Tourismus im religiösen Halbschatten

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Das traditionsbewußte, kleine Emirat Qatar am persischen Golf setzt auf kultivierten Fremdenverkehr.

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Das traditionsbewußte, kleine Emirat Qatar am persischen Golf setzt auf kultivierten Fremdenverkehr.

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Im Ya mal-i-Sham", einem der feinen arabischen Restaurant von Doha, serviert man uns wohlschmeckende Mezzes, Taube und Fisch, als neben uns eine einheimischen Qatari-Familie Platz nimmt. Ein wohlbeleibter Mann in mittleren Jahren mit seiner tiefverschleierten blutjungen Frau, die wir auf keine 18 Jahre schätzen, und ihre beiden kleinen Kinder. Hier im Lokal nimmt sie Burka, die goldene Augenmaske und den schwarzen Schleier ab. Ich vermeide jeden Blickkontakt, nur meine Begleiterin sieht ab und zu hinüber, als uns der kuwaitische Wirt ungefragt die Rechnung bringt. Wir sehen uns genötigt, ohne Nachspeise zu zahlen und verabschieden uns mit einem "good evening". Der Qatari bleibt stumm, während seine Frau unseren Gruß schüchtern, aber freundlich erwidert. Als wir vor dem Lokal auf ein Taxi warten, sehen wir, wie der Qatari aufgeregt auf den Wirt einredet, wild gestikuliert und einen Paravent als Sichtschutz vor seinen Tisch stellen lässt.

Mit den "echten" Qataris ist es nicht ganz leicht ins Gespräch zu kommen. Die Männer tragen ihre arabisches Haupt stolz erhoben und die Frauen sind von Kopf bis Fuß tief verschleiert. Ihr Gesicht verstecken sie hinter einem dichten schwarzen Schleier, der nur einen ganz kleinen Augenschlitz offen lässt. Manche tragen auch noch eine Burka, eine goldene Maske und andere über den Augen noch einen zweiten Schleier.

Qatar ist so etwas wie kleine Schwester der Vereinigten Arabischen Emirate. Tourismus und Business, die vor allem in Dubai boomen, sind noch wenig entwickelt, das Land selbst konservativer. Emir Sheikh Hamad bin Khalifa Al-Thani, der 1995 seinen eigenen Vater durch einen unblutigen Putsch gestürzt hat, forciert aber die Öffnung der streng puritanischen, wahhabitischen Gesellschaft.

Verzicht auf Bildung In Qatar ist wie in Saudi-Arabien der sunnitische Wahhabitmus Staatsreligion. Der Wahhabitmus ist eine "fundamentalistische" Form des Islam, der sich auf die Anfänge besinnt und allen Neuerungen skeptisch gegenüber steht.

Der Prediger Mohammed Ibn Abdul al-Wahhab war Mitte des 18. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Saudi Arabiens gegen die Verwahrlosung des islamischen Glaubens aufgetreten. Er wolle den Islam zur traditionellen Schlichtheit und Strenge zurückführen. Abdul al-Wahhab und seine zahlreichen Anhänger gewannen auch Einfluss auf die Al Sauds, die Herrscherfamilie Zentralarabiens. Mehr noch der Wahhabitmus wurde Staatsreligion. Totenkult, Grabinschriften und Schmuck von Moscheen wurden verboten, alle bildlichen Darstellungen Allahs verdammt. Die strikte Einhaltung der fünf religiösen Pflichten - Bekenntnis zum einzigen Gott, fünf tägliche Gebete, Fasten im Ramadan, Pilgerfahrt (Hadsch) nach Mekka) und Almosen geben - wurde ebenso verlangt wie der Rückzug der Frau auf häusliche Pflichten unter Verzicht auf schulische Bildung. Al Wahhab verlangte die wortwörtliche und absolute Befolgung des Korans, etwa das unbedingte Verbot von Schweinefleisch und Alkohol, schwere körperliche Züchtigungen bei Übertretung der Glaubensregeln bis zur Steinigung bei Ehebruch. Im Gegensatz zu Saudi-Arabien, das die wahhabitischen Grundsätze heute am strengsten auslegt, spürt man in Qatar eine leichte Liberalisierung.

Alkohol ist zwar streng verboten. Nicht nur den Qataris, auch Ausländer erhalten in "normalen" Restaurants keine berauschenden Getränke. Im Hotel müssen wir aber nur vom Gastgarten in das Innere des Lokales wechseln. Hier, im religiösen Halbschatten, serviert man für gute Dollars noch bessere Weine.

Qatar setzt auf kultivierten Tourismus. Neben dem Sheraton werden neue Luxushotels gebaut, ein Four Seasons und ein Ritz Carlton. Die erst 1997 gegründete nationale Fluglinie Qatar Airways fliegt von München (mit Zubringerflug nach Wien) in sechs Stunden nach Doha, der Hauptstadt des nur 11.500 Quadratkilometer großen Emirates (etwa gleich so groß wie Oberösterreich).

Die Qataris sind sehr freundlich, wie in Arabien üblich. Das einzige Problem ist, dass die meisten Menschen dieses Landes keine Qataris sind. Das Personal vom Zimmermädchen bis zum Erdölingenieur sind ausschließlich Gastarbeiter. 70 (!) Prozent der etwa 410.000 Einwohner sind Fremde, echte Qataris gibt es nur knapp 130.000. In Restaurant serviert uns ein Nepali, unser Koch stammt aus Bombay. Das Zimmermädchen kommt aus Bangladesh, ein anderes von den Philippinen und der Fahrer unseres Jeeps ist ein Palästinenser, dessen Familie aus Haifa flüchten musste. Der Hotelmanager ist ein Ägypter, die PR-Lady aus Rumänien und am Pool treffen wir französische Erdölarbeiter.

