Synergien und Infusionen

Werbung
Werbung
Werbung

Dienstag der Vorwoche hat die Regierung das Gesundheitspaket samt Strukturreform im Ministerrat abgesegnet. Neben Kostendämpfungen sind auch neue Einnahmen geplant. Ein Überblick.

Zuerst hätten es Agenturen werden sollen. Am Ende der Finanzausgleichsverhandlungen waren es Plattformen. Wie auch immer die neu geschaffenen Strukturen heißen: Erstmals gewähren sie die - von allen Experten geforderte - Planung aller Gesundheitsleistungen "aus einer Hand". Die Versorgung von Krankenhäusern sowie Ärztinnen und Ärzten soll aufeinander abgestimmt, Doppelbefundungen sollen verhindert, Synergien genutzt werden.

In jedem Bundesland werden so genannte Gesundheitsplattformen installiert, welche die Landesstrukturkommissionen der Landesfonds ersetzen sollen. Aufgabe dieser Kommissionen war es bisher, den Bereich der Krankenhäuser zu planen und zu steuern. Die Zuständigkeit der neuen Gesundheitsplattformen umfasst nun zusätzlich auch den gesamten niedergelassenen Bereich.

Mehr Zusammenschau soll es auch auf nationaler Ebene geben: Eine Bundesgesundheitsagentur wird die bisherigen Aufgaben der Bundesstrukturkommission übernehmen und nicht nur die Bedarfsplanung für die Krankenhäuser ausarbeiten - bisher im Österreichischen Krankenanstaltenplan (ÖKAP) -, sondern auch für die niedergelassene Versorgung. Dies ist Voraussetzung für eine ganzheitliche Planung der medizinischen Versorgung, die ab Ende kommenden Jahres im "Österreichischen Strukturplan Gesundheit 2005" Realität werden soll.

Gehemmte Plattformen?

Ob die Praxis diesen ambitionierten Zielen entsprechen wird, bleibt abzuwarten. Der Erfolg wird wesentlich davon abhängen, ob sich die Mitglieder in den Gesundheitsplattformen auf eine gemeinsame Gangart einigen können. Tatsächlich hat man sich im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen auf eine Stimmgewichtung geeinigt, die eine gegenseitige Hemmung provozieren könnte: Sozialversicherung und Länder sollen zu gleichen Teilen - gemeinsam mit dem Bund - in der Plattform vertreten sein, wobei die Länder im Kernbereich Krankenanstalten nie überstimmt werden können und die Sozialversicherung im Kernbereich der niedergelassenen Versorgung nie überdribbelt werden darf.

Für konkrete Projekt der Leistungsverlagerung aus den Spitälern in den niedergelassenen Bereich - ein wesentliches Ziel der Strukturreform - werden in einem Reformpool Geldmittel der Länder und der Sozialversicherung bereitgestellt. In den Jahren 2005 und 2006 steht ein Prozent der gesamten Beitrags- und Steuermittel im Gesundheitsbereich (insgesamt 14 Milliarden Euro) für solche Leistungsverschiebungen zur Verfügung, also österreichweit 140 Millionen Euro. In den zwei Folgejahren wird sich diese Summe auf 280 Millionen Euro verdoppeln.

Um die Schnittstelle zwischen Krankenhaus und Praxis für die Patientinnen und Patienten praktikabler zu gestalten, soll zudem in Modellprojekten die gesamte ambulante fachärztliche Versorgung in den Spitalsambulanzen und bei den niedergelassenen Ärzten neu geplant und finanziert werden. Langfristiges Ziel ist es, die Ambulanzen in Form von Ärztezentren zu betreiben.

Neben diesen Strukturreformen im Gesundheitswesen haben Bund und Länder Kostendämpfungen im Umfang von 300 Millionen Euro vereinbart. Angestrebt wird eine Reduktion der Belagstage in den Spitälern, indem falsche Anreize bei klinischen Eingriffen korrigiert werden. Konkret ist geplant, das System der Leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF) zu Gunsten tagesklinischer Eingriffe zu verändern (siehe Seite 24).

All diese Strukturreformen reichen freilich nicht aus, um kurz- und mittelfristig die Finanzlöcher der Sozialversicherung und der Spitäler zu schließen. Nach heftigen Debatten entschlossen sich deshalb die Regierungsparteien, den Einsparungen von 300 Millionen Euro neue Einnahmen in der selben Höhe gegenüberzustellen, die je zur Hälfte den Ländern (für die Spitalsfinanzierung) und der Sozialversicherung als finanzielle Infusionen dienen sollen. Folgende Änderungen kommen also ab 1. Jänner 2005 auf Österreichs Patientinnen und Patienten zu:

* Die Krankenversicherungsbeiträge werden um 0,1 Prozent angehoben, wobei jeweils 0,05 Prozent von den Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen und 0,05 Prozent von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern getragen werden. Erwartete Mehreinnahmen: 120 Millionen Euro.

* Zudem soll die Höchstbeitragsgrundlage in der Krankenversicherung um 90 Euro - von derzeit 3.450 Euro monatlich auf 3.540 Euro monatlich - angehoben werden, was 30 Millionen Euro bringen soll.

* Die Länder werden ermächtigt, den vom Patienten zu leistenden Spitalskostenbeitrag pro Tag von 7,98 Euro auf zehn Euro zu erhöhen. Mehreinnahmen: 15 Millionen Euro.

* Die Rezeptgebühr wird von 4,35 Euro auf 4,45 Euro erhöht. Die geplante Senkung der Gebühr für Generika, also patentfreie Nachbau-Pharmazeutika, wird nicht umgesetzt. Mehreinnahmen: zehn Millionen Euro.

* Die Tabaksteuer wird um 18 Cent pro Packung angehoben. Einnahmenplus: 90 Millionen Euro.

* Und schließlich werden die Zuschussleistungen der Krankenversicherungsträger für Brillen und sonstige Sehbehelfe stark eingeschränkt. Eine Änderung, die rund 35 Millionen Euro - mehr als die Hälfte der 65 Millionen Euro an Sehbehelfs-Zuschüssen - einsparen hilft.

Während Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (VP) von einem "Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik " spricht, weil es endlich gelungen sei, das von den Kompetenzen her zersplitterte Gesundheitswesen zusammenzuführen, üben die Oppositionsparteien Kritik. So begründete SPÖ-Parteichef Alfred Gusenbauer die Ablehnung des Gesundheitspakets damit, dass Geld auf Kosten der Kranken und Schwachen lukriert würde. Man hätte sich - wie die Grünen - vielmehr eine stärkere Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage gewünscht. Auf Kritik stößt auch die Entscheidung, die Erhöhung des Spitalskostenbeitrags den Ländern zu überantworten.

Run auf Augenärzte

Die Wiener Ärztekammer startete aus Protest gegen die Streichung der Zuschüsse bei Sehbehelfen in der Vorwoche die Aktion "Sonderordinationszeiten": Alle Wiener Augenärzte wurden angewiesen, den Patienten noch vor Jahresende Termine für eine Brillen- oder Kontaktlinsenanpassung zu geben, um in den Genuss von Zuschüssen zu kommen.

Das Gesundheitsministerium betont indes, dass hochgradig Sehbehinderte, Kinder, mitversicherte Jugendliche sowie rezeptbefreite Personen (unter der Ausgleichszulage von 653,19 Euro) nach wie vor Anspruch auf den Zuschuss hätten. Wer genau als schwer sehbehindert gilt, soll demnächst eine Kommission klären. Im Übrigen sei der Verlust eines Zuschusses von drei Euro (Brillen in der Stärke bis vier Dioptrien) bzw. sieben bis acht Euro (Brillen mit fünf bis acht Dioptrien) für die Versicherten grundsätzlich verkraftbar. Die Krankenversicherungen würden hingegen von einem nicht unbeträchtlichen Aufwand befreit, so das Ministerium.

Qualität

Mit dem geplanten Gesundheitsqualitätsgesetz werden erstmals allgemein gültige Rahmenbedingungen für die Qualität von Gesundheitsleistungen in Österreich geschaffen - egal, in welchem Bundesland man behandelt wird. Sowohl im Spitalsbereich als auch bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sollen die Behandlungspfade vereinheitlicht und die Transparenz erhöht werden. Die Maßnahme tut Not: Schließlich belegen Untersuchungen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger,

dass es allein in Österreichs Krankenanstalten jährlich 245.000 Zwischenfälle und zwischen 2.900 und 6.800 Todesfälle gebe, die allesamt vermeidbar wären. Das Qualitätssicherungspaket beinhaltet zudem einen Kindergesundheitsplan. Derzeit werden Kinder wie kleine Erwachsene behandelt, Medikamente werden fast ausschließlich für Erwachsene konzipiert.

Nähere Informationen zum Gesundheitsqualitätsgesetz im "Brennpunkt Gesundheit II" in der nächstwöchigen Furche .

innovation

Am 15. Dezember ist es so weit: Nach jahrelangen Verzögerungen soll erstmals in zwei Ordinationen eines burgenländischen Arztes die Chipkarte im "Live-Betrieb" getestet werden. Im zweiten Quartal 2005 ist eine österreichweite Testphase geplant, 2006 will man endgültig in den Vollbetrieb gehen.

Die E-Card, die den Krankenschein ablöst und auch mit Zusatzfunktionen - etwa Signaturanwendungen im Rahmen des E-Government - ausgestattet sein soll, bildet einen Meilenstein auf

dem Weg zur elektronischen Gesundheitsakte, kurz ELGA. Sie soll den Menschen ein Leben lang begleiten. Grundlage dafür ist das Gesundheits-Telematikgesetz, das den Datenaustausch zwischen Gesundheitsanbietern regelt und in der Vorwoche vom Ministerrat beschlossen wurde. Ein wirksamer Schutz der Privatsphäre sowie das Miteinbeziehen der Betroffenen müsse dabei sichergestellt sein, so das Gesundheitsministerium.

Nähere Informationen im "Brennpunkt Gesundheit II".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung