Tödlicher Uranstaub

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Munition mit abgereichertem Uran kam im Irak und im Kosovo zum Einsatz. Experten forderten bei einem Kongress in Linz Aufklärung.

Der deutsche Arzt Siegwart-Horst Günther hatte bereits seit Jahrzehnten mit dem Irak zu tun, als er relativ bald nach der "Operation Wüstensturm" der USA im Jahre 1991 südlich von Basra mit unbekannten Phänomenen konfrontiert wurde: Er stellte Krankheitsbilder wie Missbildungen fest, die er "nie zuvor im Irak gesehen hatte". Viele Kinder erkrankten an Leukämie. Gleichzeitig fand Günther unzählige Projektile, die "ungewöhnlich schwer waren". Er ließ sie einsammeln und brachte eines davon nach Deutschland, wo es im Universitätsklinikum Berlin-Charlottenburg untersucht wurde. Nach Bekanntwerden der Ergebnisse wurde Günther angeklagt und in einem Gerichtsverfahren wegen "Freisetzung ionisierender Strahlung" verurteilt, woraufhin er für einige Wochen im Gefängnis landete. Günther, der im Widerstand gegen Hitler aktiv gewesen war und "wie durch ein Wunder" das Konzentrationslager Buchenwald überlebt hatte und an der Seite von Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer in Afrika tätig war, hatte die gerichtliche Bestätigung: Es handelte sich um ein radioaktives Material, das "zu einer Gesundheitsgefährdung führen kann".

Seither bemüht sich Günther, Licht ins Dunkel rund um den Einsatz von Waffen mit abgereichertem Uran (engl. Depleted Uranium, DU) zu bringen - und er klagt an: "Irakische Ärzte erzählen mir, dass seit dem Golfkrieg 1991 die Zahl der bösartigen Krebserkrankungen um das Achtfache gestiegen ist." Seine Aufklärungsarbeit sei mit erheblichen Risiken verbunden, erklärt Günther - einen Mordversuch habe er bereits überlebt, als ihn ein zuvor stehendes Auto am Straßenrand überfahren hatte.

Viele dieser Zitate stammen aus der Filmdokumentation "Tödlicher Staub" des deutschen Filmemachers Frieder Wagner. Für die Dreharbeiten reiste er um die ganze Welt, um an den betroffenen Schauplätzen zu filmen und Wissenschaftler Messungen durchführen zu lassen. An einem Platz in Basra wurde in der Nähe von Panzerwracks die 30.000-fache Menge der natürlichen Strahlung festgestellt.

Überall eingesetzt

Uranwaffen kamen - teilweise bestätigt von offiziellen Militäreinrichtungen - in so gut wie allen in den vergangenen 15 Jahren von den USA geführten Kriegen zum Einsatz: Im Irak 1991 (für viele Fachleute mitschuld am "Golfkriegs-Syndrom"), in Bosnien 1995, im Kosovo 1999, in Afghanistan 2001 und neuerlich im Irak 2003. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass diesen Sommer auch Israel abgereichertes Uran im Libanon eingesetzt hat, jedoch gibt es dafür noch keine offizielle Bestätigung. DU-Munition ist höchst effektiv: DU ist um 70 Prozent schwerer als Blei und geht durch einen Panzer "wie durch Butter". Neben der Panzer und auch Bunker brechenden Wirkung, entwickeln diese Waffen enorme Temperaturen, was sie für militärische Einsätze umso gefragter macht - noch dazu, weil rund eine Mio. Tonnen abgereichertes Uran ohne sonstige Verwendung gelagert wird und es daher sehr billig ist.

Militärs, Wissenschaftler und die überwiegende Zahl der Medien bestreiten gesundheitliche Effekte, da abgereichertes Uran eine mit dem natürlich vorkommenden Uran vergleichbar geringe Strahlung aufweist und die-se Alpha-Strahlung bereits mit einem Blatt Papier abgeschirmt werden kann. Dies sei zwar richtig, erklärt der studierte Mediziner, Physiker und Elektrotechniker Edmund Lengfelder vom Institut für Strahlenbiologie der Universität München, aber: Entscheidend seien die nach dem Einschlag und der Verbrennung entstehenden Nanopartikel: "Ein Staubkorn hat einen Durchmesser von 1-5 mm (Mikrometer), rote Blutkörperchen von 10-20 mm, Nanopartikel 1/100 bis 1/1000 mm. Die Natur kann mit solchen Stoffen nicht umgehen, weil es so etwas in der Natur nicht gibt." Dementsprechend sei der Effekt der Kleinstpartikel wahrscheinlich höher als der Effekt der Strahlung. Die Gefahr liege nicht in der Strahlung von außen, sondern in der Einatmung der Uran-Nanopartikel: Sie können überall im Körper hingelangen, da sie aufgrund ihrer Kleinheit beispielsweise auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden. "Dann werden die Uranteilchen ins Gewebe eingebaut, das in der unmittelbaren Umgebung ständig bestrahlt wird. Diese Alpha-Teilchen sind sehr schwer, haben eine unheimlich hohe Energie und strahlen rund um die Uhr - es erfolgt ein Beschuss wie aus einem Maschinengewehr", erklärt Hans-Peter Aubauer, Professor am Institut für Materialphysik der Universität Wien. Was im Körper fehle, sei das Blatt Papier zum Abschirmen. Der Strahlenbiologe Lengfelder ergänzt: "Es kommt zu einem massiv gesteigerten Zellwachstum, um die beschädigten Zellen zu ersetzen." Das Resultat sei vielfach Krebs. Die Halbwertszeit des im abgereicherten Uran zu 99,8 Prozent enthaltenen Uran 238 beläuft sich übrigens auf rund 4,5 Milliarden Jahre.

