"Töten ist nicht schwer"

Werbung
Werbung
Werbung

Auch südlich des Sudan wird täglich gemordet: In Uganda leben mittlerweile mehrere Generationen Kindersoldaten. Drei Buben hatten das Glück, von ihrem Vater gesucht zu werden.

Mir gegenüber, nicht einmal eine Armlänge entfernt, sitzt in einem schweren Mahagonistuhl ein 16-jähriger Bursche. Seine Name Jimmy Obote. Er ist nicht, wie die meisten 16-Jährigen bei uns, hoch aufgeschossen und schon irgendwie männlich. Jimmy schaut aus wie ein Kind. Ein Kindergesicht mit ruhigen, dunklen Augen, einem kahl geschorenen Kopf, wie alle Kinder hier, mit schmalen Händen und einer kleinen, aber festen Stimme. Und diese kleine, feste Stimme sagt es dann in den späten Nachmittag auf einem der Hügel über der ugandischen Hauptstadt Kampala hinein: "Einen Menschen zu töten ist gar nicht schwer, im Gegenteil, es ist ganz einfach, wenn du den Dreh heraus hast, beinahe wie ein Spiel. Du holst mit dem Knüppel aus, zielst genau und haust hin, nur einmal, nur einmal, das ist wichtig, und der Schädel platzt wie eine Kokosnuss."

... und haben getötet

In meinem Hals wird es eng. Ich würge an einer Frage: "Jimmy, ich meine, wie oft habt ihr, hast du das getan?" Die Antwort kommt prompt und völlig selbstverständlich: "Weiß ich nicht genau. Hab ich nicht gezählt. Wir sind ungefähr einmal in der Woche in die Dörfer gegangen. Da haben wir alles geraubt, was es gab, haben Menschen mitgenommen und die, die die Bosse nicht brauchen konnten, getötet. Dazwischen saßen wir im Lager einfach herum, wo immer es gerade war."- "Habt ihr Buben dann auch gespielt?", frage ich: "Nein, wir haben nicht gespielt, wir haben nicht einmal geschlafen, um ja keinen Befehl zu überhören, wir sind nur gesessen bis zum nächsten Kommando. Wenn du nämlich einen Befehl nicht sofort befolgst, bringen sie dich um. Wenn du dagegen redest, bringen sie dich um, wenn du versuchst wegzulaufen oder nicht arbeitest, bringen sie dich um oder schlagen dich halb tot. Ich habe zuschauen müssen, wie sie meinen jüngeren Bruder fast totgeschlagen haben, weil er sich geweigert hatte, mich zu töten, damals vor drei Jahren. Das merkt man sich, und das wissen sie auch."

Als ich mich später von Jimmy, seinen beiden jüngeren Brüdern, Oscar und Iwan, und Vater Wilson Obote verabschiedet hatte und aus dem Bürogebäude des "Ndere-Center" in den ebenso kurzen wie traumhaft schönen Sonnenuntergang hinausgetreten war, hatte ich das Gefühl. aus einem Alptraum zu erwachen, dabei war mir natürlich klar, dass Jimmy kein Einzelfall ist. Überall werden Kinder auf diese und ähnliche Art missbraucht. Wir alle kennen die Bilder von den trotzigen oder auch lachenden Gesichtern dieser schwer bewaffneten Knirpse aus den Medien, wissen im Grunde von diesen Verbrechen an Kinderseelen, ohne uns viel darum zu kümmern.

Man hatte auch Jimmy eine Waffe gegeben und er hat sie auch benutzt: "Natürlich haben wir auch geschossen, wenn die Armee uns verfolgte. Aber bei den Gefangenen ging es um Handarbeit, es galt Munition zu sparen."

Uganda ist ein wunderschönes aber seit Jahrzehnten gequältes Land. Winston Churchill hatte zu Recht von der "Perle Afrikas" gesprochen, sich jedoch um die Menschen dieses Landes ebenso wenig gekümmert wie seine Vorgänger. Die Tee- und Kaffee-Ernte der englischen Konzerne war auch ihm wichtiger als alles andere.

Nach der Kolonialherrschaft folgten die blutigen Diktaturen von Idi Amin und Milton Obote. Erst im Jänner 1986 machte Yoweri Kaguta Museweni dem Spuk ein Ende und begann, sein Land langsam, Schritt für Schritt wieder aufzubauen. Das Land ist mittlerweile im Großen und Ganzen befriedet und stabil. Das Volk hat sich in fünfjähriger Arbeit eine Verfassung gegeben, deren demokratische Qualität ihresgleichen sucht, vor allem wenn man sie mit dem EU-Verfassungs-Vertrag vergleicht. Hier hat wirklich das Volk, haben die Bewohner jedes einzelnen Dorfes mitarbeiten und mitentscheiden können. Die Wirtschaft hat trotz des internationalen Diktats der WTO und des IWF einen recht ordentlichen Level erreicht. Die Armut, vor allem auf dem Land, hat man zwar immer noch nicht im Griff, aber die Armutsbekämpfung ist seit drei Jahren ein vorrangiger Budgetposten. Bildungs- und Gesundheitssystem halten jeden innerafrikanischen Vergleich aus.

Blutende Wunde im Norden

Die einzige immer noch blutende Wunde liegt im äußersten Nordosten des Landes, dort, wo Jimmy das Töten gelernt hat, dort, wo immer noch ehemalige Anhänger des Obote-Regimes unter der Führung des religiös durch "spirits" irregeleiteten, ehemaligen katholischen Katechisten Josef Kony ein veritables "Schlachthaus" inszenieren. Die Zahl der Opfer ist unbekannt, soll aber in die Hunderttausende gehen.

