Tribunal des Völkerrechts

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Die Ereignisse in Bosnien und Ruanda haben das Fehlen eines dauerhaften Tribunals für Kriegsverbrecher drastisch vor Augen geführt. Nun soll bei einer Konferenz in Rom das Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof verabschiedet werden.

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Die Ereignisse in Bosnien und Ruanda haben das Fehlen eines dauerhaften Tribunals für Kriegsverbrecher drastisch vor Augen geführt. Nun soll bei einer Konferenz in Rom das Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof verabschiedet werden.

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Weithin unbeachtet von der österreichischen Öffentlichkeit laufen derzeit die Vorbereitungen für eine der wichtigsten internationalen Konferenzen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Ab 15. Juni d. J. werden in Rom Delegierte aus praktisch allen Staaten der Welt zusammentreffen, um über das Statut eines Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) zu beraten. Die einschlägigen Vorarbeiten für diese Konferenz wurden in sechs Sitzungen im Rahmen der Vereinten Nationen auf der Grundlage eines Entwurfs der Völkerrechtskommission geleistet. Anhand der dabei erarbeiteten Textvorschläge soll nunmehr das Statut zur Errichtung eines solchen IStGH bei der Konferenz in Rom verabschiedet werden.

Das Vorhaben, Einzelpersonen vor internationalen Gerichtsinstanzen für die Begehung von schweren Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, geht auf die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück. So wurde von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges im Rahmen der Pariser Vororte-Verträge eine zwischenstaatliche Kommission zur Verfolgung und Bestrafung der für die Entfesselung dieses Krieges Hauptverantwortlichen errichtet. Bekanntlich haben die Bestrebungen der Entente-Mächte aber nicht dazu geführt, daß etwa der in die Niederlande geflüchtete Kaiser Wilhelm II., dem als Staatsoberhaupt ein Hauptanteil an der "Kriegsschuld" des Deutschen Reiches angelastet wurde, vor ein internationales Tribunal gestellt wurde.

Lehren der Geschichte Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die internationalen Militärstrafgerichtshöfe von Nürnberg und Tokyo, die von den Alliierten nach der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches und Japans zur Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher eingerichtet wurden, neuerlich das Schlaglicht auf die schwierigen Fragen geworfen, die mit einer Strafjustiz nach dem Völkerrecht verbunden sind. Wer erinnert sich nicht an die großen Auseinandersetzungen um die juristischen Probleme, als es zu beurteilen galt, ob die für die ungeheuerlichen Nazi-Verbrechen verantwortlichen Haupttäter nach Maßgabe der damals geltenden Normen des Völkerrechtes überhaupt in einem geordneten Verfahren nach rechtstaatlichen Kriterien behandelt werden könnten. Auch der Vorwurf von Siegerjustiz wurde von mancher Seite erhoben. Bei allen Unzukömmlichkeiten wird andererseits niemand bestreiten können, daß es vom Standpunkt der Gerechtigkeit keine Alternative zu diesen Nachkriegsprozessen gegeben hat. Wer würde allen Ernstes behaupten, daß die Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges straflos hätten bleiben dürfen. Auf einer anderen Ebene liegt freilich die Frage, daß auch auf seiten der Alliierten Kriegsverbrechen begangen wurden.

Vor diesem Hintergrund hat die internationale Staatengemeinschaft unter der Ägide der damals noch jungen Vereinten Nationen sehr bald Anstrengungen unternommen, um unabhängig von den genannten Anlaßfällen ein System der internationalen Gerichtsbarkeit für besonders schwere Delikte von Einzelpersonen zu entwickeln.

Das Konzept der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Einzelpersonen auf der Ebene des Völkerrechtes gewann in der Folge rasch Akzeptanz und führte schon im Jahre 1948 zur Annahme der sogenannten "Völkermordkonvention", mit welcher das Verbrechen des Genozids als Delikt nach dem Völkerrecht etabliert wurde. Parallel dazu liefen in der neu gegründeten Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen die Vorarbeiten an einem "Kodex von Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit" an, der eine von der Staatengemeinschaft anerkannte Liste von besonders schweren Delikten nach dem Völkerrecht darstellen sollte. Darüber hinaus begann die Völkerrechtskommission an einem Statut für ein internationales Strafgericht zu arbeiten, welches eine ständige Einrichtung werden sollte. Dieser Statutenentwurf konnte 1994 fertiggestellt werden.

Es besteht kein Zweifel, daß die tragischen Vorfälle in jüngster Zeit - der blutige Krieg im Gebiet des früheren Jugoslawiens und der ethnische Konflikt in Ruanda - den entscheidenden Anstoß gegeben haben, daß der jahrzehntelang erlahmte Prozeß in Richtung eines Ständigen Internationalen Strafgerichts endlich doch auch politisch vorangetrieben wurde. Maßgeblichen Einfluß hatte in dieser Hinsicht gewiß die Errichtung der beiden Ad-hoc-Tribunale für die Aburteilung der Haupttäter bei den bewaffneten Auseinandersetzungen auf dem Balkan und im Gebiet der Großen Seen in Afrika.

Ad-hoc-Tribunale Das Fehlen einer internationalen strafrechtlichen Institution wurde hiebei besonders augenscheinlich, weshalb die Schaffung dieser zwei Tribunale durch politische Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen erforderlich wurde. Daß die Errichtung von eigenen Sondergerichtshöfen für jeden Konfliktfall aber keine geeignete Lösung für alle Zukunft sein konnte, erschien einsichtig und unterstrich nur die dringende Notwendigkeit, die Bemühungen um einen universellen Strafgerichtshof endlich zu einem Abschluß zu bringen.

Die internationale Staatenkonferenz, die sich nunmehr mit dem vorliegenden Projekt in seiner Endphase auseinanderzusetzen hat, steht vor beträchtlichen politischen und juristischen Herausforderungen. Noch gibt es in zentralen Fragen, die für eine Einigung über den Internationalen Strafgerichtshof von wesentlicher Bedeutung sind, keine einheitliche Auffassung unter den maßgeblichen Staaten. So ist etwa noch nicht klar, welche Rolle der Sicherheitsrat im Verhältnis zum neuen Gerichtshof haben soll. Auch stellt sich das Problem der Abgrenzung der Zuständigkeit des IStGHs von den Kompetenzen der nationalen Gerichte, wobei die herrschende Auffassung dahingeht, daß das Internationale Tribunal die nationale Gerichtsbarkeit nur ergänzen, nicht aber ersetzen darf. Einigkeit besteht hingegen über den Grundsatz, daß nur besonders schwerwiegende Delikte (z. B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Völkermord, Aggression) unter die Jurisdiktion der neuen Institution fallen sollen. Andererseits ergeben sich auch diesbezüglich in den Einzelheiten schwierige Definitionsprobleme, die noch einer Lösung harren.

Weiters ist die noch grundsätzliche Frage offen, inwiefern die Staaten bereit sind, mit der Annahme des Statutes auch schon eine automatische Gerichtsbarkeit des neuen Strafgerichtshofs für diese Delikte zu akzeptieren.

Fragen über Fragen, die politische und juristische Dimensionen von größter Tragweite haben und die bei der bevorstehenden Konferenz in Rom einer Entscheidung zugeführt werden müssen. Eine realistische Betrachtung gebietet es, die Aussichten für einen erfolgreichen Abschluß der Konferenz nüchtern zu beurteilen. Auch wenn den Staaten der politische Wille nicht abgesprochen werden sollte, dieses Projekt nunmehr zum Abschluß zu bringen, bedarf es angesichts der in den Sachfragen teilweise noch weit auseinander liegenden Positionen größter Anstrengungen, bevor bei dieser wichtigen Staatenkonferenz in der ewigen Stadt der weiße Rauch aufsteigen kann.

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