Feudalherrschaft Wie die VAE erinnert auch Qatar - noch (?) - an einen absolutistischen Feudalstaat, ohne Verfassung, Wahlen und Bürgerrechte. Frauen spielen politisch und gesellschaftlich keine Rolle. Wie in Saudi Arabien dürfen sie - von wenigen privilegierten Ausnahmen abgesehen - nicht einmal Auto fahren. Ausländer - und das sind fast drei Viertel der Einwohner - können weder die Staatsbürgerschaft noch Grund und Besitz erwerben. Der Emir ist als Staatsoberhaupt und Regierungschef keinem Parlament verpflichtet, es gibt gar keines. Auch keine politischen Parteien. Die Hälfte der Minister sind enge Verwandte der Familie Al Thani. Die Thronfolge ist erblich, der älteste Sohn der "Heir apparent", ist der zweite Mann im kleinen Staat.

Der neue aufgeschlossenere Emir Sheikh Hamad bin Khalifa Al-Thani öffnet das Land aber nun dem Fortschritt: eine Verfassung wird ausgearbeitet, die Pressezensur abgeschafft und bei den ersten Kommunalwahl in Doha kandidierten sogar sechs Frauen. Gewählt wurde allerdings keine einzige.

Kontakte zu Israel Mit der politischen Öffnung will der Emir die Herrschaft seiner Dynastie, die Qatar seit Anfang des 19. Jahrhunderts regiert, sichern. Qatar gehörte bis zum Ersten Weltkrieg zum Osmanischen Reich, wurde 1916 britisches Protektorat und erklärte 1971 die Unabhängigkeit. Emir Hamad bin Khalifa versucht die politische Basis schrittweise zu erweitern, eine politische Frage, die ihn mit seinem Vater entzweite und schließlich vor fünf Jahren zum familiären Umsturz führte. Der alte Emir, der selbst 1972 gegen seinen Vater geputscht hatte, wurde von seinem Sohn während einer Auslandsreise abgesetzt. Mit Polizei und Geheimdienste lässt sich der Fortschritt nicht länger aufhalten. Der Weg zur Demokratie ist aber noch lange. "Wir müssen Demokratie lernen, als ein Volk und als eine Herrscherfamilie", meinte Sheikh Hamad bin Khalifa Al-Thani bei seinem Deutschlandbesuch, "doch wir sind noch nicht bereit."

Das Emirat fällt durch eine recht eigenständige Außenpolitik auf. Qatar pflegt als einziges Emirat sowohl zum Iran der Ayathollas als auch zum Irak Saddam Hussein gute Beziehungen, auch wenn es im Golfkrieg eindeutig im UNO-Lager Kuwaits war. Mit dem Erzfeind Israel gibt es langjährige Wirtschaftskontakte und obwohl Qatar militärisch massiv von den USA unterstützt wird, kritisiert es immer wieder die Irakpolitik der westlichen Führungsmacht.

Das seit 1971 unabhängige Qatar ist eines der reichsten Länder der Welt. Kein Wunder: Neben der Förderung von täglich 350.000 Barrel Rohöl sitzt Qatar auch auf dem größten Erdgasfeld der Welt. Damit lässt sich ein Leben wie im Paradies finanzieren: Niemand zahlt Steuern oder Sozialversicherung und auch Strom (für die Klimaanlagen) ist frei. Benzin kostet umgerechnet zwei Schilling. Die glücklichen Qataris kennen weder Arbeitslosigkeit (Hochschulbildung ist auch gratis) noch Bettler, aber auch keine Kriminalität.

Wochenlanger Kauf Falken und die Falkenjagd sind ein exklusives nationales Vergnügen, welches den Einheimischen vorbehalten ist. Der Kauf eines bis zu 700.000 Schilling teuren Falkens dauert gut zwei Wochen, in denen der interessierte Käufer täglich mehrere Stunden lang in das Geschäft kommt, um den Falken an sich zu gewöhnen. In ihren bodenlangen reinweißen Hemdkleidern, eine rote (oft auch blütenweiße) Kefija, das dreieckige Baumwolltuch, mit einer schwarzen Kamelhaarschnur um den Kopf gewunden, sitzen sie um einen rechteckigen "Sandkasten", in dem die schönen Vögel mit ihren breiten Schwingen angebunden sind. Trinken warmen Tee und greifen sich ab und zu "ihren" Vogel. Manche Falken tragen noch einen ledernen Kopfschutz. Falken lassen sich schwer fangen und brüten nicht in Gefangenschaft, deshalb der hohe Preis.

Die beste Reisezeit für Qatar und die Emirate ist Oktober bis April. Im Sommer ist es bei schweißtreibenden 40 bis 50 Grad einfach viel zu heiß. Dann sind selbst Meer und Swimmingpool - soferne er nicht gekühlt ist - keine Erfrischung mehr. An unserem Pool treffen sich täglich zwei ganz verschiedene Welten. Neben leichtgeschürzten Stewardessen in ihren knappen Bikinis - "oben ohne" ist streng verboten - huschen schwarze Schatten durch die drückende Hitze. Während sich der Qatari-Mann mit seinen Kindern im Beachclub amüsiert, schwimmt, taucht und spielt, sitzt die Qatari-Frau züchtig in bodenlanges Schwarz gehüllt am Poolrand. Nur ab und zu steht sie auf, um ihren Lieben etwas zum Trinken oder Essen zu besorgen.

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