Die Landwirtschaft ist zusammengebrochen, die Dörfer sind verödet, die Menschen, in Lagern zusammengepfercht, hungern. Die Armee erscheint hilflos, da die "Kony-Rebellen" immer Kinder als lebende Schutzschilde vor sich her schicken. Niemand versteht den Sinn dieses seit zwei Jahrzehnten wütenden Krieges, niemand versteht die verqueren religiösen Ideen dieser Leute, die meinen, dass jeder Mensch außerhalb ihres kleinen Klüngels ein Sünder sei und deshalb getötet werden müsse. Nach diesem Prinzip müsste eigentlich die ganze Menschheit ausgerottet werden. Vom großen Nachbarn Sudan und dessen Präsident Bashir wurden diese Verrückten über all die Jahre benutzt, um Uganda zu destabilisieren. Man gewährte Konys Rebellen immer wieder Unterschlupf, versorgte die Leute mit Nahrungsmitteln und Waffen.

Erst seit diesem Sommer gibt es einen Funken Hoffnung, da sich die Regierung in Karthum mit den eigenen Rebellengruppen im Süden verständigt zu haben scheint, um Energien für die neuen Schlächtereien in Dafur freizubekommen.

"Zum ersten Mal haben wir Hoffnung, dass wir die Menschen, dass wir vor allem die Kinder retten, dem Spuk ein Ende bereiten können", sagt Wilson Obote, der Vater von Jimmy, Oscar und Iwan, der sich von der Armee rekrutieren ließ, weil er das Rebellengebiet kennt wie kaum ein anderer.

Hinter dem heute 35-jährigen Wilson, einem drahtigen, hoch gewachsenen Mann aus dem Volk der Luo, liegt ein tragisches Schicksal, in dem sich die ugandische Vergangenheit der letzten Jahrzehnte spiegelt. Er war drei Jahre alt, als er die Eltern verlor. Nach einigen Jahren bei Verwandten fiel der verlassene Knabe irgendwelchen Militärs in die Hände und wurde "Kindersoldat". Er diente bei unterschiedlichen Rebellenarmeen.

Bei Wilson schrillten also die Alarmglocken, als ihn am 26. Oktober 2001 die schreckliche Nachricht erreichte, dass Leute der LRA seine drei Buben im Alter von neun, elf und 13 Jahren entführt hätten. Er wusste, worum es ging: entweder Ermordung oder ein Schicksal als Kindersoldat. Er musste sie finden, tot oder lebendig.

Von einem Überlebenden des Überfalls erfuhr er, dass die Rebellen bereits am Vorabend gekommen waren und ganz ruhig mit den Buben gespielt hätten. Und am Morgen seien sie einfach mit den drei Knirpsen aus dem Haus gegangen. Sonst hätten sie nur einige Erwachsene mitgenommen, die sie benutzten, um die Lasten zu tragen, nachdem sie den einzigen Laden im Dorf ausgeplündert hatten. Die Buben seien aneinander gefesselt gewesen.

Drei Jahre lang ist Wilson Obote wie ein Verrückter durch den Busch gelaufen, hat Wurzeln und wilde Früchte gegessen, unter Bäumen geschlafen und jeden toten Kinderkörper umgedreht, in der Erwartung, einen seiner toten Söhne zu finden. Nach etwa einem Jahr fand er Oscar, dem es gelungen war zu fliehen und der sich im Busch versteckt hielt.

Nach einem weiteren Jahr der rastlosen Suche, inzwischen in Zusammenarbeit mit der ugandischen Armee, bekam er einen Hinweis auf den Jüngsten, auf Iwan. Er sei, so hieß es, mit einer Gruppe namens "Chipola" unterwegs. Diese Gruppe wurde dann von der Army angegriffen und er konnte Iwan in die Arme schließen.

Verlorener Sohn

Es fehlte also noch Jimmy. Nach allen Informationen, die zu ihm durchsickerten, musste er tot sein. "Aber ganz hatte ich die Hoffnung nie aufgegeben. Ich schrieb Berichte, zeichnete Skizzen, gab den Soldaten alle Informationen weiter und ich wusste ja inzwischen sehr viel nach diesen entsetzlich langen Jahren. Für eine Einheit, die sich "Kommt nach Hause" nannte und die Kinder zur Desertion ermutigen wollte, schrieb ich Zettel um Zettel, die wir bei Wasserstellen anbrachten, zu denen die LRA-Leute kommen mussten. Ich hoffte, dass Jimmy meine Handschrift erkennen und dann wissen würde, dass ich ihn suche."

Und so war es dann auch. Am Ostersonntag dieses Jahre bekam Wilson einen Anruf von einem Freund: "Du, ich habe eine gute Nachricht für dich. Warte einen Moment. "Und da war dann auf der anderen Seite der Leitung eine kleine aber feste Stimme: "Papa, how are you?"

"Ich bin sofort hingefahren. In der ersten Nacht habe ich ein Zweibettzimmer gemietet, damit ich sicher sein konnte, dass er mit mir in einem Raum war. Und dazu hatte ich noch das Zimmer von innen versperrt und den Schlüssel in die Pyjamatasche gesteckt, denn ich wusste ja auch, unter welch psychischem Druck diese Kinder stehen und dass es nicht selten vorkommt, dass sie zu ihren Peinigern zurücklaufen."

"Und was machst du jetzt und später?", frage ich Jimmy am Ende unseres Gesprächs: "Jetzt spiele ich mit meinen Brüdern und dann im Herbst gehe ich zur Schule, ich freu mich schon." - "Und was möchtest du werden?" "Arzt", kommt es wie aus der Pistole geschossen.

Man kann oder will nicht glauben, was man hört und muss sich dennoch bewusst sein: Jimmy ist kein Einzelfall.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung