Wälder besteht aus artenarmen Forsten, die nicht annähernd die ökologische Bedeutung von Urwäldern erreichen. Derzeit finden sich noch große Urwaldflächen vor allem in den nördlichen Breiten Rußlands und Kanadas sowie im tropischen Brasilien. Von den weltweit verbliebenen 20 Prozent Urwald ist rund die Hälfte von der Zerstörung durch Holzeinschlag, Landwirtschaft und anderer menschlicher Aktivitäten bedroht.

Jedes Jahr fallen 25 Millionen Hektar Wald den Kettensägen, Flammen und Bulldozern zum Opfer. Das sind fast 50 Fußballfelder pro Minute. Der Holzeinschlag für Bauholz, Möbel und Papierherstellung ist dabei die größte Bedrohung für die Urwälder.

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