Molly Sandén - Der schwedische Popstar Molly Sandén klagte seine Urheberrechtsanteile am Hitsong eines Mannes erfolgreich ein. - © Foto: Getty Images / Michael Campanella

Szenen einer Nähe

19451960198020002020

Treffen repressive Geschlechterrollen auf selbstermächtigte ­Künstlerinnen, kann Popmusik zum Gegenentwurf für männliche ­Dominanz werden. Dazu lohnt ein Blick ins Musikland Schweden.

19451960198020002020

Treffen repressive Geschlechterrollen auf selbstermächtigte ­Künstlerinnen, kann Popmusik zum Gegenentwurf für männliche ­Dominanz werden. Dazu lohnt ein Blick ins Musikland Schweden.

Werbung
Werbung
Werbung

Ende Juni wird Zara Larsson zum ersten Mal auf einer österreichischen Bühne auftreten. Die beiden Konzertabende im Klagenfurter Wörtherseestadion, im Vorprogramm von Ed Sheeran, sind längst ausverkauft. Der Erfolg der erst 21-jährigen Schwedin ist unumstritten. In mehr als 15 Ländern wurde ihre Single „Lush Life“ mittlerweile mit Platin ausgezeichnet, so auch in Österreich. Ihre Tendenz ist steigend, nicht nur als Chartstürmerin mit ausverkauften Stadien und Streaming-Rekorden, sondern auch als Vorbild für ihre Follower. Schon 2016 wurde die bekennende Feministin vom amerikanischen Time Magazine zu einer der weltweit einflussreichsten jungen Menschen gewählt. Als Begründung gilt ihr Engagement für weibliches Empowerment. Das vermittelt sie in ihren Songs und in den Sozialen Medien. Wenn sie etwa auf ihrer Website gegen eine patriarchale Gesellschaft und Machokultur anschreibt oder wenn sie auf Instagram offen die Proteste gegen strengere Abtreibungsgesetze in Polen unterstützt.

Die Hand am Karriereschritt

Ebenfalls 2016 saß Larsson mit Plattenfirmenboss L. A. Reid, ihrer Managerin und Geschäftspartnern bei einem Abendessen in Hollywood. Der damals 60-jährige Reid hatte zuvor Popstars wie Mariah Carey oder Justin Bieber großgemacht. Doch an diesem Abend sollte er erst einmal den Körper der 40 Jahre jüngeren Larsson begutachten und kommentieren. Später betatschte er, unter dem Res­tauranttisch, ihre Schenkel, befingerte ihr Haar und Gesicht, um sie letztlich auch noch nach der Nummer ihres Hotelzimmers zu fragen. Larsson befand sich kurz vor einem großen Karriereschritt in die USA. Das Machtmissverhältnis zwischen ihr und dem einflussreichen Reid war bei dieser geschäftlichen Begegnung so eindeutig wie lähmend.

Mit dieser beklemmenden Szene eröffnet die schwedische Autorin Annah Björk ihr Buch „Ni måste flytta på er“, zu deutsch „Ihr müsst euch bewegen“ oder „Ihr müsst aus dem Weg gehen“. Zum Internationalen Frauentag wurde das Buch heuer veröffentlicht und hat diesen sexuellen Übergriff auf Zara Larsson erstmalig publik gemacht. „Beinahe alle Künstlerinnen und Musikerinnen mit denen ich gesprochen habe, können von einer oder mehreren ähnlichen Erfahrungen berichten. Es mangelt nicht an Erzählungen von Sexismus, sexuellen Übergriffen oder wie Frauen in der Musikbranche auf andere Art überrollt wurden“, erklärt sie im Gespräch mit der FURCHE. Auf 270 Seiten berichtet sie von Belästigung und männlicher Dominanz in der internationalen Popmusikindustrie.

Seit über zwanzig Jahren ist Björk als Journalistin tätig. Zahlreiche Interviews mit Popgrößen wie Zara Larsson, Tove Lo, Lady Gaga, den Spice Girls und vielen anderen mehr sind die Basis ihrer Niederschrift, die in Schweden für große Aufmerksamkeit gesorgt hat. Besonders in der Musikbranche, erklärt sie, sei es zu einer weiblichen Gewohnheit geworden, mit sexistischen Situationen konfrontiert zu sein. Weibliche Begleitpersonen grundsätzlich in unterschiedlichen Arbeitssituationen mitzunehmen, sei deshalb eine weit verbreitete Maßnahme zum Selbstschutz – in Schweden und besonders in den USA. Doch warum ausgerechnet in der Popmusik, dort wo emanzipatorische bis feministische Inhalte mit Gallionsfiguren wie Lady Gaga oder Beyoncé schon längst Mainstream sind? „Eine Zeit lang war es auch populär, über solche Erfahrungen zu sprechen und damit ebenso einfacher für bekannte Personen, über diese Dinge zu reden. Mittlerweile, finde ich, liegt aber wieder der Deckel auf der Debatte“, resümiert Björk. Die Managerin von Zara Larsson befreite die Musikerin übrigens zuletzt aus dem Meeting mit L. A. Reid. Das Erlebte verfassten die beiden danach mit Hilfe ihrer Anwälte, um es zu einem späteren Zeitpunkt verwenden zu können.

