Tummelplatz der Monster

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" Die Psychoanalyse könne Menschen, vornehmlich Künstlern, dabei helfen, produktiv zu sein. Davon ist Siri Hustvedt überzeugt - und plant den nächsten Roman.“

Eine Fachfremde hat einer Fachwelt Respekt abgerungen. Siri Hustvedt, amerikanische Schriftstellerin mit norwegischen Wurzeln, hat sich in beeindruckender Weise ein Gebiet erschlossen, das vordergründig wenig mit Literatur zu tun hat: die Neurowissenschaften. Ausschlaggebend dafür war ihr nervöser Zusammenbruch 2006 während einer Rede zu Ehren ihres verstorbenen Vaters - er war Professor für norwegische Literatur am St. Olaf College in Minnesota. Es folgten Jahre einer nahezu besessenen Auseinandersetzung mit Neurologie, Psychiatrie, Psychoanalyse und Pharmakologie. Begleitet war dies vom Besuch von Vorlesungen, von Seminaren und von Schreibworkshops mit Insassen der geschlossenen Psychiatrie. Über diese in Jahren gesammelten Erfahrungen schreibt sie - in ebenso nüchterner wie anschaulicher Weise - in ihrem 2009 veröffentlichten Buch "Die zitternde Frau“. Und sie spricht über gewonnene Erkenntnisse, so Anfang Mai in Wien, als sie auf Einladung der Sigmund-Freud-Privatstiftung die heurige der jährlichen, dem Begründer der Psychoanalyse gewidmeten Vorlesungen hielt.

Mit 16 Jahren begonnen Freud zu lesen

Das Interesse Hustvedts für die Psychoanalyse reicht weiter zurück als 2006: "Ich wollte immer verstehen, wie wir wurden und was wir sind. So begann ich mit sechzehn Jahren Freud zu lesen - weil er berühmt war - und lese ihn bis heute.“ Nirgendwo anders wurde Freud so früh und enthusiastisch rezipiert wie in den USA. Freud selbst war übrigens von den Vereinigten Staaten, wohin ihn eine Reise geführt hatte, wenig angetan. Das einzig Positive an Kolumbus’ Entdeckung sei der Tabak, so Freud.

Zurück zu Siri Hustvedt. Ihr außergewöhnlicher Ansatz ist der einer gegen sich selbst Schach Spielenden. Sie tritt aus sich selbst heraus, wird zur Wissenschafterin, die sich selbst analysiert und die diese Analysen aus der Sicht der Patientin kommentiert, die ebenfalls sie selbst ist. Die Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle, in einem doppelten Sinn. Zum einen als literarisches Medium und zum anderen als neurologisches Interessensgebiet der ersten Stunde: "Freuds erste Publikation ‚Eine kritische Studie‘ handelt von Aphasie, ein Begriff aus dem Griechischen für ‚sprachlos‘, und betrifft Sprachprobleme bei Patienten mit Gehirnschäden.“, schreibt Hustvedt in "Die zitternde Frau“. Freud, der als Neurologe begann, erkannte schnell die Grenzen dieser Wissenschaft und wandte sich fortan der Psyche zu. In ihrer Vorlesung in Wien spannte Hustvedt daher einen assoziativen Bogen von Freuds Anfängen über die Begründung der Psychoanalyse hin zu einer neu gewonnenen Aktualität.

Tummelplatz, ein energiegeladener Ort

Hustvedt begibt sich dabei auf Freuds "Tummelplatz“, dem die englische Übersetzung durch "playground“ nicht ganz gerecht werden kann, wie sie anmerkt. Denn Freuds Tummelplatz ist ein energiegeladener Ort für Kinder UND Erwachsene. Ein Ort der Intersubjektivität. Das frühkindliche Bedürfnis nach Zuwendung und nach den Anderen ist der Ausgangspunkt für die Entstehung dieses Tummelplatzes. Wissenschafter, Psychologen, Literaten und Philosophen bemühen sich seit Antike, zu deuten und zu ergründen, was sich dort tut. Sie nennen es Dialog, Spiegelung, Intersubjektivität, das Dazwischen, Illusion, Fantasie oder eben Tummelplatz. Ein Ort jedenfalls, an dem sich das Unbewusste in der zwischenmenschlichen Beziehung manifestiert. Hustvedt verweist hier auf Untersuchungen, wonach alle Säugetiere soziale Bindungen brauchen, um überleben zu können. Anders als das Tier besitzt der Mensch die Fähigkeit zur Verdrängung, das bei Freud zentrale Thema. Die menschliche Sprache ist ein Schlüssel zum Verständnis der Vorgänge.

Kinder lernen schnell, Worte als brauchbare Symbolträger zu verwenden, um ihre Realitäten zu interpretieren. Das Spiel also als zentrales Moment für die Entstehung von Kommunikation, von Sprache und von Gefühlen. Durch das Wort kann einer Person oder einem Objekt Permanenz verliehen werden, wenn sie bzw. es abwesend ist. Im Spiel können Objekte sprachlich, heißt symbolisch, so besetzt werden, dass sich das Objekt verändert und aus der Kartonschachtel ein Ritter wird. Sprache, sowohl als Medium für Kommunikation als auch Symbolträger, beeinflusst, was und wie Menschen lieben. Und das Dazwischen, die Intersubjektivität, wird dann entweder zum Tummelfeld für Feen oder zum Schlachtfeld für Monster.

Um Monster wird es auch im nächsten Buch von Sir Hustvedt gehen: "Monster und Feen nehmen viele Formen an und bevölkern als Geister vergessener Vergangenheit die Übertragung, die Gegenübertragung und das Spiel erfundener Geschichten“, sagt Hustvedt bei ihrer Vorlesung, um sogleich von der Psychoanalyse zur Literatur zu gelangen: "Sie verzaubern den Raum zwischen mir und dir. Hier sprießen Geschichten und erblühen literarische Erzählungen.“

Psychoanalyse verhilft zu Produktivität

Mit den Mitteln der Literatur will Hustvedt ein Gebiet ausleuchten, auf dem sie neue Aktualität für Sigmund Freud erkennt und von dem sie sich neue Beiträge für die Kunst erhofft. Anlass dafür sei die Neuorientierung in der Forschung der angesprochenen Disziplinen. War die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Behaviorismus und die zweite von der kognitiven Wende geprägt, sei gegenwärtig eine Annäherung von Psychoanalyse und Neurologie in den Neurowissenschaften zu erkennen. Vieles habe Freud vorweggenommen, vieles von ihm müsse vor dem Hintergrund neurowissenschaftlicher Erkenntnisse neu gelesen werden.

In Bezug auf Kunst ist Hustvedt davon überzeugt, dass die Psychoanalyse den Menschen, vornehmlich Künstlern, dabei helfen könne, produktiv zu sein. Es sei ein Mythos zu glauben, dass man als Künstler immer auch ein bisschen verrückt sein müsse. Kreativ ist man dann, so Hustvedt, wenn man "relaxed“ ist und gerade die Psychoanalyse könne hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Siri Hustvedts Vorlesung warf ein neues Licht auf die Rezeption von Freud. Sie stellt seine psychoanalytischen Theorien in einen der heutigen Zeit entsprechenden wissenschaftlichen Kontext. Ihre Bezüge zu Denkern und Wissenschaftern quer durch die Geschichte mögen oft eigenwillig und assoziativ sein. Allerdings gelingt es ihr aufzuzeigen, wie ausgerechnet durch die Neurowissenschaften - Freuds ursprüngliches Forschungsgebiet - Freuds psychoanalytische Theorien bestätigt werden und ihnen so zu neuer Bedeutung verholfen wird.

Sie führe jedenfalls, sagte Hustvedt gegenüber der APA, ein Doppelleben zwischen Fiktion und psychologischen Sachtexten. Kunst sei für sie ein Tummelplatz - durchaus einer im Sinne Freuds.

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