Überall ist Heimat

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Sie lebt seit 25 Jahren in Wien, führt im Rathaus die Wiener Grünen seit 2004 als Klubobfrau: Trotz der Stimmenverluste verhandelt Maria Vassilakou über eine rot-grüne Koalition. Die geborene Griechin pflegt ihre familiären und heimatlichen Verbindungen - und hat die starken Querelen der Wiener Grünen an der Basis bisher ordentlich gemeistert.

Sie wollte bei dem Rhetorikseminar in Wien nur zuhören, aber dessen Leiter, Stefan Schennach, machte keine Ausnahmen: "Mitmachen oder nicht. Überleg' es dir bis morgen!" Am nächsten Tag erschien Maria Vassilakou zum Rhetorik-Training - und startete damit zu einer bisher außerordentlich verlaufenen politischen Laufbahn. Denn nach Abschluss des Trainings, an einem Wochenende zu Beginn der 90er, telefonierte Schennach noch abends mit der damaligen Zentralfigur der Wiener Grünen, Peter Pilz, und sagte nur: "Wir haben eine Migrantenpolitikerin." Schennach blieb bis zu seinem Wechsel zur SPÖ ihr Förderer.

Geboren am 22. Februar 1969 in Athen, kam Maria Vassilakou, einziges Kind einer Goldschmiedin und eines Bauunternehmers, 1986 zum Studium nach Wien. Ihre Familie hat ihre Wurzeln in Mani, einer Region auf dem Peloponnes. Deren Bewohner sagen, ihre Vorfahren hätten sich nie türkischer Herrschaft unterworfen, sondern mit dem Sultan des osmanischen Reiches nur einen Sondervertrag über Tribut abgeschlossen. Die wegen Landknappheit hart geführten, historischen Fehden der Familien ließen diese Türme als Zuflucht bauen, die heute als Sehenswürdigkeit gelten.

Ihr größter Wunsch? Grün regiert!

In Wien jedenfalls kämpfte Vassilakou bei den Hochschülerschaftswahlen erfolgreich für die Grünen - aber nicht für sich: Wegen ihrer griechischen Staatsbürgerschaft war es ihr nicht möglich, ein Mandat zu übernehmen, also wurde sie 1995 Generalsekretärin der Hochschülerschaft. Und bewies,was sie für eine Stärke hält, Nerven.

Ihr Mandat als Gemeinderätin und Integrationssprecherin trat sie 1996 an, im Jahr darauf erfolgte die Berufung in den Landesvorstand der Grünen. Diese führte sie bei der Gemeinderatswahl 2005 als Spitzenkandidatin mit einem Stimmenanteil von über 14 Prozent in lichte Höhen, die Vassilakou heuer nicht mehr erreichen konnte: Mit 12,64 Prozent der abgegebenenen Stimmen blieben die Grünen bei der Wiener Gemeinderatswahl am 10. Oktober deutlich unter ihren Hoffnungen. Diese hatten sie sich allerdings durch interne Querelen, Austritte und Ausschlüsse selbst eingetrübt. Allerdings: Die noch herberen Stimmverluste der Volkspartei ließen etwas als möglich erscheinen, wofür Grüne oft gekämpft, woran sie aber kaum geglaubt haben: eine Regierungsbeteiligung in Wien. Das sei eine "historische Chance", wie Vassilakou es ausdrückte. Bereits zum Auftakt des Wahlkampfes, Anfang September, hatte sie erklärt: "Wir wären verdammt blöd, wenn wir diese Chance vertun." Grüne regieren - das sei ihr größter Wunsch, sagte die verheiratete Besitzerin eines Jack Russel Terriers einem Fragebogen.

Trotz einiger erfolgreicher Verhandlungsrunden gab sich Wiens Bürgermeister Michael Häupl dazu noch zurückhaltend: Er wolle die Eier erst begackern, wenn sie gelegt worden seien, meinte er diese Woche. Immerhin hatten Sozialdemokraten und Grüne einiges aus dem Weg zu räumen, um sich über Programm und Posten für Wien zu einigen.

