"Studieren“ in der Oberstufe?

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2013 läuft die neue Oberstufe an: Schüler ab der zehnten Schulstufe absolvieren semesterweise Pflicht- und Wahlmodule, die sie auf die Uni vorbereiten sollen.

Nach einem holprigen Start hat sich die Regierung heuer doch noch geeinigt: Ab dem kommenden Schuljahr beginnt die schrittweise Umstellung aller AHS-Oberstufen und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) auf ein flexibles Kurssystem. Die Umstrukturierung soll an allen 800 Standorten bis zum Schuljahr 2017 abgeschlossen sein.

Im Zentrum der Oberstufen-Reform steht eine Einteilung des Stoffes in Kompetenzmodule: Schülerinnen und Schüler ab der zehnten Schulstufe absolvieren nicht mehr einzelne Schuljahre oder Klassen, sondern Module in der Dauer von einem Semester. Nur die Basismodule sind verpflichtend, die Wahlmodule können sie nach Belieben zusammenstellen. Pflichtgegenstände dürfen nicht abgewählt werden. Dabei soll der Klassenverband erhalten bleiben, die Stundenanzahl dieselbe bleiben. Jedes Semester muss positiv abgeschlossen werden. Begabte Schüler sollen in einzelnen Fächern schon früher zur Matura antreten dürfen.

Mit der neuen Oberstufe erhofft man sich eine bessere Vorbereitung auf die Universität: "Durch gezielte Individualisierung wollen wir Spitzenleistungen fördern und das Gesamtniveau anheben“, so Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ). Sie erwartet sich eine bessere Lernatmosphäre durch kleinere Lernpakete und eine kontinuierliche Leistungserbringung während des Schuljahres. Durch die selbstständige Zusammenstellung eines Semesters sollen die Schüler lernen, sich zu organisieren.

Das "Sitzenbleiben“ bleibt

Während Schmied die erste Präsentation der "Oberstufe Neu“ noch unter das Motto "Abschaffen des Sitzenbleibens“ stellte, musste sie mittlerweile auf Druck der ÖVP zurückrudern: Ursprünglich sollten nur mehr negativ absolvierte Module nachgeholt werden müssen. Nun wurde beschlossen, dass Schüler mit zwei negativen Noten in Pflichtgegenständen die Schulstufe wiederholen müssen. Ein einmaliges Aufsteigen mit drei negativen Noten kann die Klassenkonferenz allerdings ermöglichen.

Derzeit wiederholen rund zehn Prozent der Oberstufenschüler eine Klasse. An jenen Schulen, die das Modulsystem als Schulversuch führen, konnten 60 Prozent der Klassenwiederholungen vermieden werden.

Schon seit acht Jahren laufen Schulversuche zur Erprobung des Modulsystems. Derzeit testen rund 40 Standorte die neue Oberstufe im Rahmen eines Schulversuchs. Einen einheitlichen Leitfaden zur Umsetzung gibt es nicht, jeder Antrag eines Schulversuchs muss individuell abgesegnet werden.

Die AHS Rahlgasse in Wien erprobte schon ab 2006 die neue Oberstufe. Nach einem ersten, sechs-semestrigen Schulversuch wurde ein weiterer nur in beschränkter Form vom Unterrichtsministerium genehmigt. Die langjährige Direktorin Heidi Schrodt kritisiert die bürokratischen Hürden, die die Umsetzung des Schulversuchs erschweren: "Die Juristen im Ministerium klopfen jedes Detail ab, sodass am Ende wenig von der Reform übrig bleibt. Wir durften etwa keine alternative Leistungsbeurteilung erproben.“

An der Schule brachte das neue Modulsystem positive Effekte: Es förderte eine verstärkte Kooperation der Lehrkräfte, berichtet Schrodt: "Die Lehrer haben in Fachgruppen so intensiv wie nie zuvor zusammengearbeitet, um Curricula für die Wahlmodule zu entwerfen.“

Bei den meisten Schülern ist das Kurssystem nach einer Eingewöhnungsphase sehr gut angekommen: "Vor allem bei den Wahlmodulen haben besonders Interessierte Spitzenleistungen erbracht, die sie bei der Matura präsentierten“, so Schrodt.

Abkehr vom Kurssystem in Deutschland

Für schwächere Schüler bedeute das neue System eine große Herausforderung: "Wenn sie einzelne Module nachholen mussten und parallel bereits das aufbauende Modul besuchten, waren sie doppelt gestresst. Sie benötigten ein gezieltes Coaching durch die Lehrer“, betont die Pädagogin. So ein Coaching sei zur Förderung Hochbegabter ebenso sinnvoll, konnte aber mangels Ressourcen nicht angeboten werden. Zudem sind nicht alle geplanten Wahlmodule zustande gekommen: "Wir mussten naturwissenschaftliche Fächer stark bewerben“, erzählt Schrodt. Literatur- und Philosophie-Module hingegen seien wesentlich beliebter.

"Anregungen zur Entwicklung des neuen Kurssystems kamen aus den USA, England und Deutschland“, berichtet Josef Galley, Sprecher des Bildungsministeriums. In Deutschland hat man schon in den Siebzigerjahren ein Kurssystem in der Oberstufe eingeführt. Die Kritik daran hat sich in den letzten Jahren gehäuft: Das System sei kompliziert und kostspielig. Durch fehlende Grundbildung sei keine allgemeine Studierfähigkeit garantiert. Das zeige sich in den hohen Abbrecherquoten der Studierenden. Kritisiert wurde auch die Beliebigkeit der Wahlmöglichkeiten. Die jüngsten Reformen in Deutschland zielen wieder auf eine Stärkung der Allgemeinbildung ab: Die Möglichkeiten, unbeliebte Fächer wie etwa Mathematik abzuwählen, wurden eingeschränkt.

Wie so oft ist Schweden internationaler Vorreiter. Dort sind Oberstufen-Kurse und Studienangebote aufeinander abgestimmt: Schüler können in den letzten beiden Schuljahren ihre Kurse passend zum geplanten Studium zusammenstellen. Für ihre Wahlfächer erhalten sie unterschiedliche Punktezahlen. Die Studienfächer an der Universität geben vor, wie viele Punkte in bestimmten Schulfächern nötig sind, um zum jeweiligen Studium zugelassen zu werden. Der Erfolg gibt den Schweden recht: Die Drop-out-Quoten an den schwedischen Unis sind wesentlich niedriger als hierzulande.

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