Ignorierte Regeln

Informationen aus erster Hand lieferte bei der Veranstaltung in Linz Doug Rokke, der über ein Telefoninterview life zugeschaltet wurde: Rokke war Major der US-Armee und erhielt nach dem ersten Irak-Krieg 1991 von General Norman Schwarzkopf den Auftrag, für die Beseitigung des zerstörten Kriegsmaterials wie Panzer zu sorgen. "Obwohl wir Atem-und Körperschutz hatten, spürten wir bereits 24 Stunden nach dem Einsatz Gesundheitseffekte von chemischen Vergiftungen und radiologischen Effekten. Am beunruhigendsten war, dass es keinen Plan gab, wie man mit dem Zeug umgehen sollte." Neun Monate nach der Rückkehr in die USA habe Rokkes Truppe die erste Krebserkrankung zu beklagen gehabt. "1992 wurde klar, dass es sich um ein ernstes Problem handelt und wir erstatteten bei der entsprechenden Abteilung im Pentagon Bericht." 1994 habe er den Auftrag bekommen, Anweisungen für das Verhalten und dem Schutz rund um DU auszuarbeiten, was er auch gemacht habe. Obwohl daraus ein Militärgesetz zum Schutz der Umwelt, der Soldaten und der Bevölkerung hervorgegangen sei, "werden die Regulatorien bis heute komplett ignoriert", sagt Rokke. Ganz im Gegenteil: Da es sich um hoch effektive Waffen handle, "müssen alle Effekte auf die Umwelt und die Menschen vertuscht werden" - insbesondere der Zusammenhang zwischen Gesundheitsproblemen wie Atemwegskrankheiten, Fieber, Nierenproblemen sowie Veränderungen der Erbsubstanz. Sein Appell: "Wir müssen dafür sorgen, dass die USA für den Einsatz verantwortlich gemacht werden und alle Folgen beseitigen."

Strahlende Bomben

Die Verdachtsmomente, dass auch Israel Gebrauch von DU-Waffen gemacht hat, verhärten sich, wie Thomas Kukovec von der Gesellschaft österreichisch-arabischer Beziehungen und der Libanesische Nuklearphysiker M.A. Kobeissi erklärten. Kobeissi berichtete von beobachteten Einschlägen, wie sie für abgereicherte Uranwaffen typisch seien: Eine verzögerte, starke Explosion mit weißem Feuer und einem anschließenden Sprühregen wie bei einem Feuerwerk. Kobeissi nahm selbst an Geigerzähler-Messungen von Bombenkratern teil, die weit höhere Strahlungswerte angezeigt hätten als normal - für ihn ein klarer Hinweis auf DU-Bomben. Es könnte aber noch Schlimmeres verwendet worden sein: Laut einem Bericht des Independent soll es bei Proben eines Bombenkraters in Khiam Hinweise auf die Verwendung von angereichertem Uran geben.

Der Einsatz von Uranwaffen ist laut internationalem Recht verboten: Laut Zusatzprotokoll der Genfer Konvention von 1977, unter anderem weil sie unterschiedslos wirken, und laut mehreren UN-Resolutionen wie der Resolution 1996/16, wo neben ABC-Waffen, Napalm und Cluster-Bomben auch abgereicherte Uranmunition explizit erwähnt ist.

Warum der Einsatz von DU abgestritten wird, liegt für den Schweizer Rechtsanwalt Matthias Erne klar auf der Hand: "Andernfalls drohen Klagen." Die Frage, warum sich bisher kaum Politiker oder Wissenschaftler zu Wort gemeldet haben, beantwortet der Münchner Strahlenbiologen Lengfelder folgendermaßen: "Politiker glauben, was man unter Fachleuten erzählt, und Wissenschaftler sind oft zu feige, um persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen, wenn sie damit an die Öffentlichkeit gehen."

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