Symptomatische Schuldzuweisungen

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Nachdem die Abtreibungspraxis der Wiener Allgemeinärztin geschlossen wurde, beginnt nun seitens der Ärztekammer und der Patientenanwaltschaft die Aufarbeitung des Falles. Über die Frage, warum die Ordination trotz mehrfacher, schwerer Komplikationen von Patientinnen sowie scheinbar wissender Ärzteschaft so lange laufen konnte, scheiden sich die Geister. "Der Ehrenrat der Ärztekammer hat über die Ärztin getagt, nachdem ich zwei konkrete Fälle angezeigt habe. Nur gerade diese beiden Fälle, bei denen es zu gravierenden Komplikationen oder Behandlungsfehlern gekommen ist, wurden nicht einmal behandelt", ist Patientenanwältin Sigrid Pilz verärgert. Thomas Szekeres, Präsident der Wiener Ärztekammer, entgegnet, dass ein Berufsverbot bislang nicht möglich gewesen sei, weil es keine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gegeben habe. "In den letzten Jahren wurde die Ordination zeitweise wegen Mängeln geschlossen, teilweise gab es ein befristetes Berufsverbot für die Ärztin", so Szekeres. Die vorhergehenden Verfahren wären aber alle bereits abgeschlossen.

Erschwerte Rechtsschritte für Patientinnen

Das sieht Patientenanwältin Pilz anders. Ihrer Meinung nach putze sich die Ärztekammer ab. Mehrmals habe man dem Ehrenrat von den Vorgängen in der Klinik und den häufigen Komplikationen der Patientinnen berichtet, aber nichts sei passiert. In Not geratene Frauen, darunter Migrantinnen und Prosituierte, hätten die Ordination besucht. "Und dann heißt es immer, die könnten ja klagen. Aber sie haben weder das Geld noch die Ressourcen dafür", erklärt Pilz. Szekeres hingegen verweist darauf, dass die Ärztekammer nicht alleine zuständig gewesen wäre. "Qualitätsnormen liegen nicht im Aufgabenbereich der Ärztekammer, wir sind kein Expertengremium", so Szekeres. Man habe nun aber eingegriffen und geholfen, das Verfahren zu beschleunigen.

Um derartige Fälle in Zukunft zu vermeiden, hält es Pilz für notwendig, der Ärztekammer die Aufgabe der Qualitätssicherung zu entziehen: "Wir brauchen eine unabhängige, weisungsfreie Behörde, die unangemeldet Überprüfungen durchführen kann". In anderen europäischen Staaten wie beispielsweise Deutschland hätte sich dieses Modell bereits durchgesetzt.

"Dass der Hund selbst auf die Wurst aufpasst, ist nur in Österreich so", meint Pilz. Laut Szekeres sei es aber nicht die entscheidende Frage, ob die Qualitätsprüfung von der Ärztekammer getrennt sei. Wichtiger sei ein aus Ärzten bestehendes Expertengremium, denn weisungsfrei sei die ÖQMed (Gesellschaft für Qualitätssicherung) schon jetzt. Seitens der Ärztekammer habe man aber eine Lehre gezogen, nämlich "dass die Möglichkeit, die Berufsberechtigung zu entziehen, erleichtert werden muss."

Im Clinch Wiener ÄK-Präsident Szekeres (li.) und Patientenanwältin Pilz (re.) sind uneins.

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