Tauwetter nach 50 Jahren Krieg

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Die kolumbianische Regierung will dem Krieg mit der Untergrundorganisation FARC ein Ende machen. Sie hat dabei überraschende Erfolge aufzuweisen. Noch heuer sollen die letzten drei Verhandlungskapitel erledigt werden.

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Die kolumbianische Regierung will dem Krieg mit der Untergrundorganisation FARC ein Ende machen. Sie hat dabei überraschende Erfolge aufzuweisen. Noch heuer sollen die letzten drei Verhandlungskapitel erledigt werden.

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Das Jahr 2014 könnte für Kolumbien zum Friedensjahr werden. Die Aussichten, dass der 50 Jahre alte bewaffnete Konflikt in den kommenden Monaten mit einem politischen Abkommen beendet wird, sind intakt. Seit November 2012 verhandelt die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos mit der Führung der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), der ältesten aktiven Guerilla Lateinamerikas. Die Regierungen von Norwegen und Kuba, wo die Dialogrunden stattfinden, leisten dabei gute Dienste.

Präsident Santos vollzog damit einen Schwenk gegenüber seinem Vorgänger Álvaro Uribe (2002-2010), der die Rebellen allein durch militärische Übermacht zu besiegen versuchte. Tatsächlich war es ihm gelungen, die Städte und wichtigsten Überlandstraßen sicherer zu machen. Vorher musste man selbst bei einer Fahrt zwischen Metropolen wie Bogotá und Medellín damit rechnen, von einem Guerillakommando gestoppt und bis zu einer Lösegeldzahlung festgehalten zu werden. Das konnte Monate und Jahre dauern. Auch die Präzision des militärischen Geheimdienstes hat sich dank US-amerikanischer Schützenhilfe verbessert. Mehrere Kommandanten wurden gezielt getötet.

Dialog gescheitert

Vor zwölf Jahren war ein Dialog mit den FARC spektakulär gescheitert. Präsident Andrés Pastrana hatte den Caguán, ein abgelegenes Gebiet in der Größe der Schweiz, entmilitarisiert, um einen Verhandlungsschauplatz zu schaffen. Aber beide Seiten nutzten die Zeit der Waffenruhe, um aufzurüsten und neue Kämpfer zu rekrutieren. Seither haben sich viele Umstände geändert. Die verminderte Kampfkraft der FARC ist einer der wichtigsten. Für die Rebellen ist der Dialog wahrscheinlich die letzte Gelegenheit, eine Lösung zu erzielen, bei der sie das Gesicht wahren können. Die Ideologen unter den Comandantes sind fast alle tot. Heute entscheiden die Pragmatiker.

Aber auch die Regierung hat gute Gründe, ihre rein militaristische Politik aufzugeben. Kolumbien pulvert sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Armee und Rüstung. Auf die Dauer kommt der Krieg teurer, als der durch wirtschaftliche und soziale Zugeständnisse erkaufte Friede. Schließlich ist trotz der Schwächung der FARC nicht abzusehen, dass der Krieg militärisch zu gewinnen wäre. Präsident Santos versprach sich wohl auch Aufwind für seine Ambitionen, eine zweite Amtszeit zu bekommen. Im Mai wird gewählt.

Schlüsselproblem Kolumbiens ist die Landfrage. Das fruchtbare Land war schon seit der spanischen Kolonialzeit extrem ungleich verteilt. In den vergangenen 30 Jahren sind geschätzte vier Millionen Menschen, vorwiegend Bauern, vertrieben worden: von den rechten Paramilitärs, der linken Guerilla oder auch der Armee.

Teilabkommen mit der FARC

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht in einer Studie von einer einzigen Person, die ihr Land wieder in Besitz nehmen konnte. Die meisten haben Angst, weil so viele gleich nach ihrer Rückkehr ermordet wurden. Die Regierung zeigt sich machtlos: in bestimmten Gegenden könne sie einfach niemandes Sicherheit garantieren.

Die FARC haben daher das Thema Land neuerlich auf die Tagesordnung gesetzt. Seit Mai gibt es auch schon ein Teilabkommen darüber, das allerdings noch nicht in allen Details bekannt ist. Die Rückgabe von Land an Vertriebene spielt darin eine Rolle. Und ein weiterer zentraler Punkt ist die Garantie für bestehende und die Schaffung neuer Reservas Campesinas, also wörtlich Bauernreservate, wo Kleinbauern ihre traditionelle Landwirtschaft betreiben dürfen.

Kolumbiens Agrarunternehmer setzen auf Exportprodukte wie Palmöl, Soja, Nutzholz. Der Staat fördert diese Monokulturen, über deren ökologische Fragwürdigkeit schon viel geschrieben wurde. Die Bauern, die sich in Reservaten zusammenschließen, lehnen dieses Modell ab. Deswegen wirft ihnen die Ultrarechte vor, sie seien von der Guerilla unterwandert. Für viele ist es aber die einzige Alternative zur Abwanderung in die Städte, wo die Elendsgürtel ständig anwachsen.

Zu besonders heftigen Kontroversen führte das zweite Teilabkommen, das Anfang November paktiert wurde. Darin geht es um die künftige politische Beteiligung der FARC, um Garantien für Leib und Leben demobilisierter Guerilleros und eine Reform des Parteiengesetzes, die der Opposition mehr Rechte und Aktionsmöglichkeiten verschafft.

Uribe als Gegner

Nach wie vor ungelöst ist allerdings die Frage, wie mit den Kommandanten der FARC und den Guerillakämpfern verfahren werden soll, die schwerer Kriegsverbrechen verdächtig sind. Camilo Sánchez von der Menschenrechtsorganisation Dejusticia ist gegen Straflosigkeit, tritt aber für eine gewisse Flexibilität ein: "Man kann ja nicht mit der Guerilla verhandeln und sagen, dass alle ins Gefängnis müssen. Es muss einen Anreiz geben, den bewaffneten Kampf aufzugeben".

Der schärfste Gegner der Verhandlungen ist Ex-Präsident Álvaro Uribe, der in seiner achtjährigen Regierungszeit die Guerilla zwar zurückdrängen, nicht aber zur Kapitulation zwingen konnte. Die militärischen Erfolgsmeldungen, denen er seinen Ruf als erfolgreicher Kriegsherr verdankt, waren allerdings propagandistisch aufgebauscht oder frei erfunden. So wurden etwa 3000 Jugendliche aus Armenvierteln verschleppt, ermordet und in Tarnanzüge gesteckt. Dann brachte man sie an die Kriegsfronten, wo sie als gefallene Guerilleros präsentiert wurden.

Auch die meisten der reumütigen Guerillakämpfer, die sich freiwillig stellten, waren, wie man heute weiß, eigens angeworbene Statisten. Trotzdem lehnt Uribe jeden Frieden, der über Konzessionen der Regierung führt, ab. Eine dritte Amtszeit ist ihm laut Verfassung untersagt. Deswegen bewirbt sich Álvaro Uribe um einen Sitz im Senat. Ins Rennen um die Präsidentschaft schickt er seinen treuen Gefolgsmann und ehemaligen Finanzminister Óscar Iván Zuluaga. Der hat vollmundig verkündet, sollte er gewählt werden, würde er die Verhandlungen abbrechen.

Rehabilitierung der Opfer

Von den fünf Punkten des Plans wurden in einem Jahr Verhandlungen die ersten beiden abgehandelt. Derzeit geht es um das heikle Thema Drogenhandel, mit dem sich die Guerilla seit zwanzig Jahren teilweise finanziert. Dann müssen die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern des Konflikts diskutiert werden. Und schließlich die Umstände und Übergangsbedingungen für das Ende der bewaffneten Auseinandersetzung. Die Parlamentswahlen finden schon im März statt -zwei Monate vor den Präsidentenwahlen. Ob die Uribe-Partei wirklich so stark wird, dass sie die Friedensabkommen torpedieren kann, ist fraglich. In Umfragen sprechen sich 70 Prozent der Bevölkerung für eine politische Lösung des Konflikts aus.

"Vor zwölf Jahren war ein Dialog mit der Kolumbianischen Regierung mit den FARC-Rebellen noch gescheitert. 2014 könnte der Frieden gelingen."

"In den vergangenen 30 Jahren sind vier Millionen Menschen vertrieben worden: von den rechten Paramilitärs, der linken Guerilla oder auch der Armee."

50 JAHRE KRIEG

Beginn 1964

Der erste bewaffnete Konflikt zwischen Regierung und dem ersten Kartell, dem Smaragdkartell, in der Region Boyaca und das erste Auftauchen der marxistischen Rebellen der FARC in Kolumbien.

Der "schmutzige Krieg"

Ab den 1980er-Jahren kommt es zur Bildung von Drogenkartellen. International am bekanntesten sind das Caliund das Medellinkartell. Paramilitärische Einheiten gehen gegen die Opposition vor.

Der Terror der FARC

Die FARC, Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, ist die größte Guerillaorganisation Lateinamerikas. Ihr unterstehen etwa 20.000 bewaffnete Rebellen. Finanzierung: Drogen, Erpressung, Kidnapping.

Friedensbemühungen

Seit 2012 sind unter Präsident Manuel Santos Bemühungen zur Beilegung des Kriegs mit der FARC im Gange. Prominentester Gegner der Verhandlungen ist Kolumbiens Ex-Präsident Álvaro Uribe.

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