Terroristenjagd im Himalaja

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Den aufständischen Maoisten in Nepal, neuerdings Terroristen genannt, geht es jetzt mit kräftiger amerikanischer Unterstützung an den Kragen. Die von den Maoisten aber zumindest angeprangerten Missstände herrschen weiter.

Man hat das Gefühl, Nepal habe zwei Regierungen: die verfassungsmäßige und die Maoisten", erklärt Kiran Pokhrel. Der junge Journalist arbeitet für Radio Sagarmatha. Der nicht kommerzielle, vom Staat unabhängige und von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit unterstützte Kurzwellensender versorgt täglich an die 2,5 Millionen Hörerinnen und Hörer in Zentralnepal mit traditioneller Musik, Bildungsinhalten und aktuellen Informationen. In der vergangenen Woche konnte Radio Sagarmatha vom Besuch des amerikanischen Außenministers Colin Powell im Himalaya-Königreich berichten: Nepal hat die USA um Unterstützung beim Kampf gegen die maoistische Guerilla im Land gebeten. Der internationalen Sprachregelung angepasst spricht man aber auch in Nepal jetzt mehr und mehr von "Terroristen". Die Unterstützung der Vereinigten Staaten war somit schon fast eine Selbstverständlichkeit, und der Besuch Powells, des höchstrangigen amerikanischen Politikers seit jeher, wurde dementsprechend auch als Geste der Anerkennung für Nepals Unterstützung des amerikanischen Kampfes gegen den internationalen Terrorismus interpretiert.

Im Winter 1996 haben die Maoisten den bewaffneten Kampf, den die Rebellen als "Volkskrieg" bezeichnen, aus dem Untergrund aufgenommen, nachdem sie zu den Wahlen 1994 nicht zugelassen worden waren. Schätzungen über die zahlenmäßige Stärke der "Maobaadi", wie die Rebellen in Nepal genannt werden, sind ungenau. Man geht von 5.000 bis 15.000 bewaffneten Kämpfern - Männer und Frauen - aus.

"Search and Destroy"

Der frühere König Birendra, verfassungsmäßig Oberbefehlshaber der Armee, hatte sich trotz Druckes der Regierung geweigert, Soldaten gegen die Maoisten einzusetzen. Am 1. Juni des Vorjahres wurden Birendra und seine engsten Familienangehörigen im Palast ermordet. Offiziellen Berichten zufolge hatte Kronprinz Dipendra im Alkohol- und Drogenrausch Hand an seiner eigenen Familie angelegt. Man sei über dessen Heiratspläne in Streit geraten. Doch viele Nepalesen wollen diese Geschichte einfach nicht glauben.

Im Juli desVorjahres trat Sher Bahadur Deuba das Amt des Ministerpräsidenten an. Er folgte dem wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetretenen Girija Prasad Koirala, einem überzeugten Hardliner im Kampf gegen die Maoisten. Deuba nahm Verhandlungen mit den Maoisten auf und erreichte einen Waffenstillstand. Ende November des Vorjahres hätte die vierte Gesprächsrunde stattfinden sollen. Doch die Rebellen beendeten am 21. November den Waffenstillstand und griffen gleich am darauf folgenden Wochenende an mehreren Orten Polizei - und Armeestützpunkte an. König Gyanendra, Birendras jüngerer Bruder und beim Volk wenig beliebter Nachfolger, rief den Ausnahmezustand aus. Seither geht die Armee mit aller Härte unter der ausgegebenen Devise "Search and Destroy" gegen die Maoisten vor.

Jüngste Bilanz der Kämpfe der letzten Wochen laut der Nichtregierungsorganisation "Informal Sector Service Centre" (INSEC): 698 Tote, davon 523 Maoisten und 97 Angehörige der Sicherheitskräfte. 3.386 Menschen mit Verbindungen zu den Maoisten, sollen sich den lokalen Behörden ergeben haben. Bis zum Ende des Waffenstillstandes hatte man stets von insgesamt 2.000 Getöteten seit Ausbruch des Krieges vor mittlerweile sechs Jahren gesprochen.

Die Maoisten kontrollieren über 30 der 75 Distrikte des Landes. Ihre Hochburgen sind die armen Gebiete im Westen des Landes: Rolpa, Rukum, Jajarkot, Jumla und Dolpa. Dort haben sie ein Parallelsystem zum Staat aufgezogen: Sie heben Abgaben ein, schönfärberisch als "Donations", als Spenden, bezeichnet. Ihre Gerichtsbarkeit veranstaltet Schauprozesse gegen Reiche. Man spricht zwar nicht gerne offen darüber: Aber auch in der Hauptstadt Kathmandu leistet der Großteil der Geschäftsleute und Hoteliers "Donations" an die Maoisten. In ihrem 40 Punkte umfassenden Programm fordern die Rebellen unter anderem die Abschaffung der Monarchie, die Wahl einer Verfassung gebenden Versammlung, eine Übergangsregierung bestehend aus allen Parteien, eine Landreform. Erstgenannte Forderung wurde bereits auf unbestimmte Zeit vertagt. Die Maoisten rekrutieren viele Anhänger unter den gesellschaftlich und politisch Vernachlässigten: den Dalits, den "Unberührbaren" des hinduistischen Kastensystems, den Frauen und den benachteiligten ethnischen Gruppen. Die anfangs großen Sympathien sowohl unter der verarmten Landbevölkerung als auch der städtischen Intelligenz haben die Maoisten inzwischen weitgehend verloren. Die Bewunderung für die Robin-Hood-Aktionen ist auch auf dem Lande der Angst gewichen: Anders denkende werden gefoltert und ermordet, Frauen vergewaltigt, Treibstoff und Lebensmittel werden auch von den Armen eingetrieben.

Schutzgeldzahlungen

"Wie zur Hitlerzeit" seien die Maoisten in kleinen Zellen organisiert und würden alles unter Kontrolle halten, erklärt Max Petrik, Leiter eines Ökotourismus-Projektes der Salzburger Nichtregierungsorganisation "Ökohimal". Die Organisation hat ihr Regionalbüro in Singati im Dholaka-Distrikt geschlossen: Man wollte nicht die geforderten zehn Prozent des Budgets an die Maoisten abführen. Das Projekt wird jetzt von der Hauptstadt Kathmandu aus geleitet.

Auch wenn die Regierung das "Maoistenproblem" jetzt in den Griff bekommt: Die von den Maoisten zumindest angeprangerten Missstände herrschen weiter. Nepal gehört mit einem Bruttosozialprodukt pro-Kopf und Jahr von 1.237 US-Dollar (1999) zu den ärmsten Ländern der Welt. In Österreich steht das Zwanzigfache zur Verfügung. Regierung und Bürokratie sind notorisch korrupt und arbeiten intransparent. Ein Zustand, unter dem auch die so genannten Geberländer leiden. 343,7 Millionen US-Dollar an Entwicklungshilfe flossen 1999 nach Nepal. Ein Teil davon kommt auch von Österreich, das Nepal zu seinen Kooperationsländern zählt. Nicht ganz 20 Millionen Schilling wendete die Alpenrepublik im Jahr 2000 für Programme und Projekte im Himalaja-Königreich auf: schwerpunktmäßig in den Bereichen ländliche Entwicklung, Tourismus und Kultur. Die einzelnen Projekte werden großteils von österreichischen Nichtregierungsorganisationen abgewickelt.

Als eines der größten Probleme Nepals gilt die Überbevölkerung. Mehr als 23 Millionen Menschen leben in dem Land, das mit einer Fläche von 147.181 Quadratkilometern rund eineinhalbmal so groß ist wie Österreich. Fruchtbares Ackerland ist in dem großteils unwegsamen Gelände, das innerhalb von 200 Kilometern von Meereshöhe zu den Achttausendern ansteigt, knapp. Und die Bevölkerung wächst jährlich immer noch um 2,27 Prozent, auch wenn die Fruchtbarkeitsrate schon seit 20 Jahren rückläufig ist. Nepal ist eines der wenigen Länder der Erde, in denen Frauen im Durchschnitt eine geringere Lebenserwartung haben als Männer. Drei Viertel von ihnen sind Analphabetinnen.

Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) ist seit 1974 in Nepal aktiv und in die Formulierung der nationalen Bevölkerungspolitik eingebunden. Eine der Strategien zur Verringerung des Bevölkerungswachstums ist dabei auch die Förderung der Gleichstellung der Frauen und deren "Empowerment", "Ermächtigung". Saloni Singh Sozialökonomin mit internationaler Erfahrung und Geschäftsführerin von Didi Bahini, einer einheimischen Entwicklungs-NGO, präzisiert den sperrigen Begriff: "Es geht nicht um eine Rettung auf Zeit: Die Frauen müssen ihre eigene Stärke, ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten entdecken".

Die Stärkung der Frauen ist auch ein Beitrag zur Bekämpfung der Armut. Sie schließen sich zum Beispiel in Spar- oder Kreditgruppen zusammen, damit jede von ihnen Kapital bekommt - für Schulgeld, Saatgut oder die Anschaffung eines Ochsen. In der Entwicklungszusammenarbeit hat man die Erfahrung gemacht, dass Einkommen von Frauen viel eher den Familien zugute kommt als jenes von Männern.

Das Massaker im Königspalast und das Maoistenproblem hat Nepal international negative Schlagzeilen beschert. Und die schaden dem Hauptdevisenbringer Nepals, dem Tourismus. Obwohl die Maoisten Touristengruppen bisher in Ruhe ließen, sind im Vorjahr bis Anfang November (noch vor Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes) 20 Prozent weniger Auslandstouristen nach Nepal gekommen.

Kurt Luger, Vorsitzender von Ökohimal und langjähriger Nepalkenner, ist trotzdem zuversichtlich: Für ihn ist das entschlossene Vorgehen der Regierung gegen die Maoisten eine positive Entwicklung, der Beginn einer neuen Ordnung im Land.

Die Autorin ist Chefredakteurin von "Südwind", dem Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung.

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