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ÜBER EINE GUTACHTER-KONVENTION

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Zahllose Projekte bedürfen einer behördlichen Bewilligung. Dies wird stark von Gutachtern, die im Kreuzfeuer der Interessen stehen, beeinflußt...

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Zahllose Projekte bedürfen einer behördlichen Bewilligung. Dies wird stark von Gutachtern, die im Kreuzfeuer der Interessen stehen, beeinflußt...

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dieFurche: Ist die Qualität der Gutachten in Vzrwaltungsverfahren heute ein besonderes Problem?

Gerhard Imhof: So allgemein kann man diese Frage nicht beantworten. Im großen und ganzen kann man davon ausgehen, daß die Gutachter auf einem fachlich entsprechenden Standard sind. Bekannt ist allerdings, daß die Kompetenz manchmal sehr weit gefaßt wird. Es kommt vor, daß zum Beispiel Forstingenieure auch allgemeine Umweltaspekte einer Frage zu beurteilen haben. Manche Behörden akzeptieren das unkritisch.

Josfj Lueger: In dieser Frage verhält es sich ähnlich wie bei der Polizei: Da gibt es die berühmten Einzelfälle, die den Berufsstand in Mißkredit bringen. Es gibt also sehr viele Gutachter, die schwer in Ordnung sind. In politisch wichtigen Verfahren bemerke ich jedoch immer wieder große Mängel.

dieFurche: Welche Aufgaben hat ein Gutachter eigentlich?

Lueger: Er muß seinen Auftrag erfüllen, der eigentlich' darin bestehen sollte, Sachfragen zu beantworten. Wert- oder Bechtsfragen sind nicht Gegenstand seiner Beurteilung. Hier sind die Behörden zustandig. Ein Beispiel: Fragt eine Behörde einen Gutachter, ob eine Maßnahme das Landschaftsbild beeinträchtigt, so wäre dessen Antwort (ja oder nein) unzulässig. Der Gutachter hat nur die Folgen bestimmter Maßnahmen für die Landschaft zu beschreiben. Ob das Landschaftsbild dadurch beeinträchtig wird, ist eine Rechtsfrage, die die Behörde zu beantworten hat.

Imhof: Lassen Sie mich das verallgemeinern. Es geht um das Verhältnis Auftraggeber und Gutachter. Manche Behörden gehen davon aus, daß der Gutachter nicht diskutierbare Sachaussagen macht, aus denen sich die Bewertung zwingend ableiten läßt. Das ist falsch. Wir wissen längst, daß auch Wissenschaftler keine wertfreien Aussagen treffen können. Wesentlich ist, daß die Werthaltung offengelegt wird.

dieFurche: Was heißt das konkret?

Imhof: In der Praxis zeigt sich oft, daß beim Einholen verschiedenerGutachten (Gegengutachten durch die Parteien), man nicht zu eindeutigen Schlußfolgerungen kommt, obwohl jedes der Gutachten sachlich korrekt ist. Daher ist es uns so wichtig, daß Gutachten durch die Behörden für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und sich Gutachter einer sachkundigen Diskussion stellen müssen.

dieFurche: Unterschiedliche Gutachten zur selben Sache verwirren die Öffent-lichkeit. Wie kommt es dazu?

Imhof: Ein drastisches Beispiel: Vor zwei Jahren gab es im Zusammenhang mit dem Lainzer Tunnel von der West-zur Südbahn in Wien eine Umweltverträglichkeitsstudie. Sie hat ein vegetationsökologisches Gutachten umfaßt, das von einem Architekten in den Monaten Jänner und Dezember erstellt wurde! Es bildete die Grundlage für die Schlußfolgerung, das Projekt beeinträchtige die Vegetation nicht...

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Leger: Oft läuft es auf einen Methodenstreit hinaus. Nehmen wir das Kraftwerk Lambach: Dort gab es Gutachten, die zum Teil auf einem nicht mehr den heutigen Planungen entsprechenden Kraitwerksmodell beruhen. Ich bin von den Kraftwerksgegnem beigezogen worden und mußte aufgrund der neuen Gegebenheiten diese Gutachten in Frage stellen. Damöchte ich den Antragstellern des* Kraftwerks unterstellen, daß sie ein bestimmtes Ergebnis haben wollten und das entsprechende Modell dazu gebastelt haben. Bis zu einem gewissen Grad können die Ergebnisse durch Auswahl der Methoden gesteuert werden. So kommt es zu dieser unseligen Kette von Gutachten, Gegengutachten, Übergutachten ...

Imhof: Ein anderes Beispiel: der Streit um die Schnellstraße bei Liezen. Da hat sich die Frage gestellt, ob die nahe der Enns gelegene Trasse einer wasserrechtlichen Bewilligung bedarf. Sie ist erforderlich, wenn ein Projekt in einem Gebiet liegt, das alle 30 Jahre von einem Hochwasser erreicht wird. Da hat ein Ziviltechnikerbüro zwei Gutachten erstellt mit gegensätzlichen Aussagen. Beide sind korrekt, gehen aber von unterschiedlichen Voraussetzungen aus. In einem Fall war die Dimensionierung des Flußbettes Grundlage der Aussage, wie sie im Begulierungsplan der Enns festgelegt worden war. Das Tjgebnis: 30j ährige Hochwasser bleiben im Flußbett. Im anderen Gutachten wurde der tatsächliche Zustand zugrundegelegt - mit gegenteiligem Ergebnis. Daher ist es wichtig, die Voraussetzungen der Gutachten offenzulegen.

dieFurche: Sind die Fragestellungen immer zielfiihrend?

Imhof: Keineswegs. Auch dazu ein Beispiel: Flußaufwärts vom Paß Lueg steht ein Kraftwerksprojekt zur Debatte an einer weitgehend naturbelassenen Strecke der Salzach. Eine Beeinträchtigung dieser Fließstrecke gibt es durch oberliegende Kraftwerke, die je nach Strombedarf unterschiedlich viel Wasser durch die Turbinen laufen lassen (Schwellbetrieb). Die Auseinandersetzung ging um die Frage, wie naturnah diese Strecke überhaupt noch sei. Zur Beurteilung wurde die Frage vorgelegt, ob ein Stau die Selbstreinigung zusätzlich zum Schwellbetrieb beeinträchtige. Damit beantwortet man aber nicht die eigentliche Frage, ob ein weitgehend unverbauter Fluß seinen Charakter verliert. Man fragt nur, ob die bestehende Beeinträchtigung verschlechtert wird. Sagt der Gutachter dann, die Lage verändere sich nicht bedeutend, so hat man das gewünschte Argument, ,um das Kraftwerk zu bauen.

dieFurche: Das wollen Sie mit der Gutachterkonvention verhindern?

Imhof: Wir wollen die Gutachter verpflichten, auch schon die Fragestellung kritisch zu überprüfen und sich nicht auf jede Fragestellung einzulassen.

dieFurche: Sind Gutachter dazu vom Auftraggeber ausreichend unabhängig?

Leger: Die Gutachterei ist die einzige Branche, wo es Auftraggeber gibt, die dezidiert schlechte Arbeit haben wollen. Daher kann man nicht jeden Auftrag annehmen. Nimmt man ihn an, so muß man auch gegen den Willen des Auftraggebers gute Arbeit leisten oder zumindest darauf hinweisen, daß bestimmte wichtige Fragen nicht gestellt wurden. Das fordert jedenfalls die Gut-achterkonvention.

dieFurche: Welche Anliegen hat sie ? LUEGER: Jede Art von Mißbrauch bei Gutachten einzudämmen und deren Qualität anzuheben.

Imhof: Ein wichtiges Anliegen ist, wie gesagt, die Offenlegung der Unterlagen, um die Diskussion der Ergebnisse zu ermöglichen. Adressaten sind allerdings nicht in erster Linie die Sachverständiger sondern die Auftraggeber, wenn sie Gutachten unter Verschluß halten und Gutachter zur Geheimhaltung verpflichten. Aber Gutachter können mithelfen, Druck auf die Auftraggeber auszuüben. Die Wirksamkeit der Konvention wird weitgehend davon abhängen, wieviele Experten sie unterschreiben.

dieFurche: Wieviele Unterzeichner der Konvention gibt es bisher?

Imhof: Seit April sind es rund 30. Bisher haben wir uns an Personen gewendet, die vorweg Interesse bekundet haben. Jetzt wollen wir mit einer größeren Werbekampagne beginnen.

dieFurche: Wozu verpflichten sich die Unterzeichner?

Lueger: Zunächst einmal zur Einhaltung methodischer Grundsätze bei der Gutachtenerstellung: Die Quellen der Information anzugeben, die angewendeten Methoden zu beschreiben, die Gliederung in Befund und Interpretation einzuhalten...

Eigentlich etwas Selbstverständliches, aber auch das wird nicht überall eingehalten. Zweitens verpflichtet man sich zu allgemeinen Verhaltensgrundsätzen: etwa zur Wahrung der Objektivität, und zu einer möglichst ganzheitlichen Betrachtungsweise.

dieFurche: Aber das führt doch zu der oben kritisierten Überschreitung der eigenen Kompetenz...

Lueger: Das wollen wir nicht erreichen. Aber eine Offenheit für andere, relevante Aspekte. Wenn mir als Geologen auffällt, daß sich die Wasserqualität verändert, so soll ich darauf hinweisen, auch wenn dies' nicht meine Fragestellung war.

Imhof: Wir haben aus den allgemeinen Richtlinien für Gerichtsgutachter übernommen, was uns wichtig erschien, sind aber darüber hinausgegangen, etwa auch im Bereich einer erweiterten, persönlichen Haftung für Personen- und Sachschäden, die aus falschen oder unvollständigen gutachterlichen Aussagen resultieren.

Das Gespräch führte

Christof Gaspari.

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