Geschichtserweiterung

Die schwedische Journalistin, Musikerin und Autorin Anna Charlotta Gunnarson hat Anfang Mai diesen Jahres einen Lückenfüller veröffentlicht. „Die Frauen, die die Popgeschichte geformt haben“ („Kvinnorna som formade pophistorien“) heißt ihr Buch und will bedeutungsvollen Frauen der Pophistorie ihren verdienten Platz geben. „Wir müssen verstehen lernen, wer die Geschichte schreibt und dass diese ungerechte Geschichtsschreibung erweitert werden muss“, erklärt Gunnarson im FURCHE-Interview. Auch ihr Werk ist aufschlussreich und gesellschaftspolitisch relevant. Es beschreibt ungleiche Machtverhältnisse im Pop und reicht von Astrid Lindgren über ABBA, Dolly Parton und Madonna bis in die Gegenwart.

Gunnarsons Kritik setzt bereits dort an, wo die Kompetenzen von Musikerinnen unvollständig dokumentiert oder auf die Stimme reduziert werden. Für sie ein Spiegel der Gesellschaft: „Frauen dürfen oft nur eine oder maximal zwei Rollen haben. Niemand denkt an Astrid Lindgren, die Liedermacherin. Sie hat ihre Bücher und Filmmanuskripte geschrieben, aber noch einen Titel dazu halten wir nicht aus.“ Im Buch schreibt sie, dass der schwedische Exportpopschlager ABBA auch genauso gut BBAA hätte heißen können.

Denn die zahlreichen musikalischen Kompetenzen der weiblichen Bandmitglieder Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad seien seit jeher im Schatten von Björn Ulvaeus und Benny Andersson gestanden. Besonders der Werdegang von Agnetha ist für sie examplarisch. Die bereits mit Anfang 20 höchst erfolgreiche Multi-Instrumentalistin und Produzentin ihrer eigenen Musik, verkomme in der Popgeschichte zur singenden Blondine. In Schweden und besonders außerhalb sei sie auf ihr Äußeres reduziert worden, gespeist von in den 1970ern weit verbreiteten Klischees einer schwedischen sexuellen Freizügigkeit.
Die damals progressive schwedische Sexualpolitik vermischte sich in der internationalen Wahrnehmung mit Poperfolgen und dem schwedischen Erotikkino. Davon zeugt auch das popkulturelle Phänomen „Schwedische Sünde“. Autorin Gunnarson unterstreicht im Interview, dass die mit Bandmitglied Björn verheiratete Agnetha außerdem auch als Vollzeitmutter im Einsatz war. Ein anderer Aspekt, der es ihr erschwert haben könnte, als Komponistin ihren Platz zu beanspruchen? „Man spricht viel darüber, dass sie auch die Mutterrolle erfüllte. Doch von der Verantwortung des Vaters Björn war nie die Rede“, so Gunnarson weiter.

(Un-)Sichtbare Macht

Der Lauf der Geschichte ist Zara Larsson und ihren Anwälten übrigens zuvorgekommen. Im Mai 2017 wurden andere Anklagen wegen sexueller Belästigung aus dem Arbeitsumfeld von L. A. Reid laut und der einflussreiche Chef wurde gefeuert. Nur ein paar Monate später begann #MeToo dann das öffentliche Bewusstsein zu erweitern. Für Anna Charlotta Gunnarson hat das auch die Arbeit an ihrem Buch erleichtert. Sie habe geradewegs die Strukturen hinter den Übergriffen aufzeigen können: „Auch wenn man sich nicht für #MeToo interessiert, es schlecht findet oder es lächerlich macht, so haben alle, unabhängig vom Geschlecht, ein oder zweimal über Machtstrukturen nachgedacht und verstanden, dass es diese gibt.“

Auch ihre Kollegin Annah Björk sieht Veränderungen, die hoffen lassen: „In den letzten zehn Jahren sind sehr viele Künstlerinnen, Songschreiberinnen und Produzentinnen herangewachsen, die Widerstand geleistet, sich nach vorne gebracht und tatsächlich eine Revolution gemacht haben“. Als Positivbeispiel nennt sie in ihrem Buch den schwedischen Popstar Molly Sandén und ihren erfolgreichen Kampf für ihre Urheberrechtsanteile für den Song „Stupid Love“. Nachdem sie 2014 als Songschreiberin in Los Angeles für den Amerikaner Jason Derulo an der Produktion mitgewirkt hatte, wurden ihr zunächst ihre Anteile verwehrt. Begründung: Sie sei nur dabei gewesen, um ihre männlichen Kollegen im Studio aufzugeilen. Am Ende bekam Sandén letztlich Recht, ein-
deutige Beweise für ihre Mitarbeit hatte sie mit ihrem Mobiltelefon aufgezeichnet. Es sind diese testosteronschwangeren und bedrohlichen Arbeitsverhältnisse, die die beide Autorinnen in ihren Büchern mehrfach dokumentieren. Und es sind diese Umstände, die Musikerinnen näher zusammenrücken lassen.

Der Autor ist Journalist und lebt seit 2013 in Schweden.
Er war u. a. Ressortleiter beim
österreichischen Popkultur-
magazin „The Gap“ und arbeitete für Sveriges Radio.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung