Teures Spielzeug für die Generäle

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Bei Sozialleistungen wird auf Grund der Außenverschuldung gespart, für teure Kampfgeräte ist in Lateinamerika jedoch ausreichend Geld vorhanden.

Sie ist Mitglied der regierenden Sozialistischen Partei, Ärztin, geschieden in einer konservativen Gesellschaft, und auch der familiäre Hintergrund passt ins Bild: ihr Vater war als Luftwaffengeneral der chilenischen Streitkräfte loyal gegenüber Präsident Salvador Allende und starb unter der Folter des Putschistenregimes von Augusto Pinochet. Michelle Bachelet ist eine moderne Frau und tadellose Demokratin. Vor kurzem wurde die Gesundheitsministerin von Chiles Präsident Ricardo Lagos mit der Leitung des sensiblen Verteidigungsministeriums betraut. Wer sollte besser geeignet sein, nach außen das Bild eines friedlichen Landes zu zeigen, das mit seiner militaristischen Vergangenheit gebrochen hat?

Dennoch hat gerade sie in einer ihrer ersten Amtshandlungen den Kauf von zehn hypermodernen Kampfflugzeugen perfekt gemacht und damit einen möglichen Rüstungswettlauf in der Region provoziert. Provoziert fühlen sich jedenfalls die Nachbarländer Argentinien, Bolivien und Peru. Argentinien und Chile standen vor zwanzig Jahren wegen eines Konflikts um drei Inseln im Beagle-Kanal am Rande eines Krieges. Mit den nördlichen Nachbarstaaten Bolivien und Peru herrscht latente Feindschaft seit dem Salpeterkrieg 1879, in dem Bolivien den Zugang zum Meer und Peru einen rohstoffreichen Küstenstreifen an Chile verlor. Besonders herausgefordert fühlen sich die Peruaner. Die 660 Millionen US-Dollar für den chilenischen Ankauf der F-16 Jets übersteigen den gesamten Jahresetat der peruanischen Armee um mehr als das Dreifache. Und Perus Präsident Alejandro Toledo hatte bei seiner Amtseinführung vor einem halben Jahr an alle Regierungen des Subkontinents appelliert, die Rüstungsausgaben zugunsten der Sozialhaushalte zu kürzen. Er forderte einen sofortigen Stop der Anschaffung von Offensivwaffen.

In Chile findet man die Entrüstung der Peruaner scheinheilig. Hatte doch der Ende 2000 gestürzte Autokrat Alberto Fujimori seine Luftwaffe mit russischen MIG 29 aus Weißrußland und französischen Mirage 2000 noch einmal kräftig modernisiert. Diese Kampfjets sind zwar gebraucht, können aber mit neuesten Kurz-, Mittel und Langstreckenraketen bestückt werden, denen Chile wenig Vergleichbares entgegenzusetzen hat. Die neuen F-16 sind aber für strategische Amraam-Raketen geeignet, die wiederum den Chilenen einen Rüstungsvorsprung bringen würden. Deren Verkauf wird zwar vom Kongress in Washington derzeit noch blockiert, doch ist abzusehen, dass in spätestens zwei Jahren grünes Licht kommt.

Zähmung der Militärs

Chiles Ministerin Bachelet versuchte zu beschwichtigen. Der Kauf sei dazu bestimmt, veraltetes Gerät zu ersetzen, "und sollte nicht als Beginn eines Rüstungswettlaufs gesehen werden." Durch eine schnelle Entscheidung in dieser Frage wollte sie sich aber vor allem eine lange Debatte ersparen, die ihren wichtigsten Plan behindern würde, nämlich die Vereinigung der drei Waffengattungen unter einem gemeinsamen Oberkommando. Ein erster Schritt zur Zähmung der Militärs. Doch die beunruhigten Nachbarn sehen hinter Michelle Bachelet eine Armee, die auch nach der Pensionierung General Pinochets eine autoritäre Enklave in einem demokratischen Staat geblieben ist. Ein Gesetz aus 1958, an dessen Aufhebung sich keine Regierung heranwagt, bestimmt zehn Prozent der Einnahmen aus dem Kupferexport für den Kauf militärischen Geräts. Schon letztes Jahr wurden 200 gebrauchte Leopard-Panzer in Deutschland gekauft und in französischen Werften baut man zwei U-Boote für Chiles Marine.