Vassilakou hatte Häupl und FPÖ-Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache wortgleich vorgeworfen, "Fernsehprediger" zusein. Die Grünen würden sich in Wien von den Roten dadurch unterscheiden, dass "sie für die Zukunft der Stadt arbeiten und nicht für die Zukunft der eigenen Parteikasse". Zudem würden sich die Grünen, eben anders als die rote Rathausmehrheit, nicht auf "beamtete Sachzwänge" ausreden, sie kämpften vielmehr "gegen die Gartenzwergigkeit des Denkens". Das gilt, da bleibt sich Vassilakou treu, vor allem für die Integration und die Öffnung der Politik.

Häupls Vorschlag spezifischer Schulen für türkischstämmige Jugendliche bezeichnete sie als "spaltende Scheindebatte". Sie plädiere vielmehr für den Ausbau muttersprachlichen Unterrichts für Kinder mit türkischer Muttersprache. Ja, es müsse sogar die Möglichkeit geschaffen werden, "auf Deutsch oder Türkisch oder in einer anderen Sprache zu maturieren", forderte Vassilakou im Wahlkampf. Für Strache Grund genug, diese Woche erneut zu warnen, mit Rot-Grün würde die Wienerinnen und Wiener "endgültig zu Fremden in der eigenen Heimatstadt". Doch die Grünen, die mit den Sozialdemokraten seit zehn Jahren in Dutzenden Projekten locker kommunale Zusammenarbeit erproben, haben etwa mit einer Abgabe auf Widmungsgewinne noch weitere harte Nüsse auf den Verhandlungstisch im Rathaus gelegt. München zeige hier den Weg, argumentierte die Klubobfrau der Grünen: "Dort müssen planungsbegünstigte Unternehmen zwei Drittel des Widmungsgewinnes abgeben." Das sind nicht die einzigen neuen Themen, mit denen sich das Rathaus zu beschäftigen haben wird. Die Grünen wünschen eine Ökologisierung des Wohnbaues, eine Solaroffensive (vor allem auf den Flachdächern des stark industrialisierten Heimatbezirkes von Bundeskanzler Werner Faymann, Liesing), Initiativen im Sozialbereich, den Ausbau des öffenlichen Verkehrs und neue Wirtschaftsförderung. All das lässt sich auf Vassilakous Homepage anklicken. Doch eine der Nagelproben rot-grüner Zusammenarbeit könnte die Änderungen des Wahlrechts werden.

Eher Kosmopolitin als Migrantin

Dem derzeit noch geltenden zufolge erreichte die SPÖ im Jahr 2001 mit 46,9 Prozent der Stimmen 52 von 100 Mandaten. Das wollen die Grünen ändern. Sie haben sich im Mai mit den drei anderen Oppositionsparteien verpflichtet, einen Antrag auf Reform einzubringen. Aber Integration bleibt eines der Hauptthemen der Grünen. Gefragt, ob sie, Vassilakou, ihre Laufbahn als Beispiel gelungener Integration sehe, antwortet sie der FURCHE mit dem Hinweis auf eine ihrer Ansicht nach erforderlicher Differenzierung.

"Es gibt unterschiedliche Welten, und die darf man nicht verwechseln. Es gibt die Welt derjenigen, die auf der Suche nach Arbeit kommen, die schlecht bezahlte Jobs übernehmen, die mit sozialen Problemen kämpfen und extrem starke Ausgrenzung erleben. Darauf werden wir uns fokussieren. Aber dann gibt es die Welt der Kosmopolitischen, der mehrsprachigen, gebildeten Menschen. Die haben, rein rechtlich, die Freiheit und die Kultur, sich zwischen Kulturen und Ländern zu bewegen. Sie haben die Einstellung, meine Heimat ist überall. Und ich zähle mich eher zu letzterer Gruppe." Daher würde sie es "niemals wagen", trotz mancher erlebter Härten ihren Werdegang mit der Situation von Arbeitsmigranten zu vergleichen.

Dass sie akzeptiert werde und nicht auf Hürden gestoßen sei, beweise vielleicht mehr über Österreich als über sie, meint Vassilakou: Es zeige, dass Wien und jene Kreise, mit denen sie zu tun habe, eine wesentlich offenere und aufgeschlossenere Gesellschaft seien, als es manchmal anderorts der Fall sei.

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