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Überfrachteter Parlamentsfahrplan

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Am 1. Jänner 1995 will Österreich der EU beitreten. Durch die Regierungsbildung und den engen Parlamentsfahrplan könnten die nötigen Begleitgesetze auf sich warten lassen.

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Am 1. Jänner 1995 will Österreich der EU beitreten. Durch die Regierungsbildung und den engen Parlamentsfahrplan könnten die nötigen Begleitgesetze auf sich warten lassen.

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Der angestrebte Termin für den Beitritt Österreichs zur EU ist und bleibt der 1. Jänner 1995“, tönt es unisono aus den Koalitionsparteien, Wollen die Spitzenpolitiker von SPÖ und ÖVP ihr Versprechen „ohne Wenn und Aber“ in die Tat umsetzen, so wartet aber noch ein gewaltiges Stück Arbeit auf sie: denn abgesehen von den im EU-Prozedere lauernden Tücken - eine rechtzeitige Ratifizierung in allen zwölf Mitgliedsstaaten ist nicht gesichert — könnte auch der Fahrplan des österreichischen Parlaments für die nötigen Beitritts-Begleitgesetze

gehörig durcheinandergeraten. Ist eine rechtzeitige Beschlußfassung vor dem 1. Jänner 1995 vom Fristenablauf und den politischen Gegebenheiten her überhaupt realistisch? - Gerhart Fiolzinger, Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, läßt sich jedenfalls im FURCHE- Gespräch auf keine Prognosen ein: „Kein Kommentar.“ Zwar scheint eine rechtzeitige Ratifizierung des EU-Bei- trittsVertrages gesichert ( Termin für die Plenarsitzung des Nationalrates ist der 11. November; die notwendige Zwei- DritteLMehrheit dürfte durch SPÖ, ÖVP und Liberales Forum zustande kommen). Aus Regierungskreisen verlautet aber, daß es wohl kaum denkbar ist, daß die alten Koalitionsparteien sich auf wesentliche Materien der Beitrittgsbe- gleitgesetze im Nationalrat einigen, solange noch überhaupt nicht klar ist, ob, und wenn ja, unter welchen Bedingungen, die Koalition überhaupt fortgesetzt wird.

Dies betrifft etwa die - derzeit in der Begutachtung liegende - begleitende Bundesverfassungsgesetz-Novelle. In dieser sollen zum Beispiel die Wahlen zum Europäischen Parlament, die Rechtsstellung der EU-Abgeordneten, das Kommunalwahlrecht für EU- Bürger, die Nominierungen in die EU-Gremien sowie die Mitwirkungsrechte der Bundesländer geregelt werden.

Streitpunkt zwischen den Koalitionsparteien, die darüber hinaus auch noch eine der drei Oppositionsparteien für die erforderliche Zwei-Drittel- Mehrheit im Nationalrat gewinnen müssen, ist die Gesetzesanpassung an die „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) der Europäischen Union. Zwei Möglichkeiten wurden bisher in Betracht gezogen: Entweder

eine Änderung der einschlägigen Gesetze, also des Kriegsmaterialgesetzes, des Außenhandelsgesetzes sowie des Strafgesetzes (ÖVP-Vorschlag) oder ein eigenes GASP-Ver- fassungsgesetz (SPÖ-Vorschlag). Eines ist jedenfalls sicher: dieser Punkt wird in der Nationalratsdebatte zu heftigen Kontroversen über die Zukunft der Neutralität führen.

In der derzeitigen Form endgültig „gestorben“ sein dürfte die Bundesstaatsreform: Nicht nur, weil die drei Oppositionsparteien eine allfällige Zustimmung, die für die Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist, von allerlei Forderungen abhängig machen, sondern auch weil in den Koalitionsparteien selbst die Begeisterung für das Reformwerk merklich abgekühlt ist.

Darüber hinaus harren noch diverse andere Zwei- Drittel-Gesetzesvorlagen einer Beschlußfassung, die angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse wohl nur mehr mühsam zustande kommen wird: ein Bundesverfassungs- gesetz über die Rechtsstellung der Beamten (Stichwort „Beamte auf Zeit“), eine Änderung der Finanzverfassung, diverse Novellen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes, des Allgemeinen VerwaltungsVerfahrensgesetzes, des Verwaltungsstrafgesetzes et cetera.

In den Parlamentsklubs der Koalitionsparteien wird daher bereits an Szenarien gebastelt, die von einem späteren Beitrittstermin bis zu einer späteren Beschlußfassung der nicht so dringlichen Beitritts-Begleitgesetze reichen. Laut Verfassungrechtler Manfried Welan wäre dies rein juristisch gesehen kein Problem: „Von unserer Rechtslage her ist eigentlich alles möglich. Auch wenn dies im Einzelfall bedauerlich sein mag.“ Worauf Professor Welan anspielt: es ist von der Verfassung her durchaus machbar, daß diverse EU-Beitritts-Begleitgesetze zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend mit 1. Jänner 1995 beschlossen werden.

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