Für die Modernisierung der chilenischen Luftwaffe hätten auch weniger teure Kampfjets gereicht, wie der "Council for a Livable World" in Washington vorrechnet. In der Organisation, die bestrebt ist, die Waffenexportpolitik der USA mit Demokratie und Menschenrechten kompatibel zu machen, ist man überzeugt, die Alarmstimmung in der Region hätte mit der Anschaffung gebrauchter F-16 mit geringerer Offensivkapazität vermieden werden können. Boliviens Verteidigungsminister General Oscar Vargas hat nun aber schon angekündigt, seine Armee "mit allen Mitteln" nachzurüsten.

In den achtziger Jahren wurden alle Militärdiktaturen Südamerikas von gewählten Zivilregierungen abgelöst. In Zentralamerika endeten in den neunziger Jahren alle Bürgerkriege und bewaffneten Aufstände durch Verhandlungslösung. Dennoch weisen die Statistiken des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI, das die Militärausgaben in aller Welt beobachtet, einen beunruhigenden Zuwachs der Rüstungsimporte in der Region auf. Wurden 1991 in Südamerika noch 16,5 Milliarden US-Dollar für Kriegsgerät ausgegeben, so waren es im Jahre 2000 bereits 26,3 Milliarden. In Zentralamerika wurden zuletzt trotz allgemeiner Truppenreduzierung 2,9 Milliarden gegenüber 2,2 Milliarden Dollar im Vergleichsjahr 1991 ausgegeben. Die Steigerung ist umso schwerwiegender als zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts die Tendenz der Waffenkäufe zunächst rückläufig war. Seit ein paar Jahren geht es aber wieder steil bergauf obwohl außer Chile kein Land gesetzlich verpflichtet ist, einen Teil seiner Exporteinnahmen in die Aufrüstung zu stecken.

Es gibt kein Land in Lateinamerika, das nicht unter der Bürde der Außenverschuldung ächzen würde. Allenthalben streichen Regierungen die Sozialleistungen zu Gunsten der Bedienung des unerträglichen Schuldendienstes. Wie ist es dann zu rechtfertigen, dass ausgerechnet der am wenigsten produktive Sektor so aufgepeppt wird?

30 Grenzstreitigkeiten

Von Guatemala bis Feuerland warten noch rund 30 Grenzdispute auf ihre endgültige Regelung. Erst vor sechs Jahren hielten es Peru und Ecuador für nötig, die Urwaldgrenze an der Cordillera del Condor einmal mehr zum Anlass für einen Krieg zu nehmen. Wie die meisten zwischenstaatlichen Waffengänge konnte auch dieser nach wenigen Wochen von der Organisation Amerikanischer Staaten beendet werden. Anders als in Afrika oder im Nahen Osten funktionieren also die regionalen Streitschlichtungsmechanismen. Im letzten Jahrhundert wurden gerade in Lateinamerika die Waffen in erster Linie gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Einzig Argentinien führte um die Malvinas oder Falkland-Inseln 1982 einen Krieg gegen eine extrakontinentale Macht (Großbritannien) und erlitt eine verheerende Niederlage, die gleichzeitig den Zusammenbruch der Militärdiktatur bedeutete.

"Vom Standpunkt der Sicherheit macht das alles keinen Sinn.", meint auch Siemon Wezeman, ein Experte für Waffenhandel, der für das SIPRI arbeitet. "Um die internationalen Spannungen der Region beizulegen, bedarf es nicht dieser Art von Offensivwaffen," versicherte er gegenüber dem Miami Herald. Er glaubt, dass die Rivalitäten zwischen den verschiedenen Waffengattungen innerhalb einer Armee eine wichtige Rolle spielen. "Spielzeug für die Buben," meint er sarkastisch. Das Beispiel Chile untermauert diese These: Wenn die Bodentruppen neue Panzer bekommen, dann braucht die Marine neue U-Boote und die Luftwaffe neue Jets.

Die Nachfrage wird in erster Linie von den USA befriedigt. Auflagen, die der Kongress aus Menschenrechtsbedenken errichtet hat, sind nach und nach gefallen. Und kaum eine Regierung war so eng mit der Rüstungsindustrie verflochten wie die gegenwärtige. Und Präsident George Bush gibt sich auch keine Mühe, dieses Nahverhältnis zu verschleiern.

So wurde ausgerechnet Otto Reich - nach anhaltendem Widerstand der Demokraten im Kongress - zum für Lateinamerika zuständigen Vizeaußenminister ernannt. Er ist der Mann, der als Konsulent des Konzerns Lockheed Martin den Chilenen den Kauf der F-16 eingeredet hat.

Der Autor ist freier Journalist.

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