Stürmischer war's!

Werbung
Werbung
Werbung

ORF-Parlamentskenner Thomas Ortner verfolgt seit 1968 das Geschehen im Hohen Haus. "Wie war es? Wie ist es heute? Was ist anders?", hat ihn die furche gefragt.

Eine Welt, in der ich mich wohl fühle", so beschreibt der Chef der ORF-Parlamentsredaktion, Thomas Ortner, das Hohe Haus. Eine große emotionale Nähe sei da vorhanden, sagt er, und immer schon gewesen, seit er 1968 als Redakteursaspirant für die Zeit im Bild das österreichische Parlament zum ersten Mal betreten hat. "Am besten ist, Sie fragen einfach, und ich erzähl halt dann", schlägt Ortner vor. Einverstanden: Wie war das damals?

"Sehr stürmisch war's", kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Es war die Zeit der ÖVP-Alleinregierung, Bruno Kreisky nutzte die parlamentarische Bühne für seine Oppositionsarbeit, drängte, "um selber auf die Rampe zu kommen". Zwei Episoden sind ihm bis heute in Erinnerung geblieben: Sturmszenen löste die Antwort des VP-Abgeordneten Walter Hauser auf Zwischenrufe aus den sozialistischen Reihen aus. "Mit ihrem 34er Jahr können Sie mir den Hobel ausblasen", meinte Hauser, woraufhin der damals noch junge Abgeordnete Karl Sekanina wutentbrannt aus den hinteren SP-Reihen in Richtung Rednerpult losstartete, um Hauser einen anderen Marsch zu blasen. Das wäre Sekanina wohl auch gelungen, hätten sich ihm nicht Kreisky und Pittermann in den Weg gestellt und unter Aufbietung all ihrer Kräfte von einem Raufhändel zurückgehalten.

Bevor er das zweite Schmankerl zum Besten gibt, zündet sich Ortner noch eine Zigarette an. Der Rauch geht auf, die Geschichte los: Anfang der siebziger Jahre; Kreisky ist Kanzler; Fragestunde des Nationalrats; Kreisky weicht den Fragen der Opposition aus, woraufhin der VP-Abgeordnete Karl Glaser den Kanzler auffordert mit Ja oder Nein zu antworten. Kreisky entgegnet: "Herr Abgeordneter, in diesem Ton bin ich das letzte Mal von der Gestapo befragt worden!" Sturmszenen folgten, Ortner nimmt einen kräftigen Zug an seiner Zigarette. Gelegenheit, den Bogen in die Gegenwart zu spannen: Wie ist es heute? Was ist anders geworden?

Es heißt zwar immer, dass in letzter Zeit die Ordnungsrufe im Plenum des Nationalrats mehr geworden sind, doch Ortner bleibt dabei, dass es früher "deutlich stürmischer" war. Das Klima sei heute nicht so schlecht, wie es oft dargestellt wird, meint er, "bei aller Schärfe, zu der es natürlich immer wieder kommt". Ortner: Es ist weder generell so, dass Abgeordnete im Plenum wild streiten, nach der Sitzung aber dann die besten Freunde sind und auf ein Bier gehen, noch ist es richtig, hier von zwei oder noch mehr Welten zu sprechen, die völlig voneinander getrennt sind und keine Anknüpfungspunkte kennen.

Anders geworden sei aber die Qualität der Reden im Plenum, bilanziert Ortner: "Sicher, auch heute lassen sich einige Spitzenredner finden, aber früher gab es insgesamt mehr Brillanz, rhetorisch bessere, eloquentere Reden." Im Vergleich mit dem Deutschen Bundestag hinkt das österreichische Parlament da schon etwas nach, denkt der ORF-Journalist, doch das habe nichts mit der generellen Tüchtigkeit unserer Abgeordneten zu tun, die er als ausgesprochen hoch einschätzt. "Das ist grosso modo keine abgehobene Funktionärskaste, sondern das sind totale Spezialisten, die großteils Tag und Nacht im Einsatz sind." Deswegen hält der Journalist die Politiker auch nicht für überbezahlt, die Bezügediskussionen als völlig überzeichnet.

Ebenfalls sehr skeptisch ist Ortner bei den immer wieder veröffentlichten Umfragen, die nachweisen wollen, dass die Abgeordneten in Österreich nicht einmal in ihren eigenen Wahlkreisen bekannt sind. Bei den Arbeiten für Abgeordnetenporträts, die regelmäßig im Rahmen der ORF-Sendung Hohes Haus gezeigt werden, erlebt Ortner das genaue Gegenteil von dem, was diese Umfragen festgestellt haben wollen. "Die Menschen kennen und mögen ihre Abgeordneten", weiß Ortner. Die Parlamentarier seien in ihren Wahlkreisen fest verankert, ist seine Erfahrung. "Vielleicht in Wien weniger, aber in den Bundesländern ganz sicher."

Sein Hohes Haus lässt sich Ortner auch nicht in wichtigen Nationalrat und ersetzbaren oder überhaupt überflüssigen Bundesrat trennen. "Wir sind die einzigen, die regelmäßig über die Arbeit des Bundesrats berichten", ist der Hohes-Haus-Chef stolz. Eine Selbstverständlichkeit für den gebürtigen Vorarlberger, denn "für jeden, der ein bissl föderalistisch denkt, ist der Bundesrat unverzichtbar". Dass sich der Bundesrat oft unter seinem Wert schlägt, bedauert Ortner, dass er sich offensiver für Länderinteressen einsetzen sollte, wünscht er sich. Insgesamt aber ist Ortner mit dem Parlament zufrieden. Frau und Herr Österreicher werden gut repräsentiert, weiß er aus täglichem Miterleben: "Dort gibt es alles und jedes, eine kleine Welt" - in der Österreich Probe hält.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung